Deutschland 2018 · 125 min. · FSK: ab 16 Regie: Jan Bonny Drehbuch: Jan Bonny, Jan Eichberg Kamera: Benjamin Loeb Darsteller: Thomas Schubert, Ricarda Seifried, Jean-Luc Bubert u.a. |
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Fatales Triebdreieck |
»Warum schreiben die nichts über uns?«
Becky nach dem ersten Mord in »Wintermärchen«
Wintermärchen vom Kölner Regisseur Jan Bonny erzählt von einem teuflischen Terror-Trio: Eine Frau, zwei Männer, viel Hass auf alles Fremde, der sich in einer Mordserie entlädt. Natürlich denkt man da an die NSU – aber dies will theoretisch zumindest kein »NSU-Film« sein. Darum verzichtet er auf Erklärungen und direkte Verweise. Aber das ist ein Manierismus des Films und des Geredes der Macher, das ihn umrankt. Denn er zehrt doch von unserem Wissen um die tatsächlichen Morde der Neonazis. Ohne sie ist der Film gar nicht denkbar.
Er ist damit also Teil jener ganz eigenständigen medialen Erzählung, die die NSU-Ermittlungen und vor allem der Münchner Prozess neben der rechtsstaatlichen Bankrotterklärung, die »eher die öffentliche Desinformation förderte, statt der Aufklärung zu dienen« (Tagesspiegel) auch produziert haben. Der Film versucht sich demgegenüber an einer eher unentschiedenen Position und daher auch einer prekären Gratwanderung.
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Schießübungen im Wald. Sie stehen am Anfang des Films. Bald werden die Ziele echt und aus der Übung der Ernst des Lebens und des Tötens.
Zwei Männer und eine Frau, unreife Wesen, in Bomberjacken und Springerstiefeln, die ziemlich viel dummes Zeug reden. Wenn überhaupt. Denn eigentlich sprechen sie lieber mit Waffen. Der Kölner Regisseur Jan Bonny folgt in »Wintermärchen«, seinem zweiten Kino-Spielfilm neben vielen Fernseharbeiten, unter anderem für den ARD-»Polizeiruf«, der blutigen Spur des rechtsextremen NSU-Terrors – in einer Spielfilmform, die nahe an den bekannten Teil der Fakten angelehnt ist, für die »Einfühlung« oder »Nachempfindung« aber das falsche Wort wäre.
Es wird gemordet, immer wieder. Brutal, kurz und schmerzhaft, auch für die Zuschauer, die diesen nüchternen Bildern ausgesetzt sind. Dazwischen wird gegessen, geschlafen, gedöst, man hat Sex, auch zu dritt, übt Schießen und es gibt immer wieder lange, sehr lange Autofahrten.
Das hat dann mitunter sogar einen schrecklichen tiefschwarzen Humor. So wenn die angehenden Mörder nach potentiellen Opfern spähen, aber keinen passenden Kandidaten finden können: »Was ist mit dem? Mit dem? Der da«, zischt das Mädchen. »Nee«, zögert der Junge auf dem Beifahrersitz. »Der da vorn« – »Geht nicht, der hat mein Gesicht erkannt.« – »Ist doch egal, wen ich vorschlage. Du hast einfach nur Schiss. Was ist mit dem?« – »Das ist ein Deutscher!« – »Das ist doch kein...« »Fahr weiter!« – »Wo ist denn der deutsch, Mann?«
Die kleinen Frustrationen entsprechen den großen. Es geht auch um Geschlechtermachtverhältnisse. Sie sitzt am Steuer, sie lacht ihn aus. Ist er Mann genug? Sie erzählen sich Fantasien. Hervorzuheben sind die Schauspieler: Allen voran Ricarda Seifried als Becky, die Frau zwischen den zwei Männern. Tommi gespielt von Thomas Schubert und Jean-Luc Bubert als Maik, der Dritte im Bunde.
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»Wintermärchen« bietet eine beklemmende Innenansicht des Terrors, eine Innenansicht, die allerdings auf wenig Fragen eine Antwort gibt und wohl auch nicht geben will. Allenfalls wird das Bedürfnis befriedigt, zu wissen »Was geht in diesen Köpfen vor?« – Nichts behauptet der Film außer Hass. Noch nicht mal irgendeine krude oder menschenverachtende Ideologie spielt in den Gesprächen eine große Rolle. Ob das jetzt stimmt, ist hier nicht die Frage. Sondern welche Funktion
diese Haltung hat, für das Publikum und für den Filmemacher.
