| D/I/CDN/Palästina/Q/JOR 2025 · 125 min. · FSK: ab 12 Regie: Ameer Fakher Eldin Drehbuch: Ameer Fakher Eldin Kamera: Ronald Plante Darsteller: Georges Khabbaz, Hanna Schygulla, Ali Suliman, Sibel Kekilli, Tom Wlaschiha u.a. |
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| Rätselhaft, verschwiegen, festgefahren... | ||
| (Foto: IMMERGUTEFILME/Filmdistribution/Lichtblick/Camino) | ||
Irgendwann steht er zwischen den Tieren. Munir harrt auf der Wiese aus, umringt von großen Kühen, die ihn neugierig beobachten. Was werden sie tun? Fliehen sie vor ihm? Kommen sie näher? Werden sie vielleicht sogar zur Gefahr? Die Spannung zwischen Mensch und Tier, dem Kontrollierten und Unkontrollierbaren ist groß in dieser Szene. Sie steht stellvertretend und sinnbildlich für einen erheblichen Teil des ästhetischen Reizes von Yunan, der immer wieder das Gefühl der Ohnmacht und Unberechenbarkeit sucht, wobei Natur und Wildnis zentrale Rollen spielen. Ameer Fakher Eldin strickt hier aus einer Charakterstudie eine regelrechte Weltuntergangsgeschichte, in der der Hauptfigur die Fäden ihrer eigenen Biographie entgleiten.
»Yunan begann als eine Auseinandersetzung mit dem Vertriebenwerden, mit den stillen Räumen, die es in und um uns entstehen lässt. Ich wollte erforschen, was passiert, wenn das Vertraute schwindet, wenn das Gefühl von Heimat und Zugehörigkeit zerbricht und uns das Schweigen danach bleibt«, sagt der Regisseur in einem Statement über seinen Film. Yunan lässt jene stillen Räume sowohl für die Hauptfigur als auch das Publikum erdrückend werden, weil er sie in einer bemerkenswerten Dauer aushält und in streng gerahmte Bilder fasst. Der Regisseur legt damit nach dem in Venedig preisgekrönten Debüt THE STRANGER seinen zweiten langen Spielfilm vor. 2025 wurde er in den Wettbewerb der Berlinale eingeladen.
Munir, der Protagonist, gespielt von Georges Khabbaz, wird anfangs von einer seltsamen Kurzatmigkeit geplagt. Aber wo liegen deren Ursachen? Zu seiner Familie in Syrien, allen voran zu seiner dementen Mutter, hat der Schriftsteller nur noch über Telefonate Kontakt. In der Ferne scheint er sich entfremdet, allein, hilflos zu fühlen. Und schon in den ersten Minuten sucht Ameer Fakher Eldins Film die ästhetische Tristesse: gräuliche Farbtöne, kalte Bilder, ein Gesicht erscheint mittels geschickten Schattenspiels wie ein Totenschädel. Munir wird immer wieder von Erinnerungen und einer alten, bruchstückhaften Erzählung geplagt, die sich wie ein verträumter Zwischenraum in den Aufnahmen öffnet. Die gedankliche Flucht in Visionen, Geschichten, Erinnerungen verwischt die Grenzen von Raum und Zeit.
Vieles in Yunan bleibt rätselhaft, verschwiegen, festgefahren. Die migrantische Erfahrung einer Entwurzelung und Einsamkeit wird sofort spürbar, aber die eigentliche Biographie mit all ihren Irrungen und Abwegen, all das, was den Protagonisten tatsächlich bewegt, wird nur fragmentarisch erahnbar. Dieser Protagonist lässt sich bis zum Schluss nicht gänzlich begreifen. Das hüllt den Film in ein gewisses Mysterium, aber macht es ihn dadurch packender? Eigentlich nicht. Yunan scheint eine gewisse Frustration und Vagheit vom Beginn an mit einzuschließen. Denn auch die anderen Figuren bieten abseits der Rollen, die sie zu spielen haben, nur grob Aufschluss über ein konkretes Leben und genauere Lebensumstände. Das wirkt umso befremdlicher, bedenkt man, dass dieser Film in seiner ganzen Konstruktion so darum bemüht ist, Charaktere zu begleiten, sie zu porträtieren.
Da bleibt, wie bereits angedeutet, vor allem eine Fülle unausgesprochener Lebensgefühle übrig, die sich in rauer Kulisse überlagern, und zumindest in deren Wucht weiß Yunan zu glänzen. Munir verlässt die große Stadt, um ein paar letzte Stunden in der Ödnis der Nordseehallig Langeneß zu verbringen. Er ist entschlossen, sein Leben zu beenden. Doch plötzlich kommen ihm Zweifel. Er zögert. Also wandelt er auf der Hallig umher, lernt einige Menschen distanziert kennen. Und dann gibt es da eine ältere Dame namens Valeska. Hanna Schygulla spielt die Pensionsbetreiberin, Tom Wlaschiha ihren misstrauischen Sohn. Schygulla verkörpert die mütterliche Fürsorgerin, die das Eis zwischen Figuren zum Tauen bringen soll. Yunan will dabei auch etwas über Ressentiments und Skepsis gegenüber Fremden erzählen. Wiederholt beobachtet der Film, wie sich die Bewohner dieser kleinen, abgeschiedenen Welt verhalten. Männer finden in kleiner Gruppe zusammen, um sich volllaufen zu lassen. Man spricht in Floskeln, später rauft man miteinander. Grenzen zwischen Spiel und Ernst verschwimmen. Beim gemeinsamen Folklore-Abend schwelgt man musikalisch in norddeutscher Melancholie. Munir, der Ankömmling, bleibt selbst nach einiger Zeit auf der Insel der Außenseiter, bis Valeska den Spieß und die Gruppendynamik plötzlich umdreht.
Solche kleinen Gesten prägen die charakterlichen Annäherungen und Wandlungsprozesse im Laufe des Films, wenngleich sie in ihren guten Ratschlägen und ihrer Moral schlussendlich etwas schlicht gestrickt sind. Sie wirken aufgesetzt, gerade weil das ganze Fundament so trocken und kryptisch bleibt. Yunan scheint es aber ohnehin vor allem um die symbolträchtigen Schauwerte seines Settings zu gehen. Seelenlandschaften – diesen abgedroschenen Begriff könnte man hier wählen. Die beeindruckende Kameraarbeit von Ronald Plante übersetzt das Entschleunigen, Erstarren, aber auch das Ineinanderfließen von Zeitebenen in hypnotische, langsame Schwenks.
Lange Einstellungen werden zum Ausdruck der Ausweglosigkeit, der Melancholie und des menschlichen Unbehagens. Das kommt nicht nur in der eingangs beschriebenen Begegnung mit Tieren zum Tragen, sondern auch wenn die Natur ihre bedrohlichen Seiten entfesselt. Ihre Geräusche prägen die Tonspur des Films. Das Meer atmet hörbar mit den Wellen. Wind peitscht über die Landschaft und um die spärlichen Gebäude. Und dann bricht Stück für Stück die Apokalypse los. Ein großes Unwetter kündigt sich am Himmel an. Die Flut steigt, alles steht unter Wasser. Das sind sensationelle, aufregende Bilder, die Yunan hier einfängt. Irgendwann liegt ein angespülter Wal an Land wie ein mythologisches Ungeheuer. Aber wie das so ist mit der Apokalypse: Nach dem Weltuntergang, der Sintflut und Reinwaschung entsteht in der Regel Neues, wenngleich dieser Film im Düsteren bedeutend mehr mitreißt als in seiner Hinwendung zu neuen Perspektiven und Hoffnungen.