Deutschland 2012 · 117 min. · FSK: ab 12 Regie: Toke Constantin Hebbeln Drehbuch: Ronny Schalk, Toke Constantin Hebbeln Kamera: Felix Novo de Oliveira Darsteller: Alexander Fehling, August Diehl, Phuong Thao Vu, Ronald Zehrfeld, Annika Blendl u.a. |
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»Dem Traum folgen und nochmals dem Traum folgen und so ewig – usque ad finem.«
(Joseph Conrad)
Pech, wenn sich über einen Film die Folie eines anderen Films legt und letzterer immer deutlicher hervortritt, während der erste verblasst. Vergleiche sind – in allen Lebensbereichen – natürlich unfair, aber die Erinnerungen an Das Leben der Anderen (2005) sind noch so präsent, dass der Regisseur Toke C. Hebbeln in seinem ersten großen Kinofilm damit konkurrieren muss. Mit Ronny Schalk hat er ein Drehbuch geschrieben, das sich tief in die Verstrickungen der Stasi-Abgründe bohrt und sowohl die Täterseite als auch die Opferseite exemplarisch ins Licht rückt.
Getragen wird der Film von drei hervorragenden Schauspielern, welche gemeinsam auf eine beachtliche Sammlung wichtiger deutscher und internationaler Produktionen der letzten Jahre zurückblicken können. Da spielen Klaus Störtebecker (Ronald Zehrfeld, der in den letzten Jahren Dauerpräsenz in TV und Kino zeigt), Goethe (Alexander Fehling) und Christian Buddenbrook (August Diehl) eifrig um die Wette. Diehl und Fehling, die schon in drei Filmen gemeinsam auftraten (z. B. in Inglourious Basterds), geben die besten Freunde Andreas und Cornelis, die ein gemeinsamer Traum verbindet: das Meer.
Die DDR in den Achtzigerjahren: Nach jahrelangem Warten scheint den Freunden ihr Jugend-Traum vom Matrosendasein und exotischen Häfen abhanden zu kommen; sie stecken in Rostock fest und das System verlangt für ihren Traum ein Opfer in Form der Spitzeltätigkeit. Sie sollen ihren Vorarbeiter Matze (Ronald Zehrfeld) ausspionieren. Die folgende Entscheidung wird ihr Leben prägen, ihre naive Unschuld rauben, die Freunde trennen und in feindliche Lager katapultieren.
Der Film zeigt, dass man in der DDR nur verlieren konnte. Andreas (August Diehl) geht den Weg der Macht, lässt sich mit dem Teufel in Gestalt von Oberst Seler ein, der ein jovial-gutmütiges Gesicht hat und überzeugend von Rolf Hoppe gespielt wird. Wie schon in seinen großen Nazi-Rollen (Mephisto, Comedian Harmonists) lauert in seiner Darstellung das Gefährliche hinter einer Maske aus Freundlichkeit und Verbindlichkeit. Diesem Mann, der einen zu selbstgemachten Klößen ins eigene Haus einlädt, vertraut man sich gern an. August Diehl spielt diesen Andreas, der sich gegen Anständigkeit und Freundestreue entscheidet, gewohnt intensiv und mit wechselnden Frisuren und Bartlängen, bleibt aber letztlich von Anfang bis Ende das arme Würstchen, dem man keine Sympathie entgegenbringt. Er wird für sein Verhalten bestraft durch Rollstuhl und Alkoholismus, durch ein voyeuristisches Schattenleben im Hinterzimmer, Protokollant der Verführungskünste seines Stasi-Kollegen Roman (Sylvester Groth – schon im ersten Film Hebbelns Nimmermeer dabei). Was von Ulrich Mühe in Das Leben der Anderen brillant in der Schwebe gehalten wurde, ist hier einfach nur eindeutig schäbig. Andreas verrät seinen Freund nicht nur, sondern sorgt über viele Jahre dafür, dass dieser im Gefängnis bleibt und er hält ihn auch systematisch von seiner großen Liebe, der Vietnamesin Phuong Mai (Phuong Thao Vu) fern. Das ist einfach nur grundlos böse und damit langweilig. Und auch nicht nachvollziehbar, denn der Freund hatte sich an der moralischen Wegkreuzung einfach nur anders entschieden als er. Diehl darf in dieser Rolle nur verzweifelt und konsequent fies sein, dabei hätte er sicher mehr zu bieten gehabt.
Mehr Raum nimmt die Opferperspektive ein. Während sich die beiden alten Freunde durch ihre jeweiligen Moral-Entscheidungen verlieren, werden Cornelis und Matze, der Vorarbeiter, dessen Fluchtpläne Andreas an die Stasi verraten hat, im Gefängnis zu neuen Freunden. Die langen bis langatmigen Gefängnisszenen reihen munter so ziemlich alle Klischees aneinander, die einschlägige Genreprodukte auszeichnen. Die historischen Hintergründe mögen zwar gewissenhaft recherchiert sein, die Umsetzung bleibt aber auf dem Niveau eines TV-Mehrteilers: ein bisschen Gruppendynamik zwischen den Insassen, der sadistische und korrupte Direktor (Thomas Lawinky), die Einzelhaft mit expressionistisch beleuchteten Kerkermauern. Die Dramaturgie ist dabei wiederholend, Verrat und sich zerschlagende Hoffnungen wechseln sich immer wieder ab. Bei aller technischen Perfektion und trotz abwechslungsreicher Kameraführung werden immer genau die Bilder inszeniert, die einem irgendwie bekannt vorkommen, die keinerlei Überraschung beinhalten: die Grenzflucht im Nebel, das Stasi-Auto in der dunklen Gasse. Hebbeln fehlt eine eigene Bildhandschrift. Alexander Fehling darf als Cornelis dabei ständig männlich entschlossen rauchen, das Stasi-Angebot rotzfrech und cool abschmettern oder heroisch in die (nicht vorhandene) Weite schauen. Was für ein Held! Matze (Ronald Zehrfeld) ist der aufrecht idealistische Gefängnisleitwolf mit rauer Schale und weichem (Familienliebe-)Kern. Da bleiben keine Fragen offen und keine Szenen im Gedächtnis haften. Ohne Frage ausgezeichnete Schauspieler, denen man gerne zuschauen würde, wenn ihnen das Drehbuch mehr Entwicklung oder die eine oder andere psychologische Nuance zugestehen würde.
Ein etwas simples Loblied also auf die innerlich ungebrochenen Charaktere, welche die finsteren letzten DDR-Jahre tapfer überstanden und für die es dann im Film nach der Wende immerhin eine späte Belohnung gibt. Cornelis folgt nochmals seinem Matrosen-Traum, Matze kommt zurück zu seiner Familie.
Am Ende des Films denkt der Zuschauer eventuell nochmals an Das Leben der Anderen, an ambivalent gezeichnete Charaktere, Martina Gedecks Mienenspiel im Auto des schleimig-brutalen Ministers, an Erstlingsfilme, an unfaire Vergleiche und an Klaus Störtebecker, an eine Zeit also, in der Helden – zumindest im Kino – noch Helden sein durften.