So muss man sich die NSU-Taten vielleicht vorstellen.
So kann man sie sich aber auch bequem vom Leib halten. Denn die richtig unbequeme, weiterführende Fragen stellt Wintermärchen nicht. Etwa die Frage, ob es Mitwisser gab? Und welche Rolle eigentlich die »verdeckten Ermittler« des Verfassungsschutzes spielten? Oder auch die, wo es eigentlich Nähen zwischen der NSU und den Positionen
bestimmter politischer Parteien gibt?
Hier verzichtet Bonny immer wieder auf genau das, was der Spielfilm bei historischen Stoffen dem Dokumentarfilm im Prinzip voraus haben könnte: Auf die Möglichkeit zur Spekulation und zum Formulieren von Tatsachen, die eigentlich jeder im Prinzip weiß, die man aber nicht letztgültig beweisen kann.
Im Fall der linksradikalen »Baader-Meinhof-Gruppe« wurde noch diskutiert, inwiefern hier die Kinder der Nazis, oder des Bildungsbürgertums zu Tätern wurden, wo der Pietismus oder Heidegger und Marx mit schuld waren – dieser Film zeigt die rechtsextremen Mörder als Fremde, als Außenseiter und monströse Schreckgespinster des Bürgerlichen.
Der Konsequenz aus dieser Differenz weicht der Regisseur Jan Bonny aus. Er erweist sich damit als typisches Kind unserer Zeit, seines Zeitgeists und seiner Lehren: »Gewalt darf nicht sein, Gewalt ist immer schlecht, Gewalt bringt nix.«
Auf die Frage von »Spiegel Online«: »Würden Sie linke und rechte Gewalt unterscheiden?« antwortet Bonny: »Natürlich, aber in der Frage steckt auch die Idee, dass es eine bessere und schlechtere Gewalt geben kann. Die gibt es nicht.« Frage: »Kann man
nicht zwischen Gewalt mit emanzipatorischen und mit rassistischen Zielen unterscheiden?« Jan Bonny weicht der Frage aus: »Ich glaube, dass in Wintermärchen und in vielen vergleichbaren realen Fällen Narzissmus und Ich-Bezogenheit die zentralen Motive sind: sich selbst Geltung zu verschaffen durch Gewalt, sich sichtbar zu machen – um jeden Preis. Das ist total narzisstisch. Und das verbindet linke, rechte und religiös motivierte Gewalt. Oft wird viel
Aufwand getrieben, dem Ganzen höheren Sinn angedeihen zu lassen, aber der Kern ist häufig banal.«
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Die Erklärung des NSU-Rechtsextremismus aus Hass, Sex, Sadomaso entspricht zwar bestimmten, durchaus überzeugenden Theorien des Faschismus. Aber im Unterschied zu jenen italienischen Filmemachern, die diese auf der Leinwand ins Bild setzten, im Unterschied zu Luchino Visconti, Liliana Cavani, Lina Wertmüller und Pier Paolo Pasolini, lässt dieser Film das Publikum außen vor.
Er verführt es nicht, im Gegenteil: Schon eher versucht der Film, es anzuekeln. Möglicherweise
schwebte Jan Bonny irgendwann mal vor, Pasolinis Methode, sich der Perspektive der Täter auszusetzen, ihren Blick einzuverleiben, ohne sich ihm zu unterwerfen, auf deutsche Verhältnisse zu übertragen. Bei Bonny wird daraus aber ein NSU-Egoshooter und Voyeurismus.
Aber ein deutsches Salò ist der Film nicht mal im Ansatz. Es bleibt bei Sensationalismus und kaltem, Ernst-Jünger-haften Voyeurismus – ein überzeugendes Spiel mit faschistischer Ästhetik ist nicht zu entdecken.
Das belegt ganz an der Oberfläche schon die Musikauswahl: Wo Pasolini Chopin, Bach, Orff und Puccini spielt, dudeln bei Bonny »Die Ärzte«: »Schrei nach Liebe«. Und zwar bedeutungsschwanger geflüstert.
