Wilma will mehr

Deutschland 2025 · 112 min. · FSK: ab 0
Regie: Maren-Kea Freese
Drehbuch:
Kamera: Michael Kotschi
Darsteller: Fritzi Haberlandt, Thomas Gerber, Stephan Grossmann, Leonhard Hugger, Xenia Snagowski u.a.
Wilma will mehr Fritzi Haberlandt
Humor, Handarbeit und ein feines Gespür für das Absurde...
(Foto: Neue Visionen)

Was vom Osten bleibt

Wilma will mehr ist ein weiterer Film, der sich an einer Neubewertung der Wendezeit versucht. Im Gedächtnis bleibt vor allem Fritzi Haberlandts Schauspiel

Das deutsche Kino mischt politisch mit. Im Nach­denken über den Osten haben sich in den vergan­genen Jahren tiefe Gräben aufgetan. Nicht zuletzt seit dem Erstarken der poli­ti­schen Rechten hat man Artikel um Artikel, Sachbuch um Sachbuch, Talkshow um Talkshow, Roman um Roman über das Erbe der unter­ge­gan­genen DDR und der soge­nannten Wende nach­ge­dacht. Darüber, wer auf welche Art und Weise über wen spricht, welche Ideo­lo­gien dabei zum Vorschein kommen und inwiefern sie mit tatsäch­li­chen ökono­mi­schen und sozio­kul­tu­rellen Gege­ben­heiten über­ein­stimmen. Im Kino blieb der Output dies­be­züg­lich zwar geringer, ebenso die Fülle an formalen Expe­ri­menten, aber auch dort hat sich ein bemer­kens­wertes Neben­ein­ander an Stimmen offenbart. Man sucht nach einer gedank­li­chen Richtung. Man verkrampft teilweise bei Versuchen, allen Posi­tionen künst­le­ri­sches Futter zu geben, mit Klischees und alten Fort­schritts­nar­ra­tiven aufzu­räumen, die sich offen­sicht­lich für die meisten als Illusion entpuppt haben. Aber wie gelingt das, ohne zugleich eine reine Verklärung der Vergan­gen­heit vorzu­nehmen? Wohin also in all dem diskur­siven Chaos?

Es gibt sie noch, diese reinen Grusel­ge­schichten über die DDR, deren Meilen­stein wahr­schein­lich nach wie vor Das Leben der Anderen bleibt. Es gibt diese betu­li­chen Ostalgie-Exzesse a la Kund­schafter des Friedens nebst Fort­set­zung. Aber da haben sich manchmal auch inter­es­sante neue Zugänge ergeben. Man denke nur an Emily Atefs starke Roman­ver­fil­mung Irgend­wann werden wir uns alles erzählen, die die Verwer­fungen der Wende in eine bild­ge­wal­tige räumliche Anordnung und eine Geschichte über ein tabui­siertes eroti­sches Begehren übertrug. Und dann gibt es Werke wie Wilma will mehr, die mal auf rührende, mal aber auch frus­trie­rende Weise zwischen allen Stühlen sitzen. Ein Film ist das, dessen gute Ambi­tionen spürbar werden, der einige starke, einfühlsam beob­ach­tete Charak­ter­mo­mente kreiert, aber der sich mit fort­schrei­tender Laufzeit etwas in der nach Orien­tie­rung suchenden Weltsicht seiner Prot­ago­nistin verirrt.

Eine zerfal­lene Biogra­phie

Fritzi Haber­landt ist Wilma und sie trägt diese Tragi­komödie allein schon mit ihrem nonver­balen Spiel. Großartig ist, wie sie kleine unsichere, nervöse Blicke und Gesten in diese verhär­tete, manchmal auch etwas schroff anmutende Fassade mischt, die sich ihre Figur immer wieder aufsetzt. Wilma ringt um Fassung, während die Enttäu­schung und Über­for­de­rung fast aus ihr heraus­zu­platzen scheinen. So, als habe sich der Körper in eine Art Notfall­modus versetzt, um die innere Scham und Verbit­te­rung zu über­spielen und weiterhin über die Runden zu kommen. Wilma steht vor den Trümmern ihrer Biogra­phie. Früher hat sie im Kraftwerk in der Lausitz gear­beitet. Doch von der Vergan­gen­heit sind vor allem Ruinen geblieben, durch die man Touristen führen oder in denen man Wieder­sehen mit alten Kolle­ginnen und Kollegen veran­stalten kann. Der guten alten Zeiten wegen. Und dann schlägt das Schicksal weiter zu: Wilma verliert ihren Job. Ihr Ehemann geht fremd. Also büxt sie aus und landet schließ­lich in der WG zweier Bohemiens in Wien, wo Wilma will mehr zur großen Culture-Clash-Erzählung ausholt.

