Großbritannien/USA 2016 · 92 min. · FSK: ab 0 Regie: Simon Aboud Drehbuch: Simon Aboud Kamera: Mike Eley Darsteller: Jessica Brown Findlay, Andrew Scott, Jeremy Irvine, Tom Wilkinson, Anna Chancellor u.a. |
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Erzkonservativ, reaktionär und anti–emanzipatorisch |
Wer erinnert sich nicht gerne an Die fabelhafte Welt der Amélie? Das mögen sich Regisseur Simon Aboud und alle weiteren für »Bella« Verantwortlichen auch gedacht haben, schließlich ist über Ámelie schon etwas Gras gewachsen. Aber eben nicht soviel, als dass sich die Erinnerung daran nicht profitabel aktivieren liesse. Explizit ausformuliert hat diesen Gedanken die Verleihfirma NFP im umgedeutschten Titel, einem This Beautiful Fantastic mochte man dort nicht über den Weg trauen, beziehungsweise schien der Titel dort nicht geeignet, ein deutsches Publikum auf den Weg zu bringen.
Das Publikum aber: Schreitet vorbehaltlos in den Garten, freut sich auf warmherzigen Humor, versponnene Charaktere und liebevoll platzierte Details. Nach wenigen Schritten aber, spätestens nach einer Viertelstunde, weicht die Erwartung der Erkenntnis, dass es mit Bella in einer ranzig reaktionären Stube hockt, wo aus Versatzstücken ein bröseliger Plot wie aus einer alten Keksdose hervorgekrümelt wird. Die Story von Bella, der mümmeligen Bibliotheksaufsicht und Schriftstellerin in spe, wird mit der Story vom misanthropischen Botaniknazi und Grantler Alfie in Aktion ungefähr so effekt- und würdevoll zusammengeschüttet, wie wenn Coca Cola und Bacardi sich begegnen, während die Story vom trotteligen Liebhaber Billy Eiswürfel in die Handlung kippt, und dann ist da noch der überambitionierte Hauskoch Vernon, das ist die Zitrone. Fertig ist die Plörre.
Die Anwesenheit eines Dekorateurs ist auszumachen, und viel mehr als Oberfläche ist von einem Regisseur, der sich als Werbefilmer für die beiden genannten Getränkemarken verdingt hat, vielleicht auch nicht zu erwarten. Tatsächlich leidet aber auch die Oberflächengestaltung unter schierer Ideenarmut. Lediglich die Darstellung von Essensgerichten lässt eines Profis Arbeit glänzen. Ansonsten: Keine Ideen. Zehn Zahnbürsten im Badeschrank, um Bellas Kauzigkeit zu illustrieren, das ist noch nix. Man vermisst Ámelie. Ihr Herz, ihre kecke Spitzbübigkeit. Das Schlimmste nämlich ist: Hier wurden nicht nur Script–Schrittmacher und Komik–Katheter so oberflächlich am Herz vorbeigelegt, dass am Ende gar nichts aufgeht, hier wurde alles, was Ámelies Charakter eben als keck, spitzbübisch und vor allem auch als intelligent und selbstbewusst auszeichnete, umcodiert zu einer unselbständigen Person, der geholfen werden muss.
Bella fällt als Charakter tatsächlich mehr in sich zusammen, als dass sie mit der Gartengeschichte aus ihrer Introvertiertheit herauswächst. Wenn der Garten am Ende blüht, dann einzig und allein, weil der herzlose Vermieter es so verlangt hat, und der widerwärtige Nachbar es so ausgeführt hat. Wo ist da Bella? Die darf am Ende staunen und artig danke sagen. Von Anfang an wird ihr ihr ein fehlerhaftes Verhalten angelastet, als psychologische Erklärung untermauert mit der Eröffnungsszene, in der Baby Bella als Findelkind der Welt preisgegeben ward. Also hört mal her, Waisenkinder dieser Welt, im Common Wealth ist noch Platz für euch, solange ihr die Gartenregeln befolgt und den Hausherren achtet! Das mögen vielleicht vor allem ältere Semester erbaulich finden, This Beautiful Fantastic ist in jedem Falle kein Kinderfilm, ist nicht: Schrullig, mitmenschlich menschelnd oder herzerwärmend lebensfroh, und was-weiss-ich-was-noch-an-Falschmeldungen-in-Richtung-Filmempfehlung-kursieren, sondern: Erzkonservativ, reaktionär und anti–emanzipatorisch.