Was macht das für einen Unterschied? Wenn in Pasolinis Salò gebildete, bürgerliche Menschen zu sehen sind, in einem Setting aus teuren Antiquitäten und Avantgarde-Möbeln, dann kann sich das gebildete Publikum nicht der Illusion hingeben, mit ihnen hätte das alles nichts zu tun. Bonny zeigt Unterschicht-Terror. Und den kann man sich schnell auf Distanz halten.
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Zugleich macht man es sich auch zu leicht, wenn man sich, wie etwa die NZZ darüber not amused zeigt: »Unerträglich an Wintermärchen sind nicht der fehlende Plot oder die unmotiviert langen und ständig wiederkehrenden ekligen Sexszenen, ... Unerträglich an diesem Streifen ist, dass er so wirkt, als ob ein Student aus der Mittel- oder Oberschicht seine klischierte Vorstellung vom zum Ausländerhasser mutierten arbeits- und orientierungslosen Primitivling verfilmt hätte. Die Figuren sind unglaubwürdig, weil sie wirken wie übereifrige Schauspielschüler beim Improvisationsseminar: Spiel mal Borderline! Spiel den Rassisten! Sei ein Arschloch! Und jetzt besoffen!« So verständlich diese Reaktion sein mag, das harte Urteil ist schon deswegen falsch, weil der NSU-Terror nunmal eine Hassattacke von ganz unten war, weil Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt kaputte Versager waren, nicht Intellektuelle wie Meinhof, höhere Töchter wie Ensslin, Revoluzzer-Dandys wie Baader und Künstler wie Meins.
Bonny gelingt eine sehr kluge, sehr präzise Mentalitätsstudie über Mörder, die keine Intelligenz brauchen, um zum Morden fähig zu sein, sondern Dummheit, Rohheit, Dumpfheit, Abstumpfung – wie die SS-Männer an der Ostfront oder im Appenin.
Es ist hervorragend, dass es endlich mal genauso gesagt wird: Diese Menschen sind dumm, retardiert, unfähig, miteinander zu reden, unfähig sich selbst und ihre Gefühle und Affekte zu kontrollieren, total leichtfertig und blöd (was die Blödheit des Verfassungsschutzes nur noch deutlicher herausstellt).
»Du bist wirklich saudumm/ Darum geht’s dir gut/
Hass ist deine Attitüde/ Ständig kocht dein Blut/
Alles muss man dir erklären/ Weil du wirklich gar nichts weißt
Höchstwahrscheinlich nicht einmal/ Was Attitüde heißt.«
Die Ärzte: »Schrei nach Liebe«
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Dass dadurch nun auch »jedwede ideologische Motivation für die Morde ihre Stichhaltigkeit verliert«, ist natürlich nur eine fromme Lüge und schöne Illusion der Bürgerlichen im »Spiegel«. Dazu passt dann auch der Kurzschluss, dass Feiern und Saufen in der Kneipe, Bierseligkeit und Schlagerpolonaise schon zwangsläufig in rechte Parolen münden würden. Dass diese mit Faschismus gleichzusetzen wären. Und jener nur als Mordterror zu denken ist. Das verharmlost vor allem den Faschismus.
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Dies ist ein sehr guter, sehr unsympathischer Film, in dem viel (zuviel?) Faszination und (perverse) Erotik erkennbar ist; dessen Regisseur seinen Objekten, ohne es zu wollen (?), vielleicht sogar ohne es zu merken (?), zuviel Liebe und falsche Aufmerksamkeit entgegenbringt.
Am Ende hält Wintermärchen sich raus. Dies ist ein glänzend gemachter, aber auch ein kalter Film; eine prekäre Gratwanderung, die in eine unentschiedene und daher auch unpolitische Position mündet. Jan Bonny unternimmt eine Vivisektion des Rechtsextremismus: Wie ein Käfersammler spießt er seine Figuren auf und sieht ihnen beim sinnlosen Krabbeln zu.
»Deine Gewalt ist nur ein stummer Schrei nach Liebe/
Deine Springerstiefel sehnen sich nach Zärtlichkeit/
Du hast nie gelernt dich zu artikulieren/
Und deine Eltern hatten niemals für dich Zeit/
Oh oh oh, Arschloch...«
Was an diesem Film wirklich sympathisch ist, ist etwas ganz anderes: Der Film wurde im Wahnsinnstempo von einem knappen Jahr produziert. Keine Fernsehredaktion war beteiligt, und kaum ein Fördergremium. Die Ignoranz überrascht nicht, aber traurig macht sie auch nach all den Jahren.