Dieser Film ist hart und konse­quent desil­lu­sio­nie­rend, wenn er von einer ökono­mi­schen Realität erzählt. Dann, wenn die Prot­ago­nistin nach dem Kollaps einer ganzen Region umherirrt, um Arbeit zu finden. Alle Quali­fi­ka­tionen, Talente, Zerti­fi­kate, alle Lebens­leis­tungen von damals sollen plötzlich nichts mehr wert sein. Statt­dessen erntet man Spott, wird umher­ge­reicht und landet letztlich wie prosti­tu­iert auf einem Parkplatz und hofft, dass jemand vorbei­fährt, der einen mitnimmt und einen Job anzu­bieten hat. Wilma will mehr taucht solche Szenen in all den Räumen einer ster­benden Welt in treffende Unter­gangs­stim­mung, die erst nach und nach wieder mit freud­vollen Momenten aufge­lo­ckert werden kann. Der Film erzählt in Öster­reichs Kulissen dann davon, wie man in ein Sprechen über das Erlebte kommen kann, wie man in einen Austausch tritt, bei dem jedes Stocken, jedes erneute Verstummen wiederum eine ganz eigene Geschichte erzählt. Maren-Kea Freese, verant­wort­lich für Drehbuch und Regie, hat damit auch ein Werk gedreht, dem die Flucht in die Nostalgie, um mit all den Verlust­er­fah­rungen fertig zu werden, irgend­wann uner­träg­lich erscheint. Und Freese insze­niert dabei einen beacht­li­chen kleinen Schock mit ihrer Haupt­figur gegen Ende des Films, der das bisherige soziale Mitein­ander unter­bricht.

Eman­zi­pa­tion der Ost-Frau

Die über­gan­genen und im Stich gelas­senen Figuren von Wilma will mehr kämpfen darum, nicht in der Geschichte zu verschwinden. Aber ist diese Form des Charak­ter­por­träts und der Ausbruchs­fan­tasie am Ende wirklich passend, um von so funda­men­talen Problemen, struk­tu­rellen Schwächen und Ungleich­heiten im Land zu erzählen? Man ist sich da im Verlauf nicht mehr so sicher. Weil es da vor allem darum geht, mit Vorur­teilen aufzu­räumen, die Unsi­cher­heiten im Zusam­men­prall unter­schied­li­cher Sozia­li­sa­tionen und Milieus aufzu­zeigen. Das Fest­beißen an solchen Zwischen­mensch­lich­keiten hat Relevanz, aber es lenkt auch ein wenig von den größeren Frage­stel­lungen und Forde­rungen im Hinter­grund ab.

Letzt­end­lich bleibt davon die Erzählung einer Selfmade-Woman übrig, die sich durch­kämpft, die nicht einkni­cken will und damit allzu gut in die herr­schende Ordnung passt, die ihr zugleich jede Menge Steine in den Weg legt. Der Mythos der eman­zi­pierten Ost-Frau, den man hier auch im Dialog noch einmal beschwört, ist damit längst in den Markt trans­for­miert und angepasst. Ein paar Strapazen sollen eben über­standen, ein paar Erfah­rungen und etwas Frust müssen aufge­ar­beitet werden, aber dann findet man angeblich schon den Platz im Status quo und das erneute Glück, oder nicht? Viele Ambi­va­lenzen und Span­nungen bleiben zwar bestehen, aber mit einer System­kritik, die der Film anfangs noch anstellt, wird es irgend­wann immer schwie­riger, wenn man sich so an den persön­li­chen Selbst­ent­wurf und die Gespräche am Küchen­tisch klammert. Ein trauriger, wütender, enttäuschter Film ist das also, der allzu diplo­ma­tisch und versöhn­lich bleibt.