Es ist geradezu ekelhaft: Der Vermieter tritt auf, meckert kurz über den Garten und droht mit Rauswurf, Bella gibt klein bei. Ekelhaft: Wie Bella sich anschließend den bösen Attacken des unausstehlichen Nachbarn beugt. Der am Ende Oberwasser kriegt und ihre Probleme löst. Wie der alte Misanthrop auf einmal der Gute ist, der nette Granny, der seine Grausamkeiten als subtile Gesten zur Aktivierung von Bellas Kreativität verstanden wissen will. Zack, deus ex machina in ein und derselben Person. Und das ist der Moment der Umcodierung: Ámelie ist nicht Bella, Ámelie ist der alte Alfie. Pfui Spinne! Was wird hier eigentlich derart perfide bedient?
Dass This Beautiful Fantastic im Grunde ein Plädoyer für modern-day slavery ist, dazu trägt die Figur von Vernon bei. Vernon ist der Hauskoch, zunächst für Scheusal Alfie, dann bietet er seine unentgeltlichen Dienste für Bella an. Es ist eine kleine Revolte, die Vernon als sehr selbstbewusst und charakterfest etabliert. Der ex-Arbeitgeber ist schließlich noch drei Monate verpflichtet, ihn weiter zu bezahlen, so macht sein neues Arbeitsverhältnis für Vernon Sinn. Vernon wird hier zum eigentlichen Star des Films. Obwohl er bis zum Schluss lediglich ein Sidekick für Bella bleibt, er ist die Hauptfigur. Wir erinnern uns: Ámelie war deswegen eine besondere Figur, da sie Sidekick für andere war, anderen bei der Bewältigung von Problemen half. Sie war Sidekick und Held in einer Person. Nun also Vernon, was geschieht mit ihm? Er stellt mehr und mehr sein serviles Wesen zur Schau, ja er kehrt sogar zurück zu Alfie, seinem Peiniger, auf dessen cholerische Befehle (»Geben Sie mir meinen Koch zurück!«) reagierend!
Weder Bellas noch Vernons Verhalten ist irgendwie vermittelbar. Es ist ein ständiges Nachgeben und nochmal Nachgeben. Vernon feiert seine Kondition, den Sklavenhalter bei der Arbeit nicht zu Gesicht zu bekommen, zunächst noch als Kontrolle über seine quasi Leibeigenschaft, welches ja auf seinem Einverständnis beruht. Minuten später packt er Hand in Hand mit Alfie bei der großen Gartenräumaktion an, alles für Bella. Nur, dass er, der Haussklave am Ende der Dumme bleibt. Denn Bellas Herz gehört seit Neuestem Billy aus der Bibliothek. Billy mit dem gebrochenen Bein, symptomatischer könnte eine Männerphantasie kaum zutage treten: Bellas Charakter wird erst gebrochen, danach ist sie bereit und willig für... Pardon, es ist eine prüde Liebe, Gott bewahre, die Liebe bleibt genauso unsichtbar, wie von Botanik im Garten irgendwas zu sehen ist. Aber vielleicht sind auch die Pflanzen im Grunde ihres Herzens nur Zeichentrickfiguren.
Achja, der Garten! Der spielt eigentlich keine Rolle. Wichtig ist nur, dass am Ende das Set aufgeräumt ist. Dann sind alle happy. Und ewig plätschert die Musikkulisse. Dass irgendwer unter den Tisch fällt – ganz normal.