Stille Heldin, schräger Aufbruch

Und kein rotes Fahrrad: Maren-Kea Freeses Wilma will mehr ist eine subtile Komödie

Wilma fährt mit einem Fahrrad. Frauen auf Fahr­rä­dern sind im deutschen Kino beliebt. Aber im Unter­schied zu Christian Petzolds neuem Oeuvre Miroirs No. 3 (sprich: nümero troá), bei dem das Fahrrad und seine Funk­ti­ons­fähig­keit und das Fahr­rad­fahren selbst Thema gefühlt langer Dialog­pas­sagen werden, passiert es hier einfach. Es wird nicht poeti­siert oder vernied­licht, sondern gar nicht bespro­chen; es ist ein Teil des normalen Lebens. Es ist auch kein rotes Fahrrad.
Dieser Film ist also, mit anderen Worten, ganz anders als der neue Film von Christian Petzold.

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Ein Lama neben einem Kraftwerk, dessen Türme im Nebel verschwinden. Ein Garten, ein Wohnwagen und eine Art Privat-Zoo neben alten Plat­ten­bauten. Offen­sicht­lich ist es der deutsche Osten, der hier in den ersten Bildern porträ­tiert wird.

Es sind stille, medi­ta­tive Bilder, mit denen der Film einsteigt, dann erst sieht man eine Frau an einem Telefon, und weil es sich um ein klas­si­sches grünes Telefon mit Schnur handelt, versteht man, dass dies alles nicht in dieser Zeit spielt, sondern irgend­wann in den 90er Jahren. Es gibt noch Trabis, aber der Rest der DDR wird bereits abge­wi­ckelt.

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Dann fährt Wilma mit dem Rad zur Arbeit, trifft dort vier Kolle­ginnen im Blaumann. Diese Kolle­ginnen proben gerade für eine Auffüh­rung, die später im Film keine wichtige Rolle spielen wird. Sie tanzen vor einem sonst menschen­leeren Werks­ge­bäude.

An der Art, wie sie Arbeits­welten zeigen (oder auch nicht-zeigen) verraten sich deutsche Regis­seure. Denn es sind eigent­lich sehr selten Arbeits­welten – sondern es sind Bühnen zur inneren Befind­lich­keit der Prot­ago­nisten oder für das Poeti­sieren der Filme­ma­cher. Auch hier, hier sieht man vier Frauen im Blaumann nicht etwa bei der Arbeit sondern beim Tanzen im Blaumann. Für den Film macht das wenig Sinn, es geht um die Szene als solche – es geht der Regis­seurin eher darum, ein frühes erstes Komö­di­en­si­gnal in ihren Film einzu­bauen, der sich nach knappen sozi­al­rea­lis­ti­schen Anfangen bald zu einer veri­ta­blen Cultural-Clash-Komödie entwi­ckeln wird.

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Neben ihrer Arbeit macht Wilma auch ehren­amt­liche Führungen durch das Werk:

»Lausitzer Kohle war der Motor der der Indus­tria­li­sie­rung. Der wich­tigste Abnehmer neben dem Militär war die schnell wachsende Stadt Berlin. Es folgten Welt­kriege, Zers­törung, der Wieder­aufbau der Fabriken und später dann die Enteig­nung und die Gründung sozia­lis­ti­scher Kombinate und schließ­lich nach der Wende reihen­weise die Struk­tur­zer­störung. Ich habe an diesem Ort meine Ausbil­dung zum Maschi­nist gemacht und durfte hier durch­ge­hend im Drei-Schicht­system im Bereich Instand­hal­tung arbeiten. 1992 wurde das Werk abge­stellt und vom Netz getrennt– damit endeten 200 Jahre Lausitzer Indus­trie­ge­schichte.«

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Kurz danach erfährt Wilma, dass das Kraftwerk geschlossen wird und sie ihre Arbeit verliert.

Nun über­s­türzen sich die Ereig­nisse: Wilma bemerkt auch, dass ihr Mann fremd geht; bald darauf trifft sie Martin wieder, der vor langer Zeit aus der gleichen Klein­stadt nach Wien gezogen ist,

Dass der Film in solchen Passagen nicht in den Absur­di­täten und der Weiner­lich­keit eines deutschen »Feel-Bad-Films« versinkt, liegt nicht zuletzt an Freeses Fähigkeit zur Emoti­ons­steue­rung und zu gut insze­nierten Gefühls­wen­dungen. Die Regis­seurin weiß, wann es besser ist, einen Moment ins Leere laufen zu lassen oder zu beenden. Diese drama­tur­gi­sche Zurück­hal­tung überformt Figuren und Ereig­nisse nicht mit Bedeutung, sondern erlaubt es dem Geschehen wider­sprüch­lich, hilflos und manchmal schlicht merk­würdig zu sein.

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Wilma ist keine klas­si­sche Heldin, keine Figur der klaren Oppo­si­tion. Sie ist eine Frau, die sich in einer Welt wieder­findet, in der die großen Ideen von Freiheit, Identität und Selbst­ver­wirk­li­chung entweder abgedankt haben oder gar nie ange­kommen sind. Und doch ist da ein Wider­stand, ein eigen­wil­liger Trotz, der sich in kleinen Gesten äußert.

Wilma besucht Martin in Wien. Sie fängt eine Arbeit in einem Wiener Baumarkt mit an und kommt mit ihrer preußi­schen Art dort nicht sehr weit. So entwi­ckelt sich dieser Film ab einer halben Stunde mehr und mehr zu einer Komödie über das Verhältnis von Öster­reich und Deutsch­land. Die ist sehr gut gelungen. Öster­reich als Trost und Fluchtort für eine gequälte deutsche Seele – das glaubt man gern.

Dass Wilma ausge­rechnet in Wien landet, in einer Stadt, die für ihre verschnör­kelte Selbst­be­spie­ge­lung ebenso berühmt ist wie für ihren affek­tierten char­manten Schmäh, eröffnet das reiz­vollste Span­nungs­feld dieses Films: Die Begegnung zwischen ostdeut­scher Sach­lich­keit und öster­rei­chi­scher Gewandt­heit wird zur Grundlage eines Witz', der sich aus Über­ra­schungen, Deplat­ziert­heit und doppelter Fremdheit ergibt.
Der Humor, den dieser Film kulti­viert, ist von einer sehr eigenen Art: keine Pointe, kein Klamauk, sondern ein aufblit­zender Eigensinn.

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Dass es der Regis­seurin auch um ernstere Anliegen zu tun ist, wird immer wieder klar, aber glück­li­cher­weise drängen sie sich nicht so in den Vorder­grund, dass sie die Komödie verderben.

In Wilma mate­ria­li­siert sich das Echo eines unter­ge­henden Landes. Als ehemalige Elek­tri­kerin in einem Braun­koh­le­kom­binat steht sie für eine vergan­gene, indus­triell geprägte Welt, deren Verspre­chen nach der Wende ins Bodenlose stürzte.
Doch statt Larmoyanz entfaltet sie im Film eine eigen­sin­nige Dynamik: Wilma hat zwar vieles verloren, aber ihr störrisch-grad­li­niger Habitus, ihr Miss­trauen gegenüber hohlem Gerede, ihre stoische Direkt­heit sind ihr stilles Kapital.

Der Film ist zärtlich, ohne senti­mental zu sein. Er ist komisch, ohne sich zu verraten. Und er ist politisch, ohne den Zeige­finger zu heben. Die soziale Härte, die Preka­ri­sie­rung, das Abge­wer­tet­werden weib­li­cher und ostdeut­scher Arbeits­bio­gra­fien – all das schwingt mit, wird aber nicht didak­tisch ausfor­mu­liert.
Statt­dessen entsteht eine stille Würdigung des Prag­ma­tismus, der alten hand­werk­li­chen Welt – und der Hoffnung, dass auch inmitten des Verschwin­dens etwas Neues entstehen kann.

Wilma will mehr erzählt keine große Helden­reise, sondern die Geschichte einer Frau, die sich im Alltag neu erfindet – mit Humor, Hand­ar­beit und einem feinen Gespür für das Absurde. Ein Film, der wenig verspricht, aber viel berührt.