USA/D 2006 · 101 min. · FSK: ab 16 Regie: Neil LaBute Drehbuch: Neil LaBute Kamera: Paul Sarossy Darsteller: Nicolas Cage, Leelee Sobieski, Ellen Burstyn, Kate Beahan, Frances Conroy u.a. |
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Nicholas Cage als traumatiesierter Cop: |
Immerhin Christopher Lee und Britt Ekland waren dabei, als Robin Hardy 1973 auf den schottischen Hebriden The Wicker Man drehte. Der Film sollte damals in einer letzten Anstrengung die legendären Londoner »British Lion Films« retten, doch schon vor Fertigstellung wurde die Firma verkauft. Die neuen Bosse fanden den Film fürchterlich und brachten ihn nur in einer stark verstümmelten Version ins Kino, die an der Kasse floppte. Um so erfolgreicher war The Wicker Man seitdem in Programmkinos und im Videoverleih, längst wurde auch die ursprüngliche, um 15 Minuten längere Fassung restauriert, und vor ein paar Jahren wählte man das Werk gar zum »sechstbesten britischen Film aller Zeiten«. Wer einen guten, in seiner Mischung aus Horror, Musical und Psychostudie überaus originellen und für den Zeitgeist der frühen Seventies repräsentativen Film sehen möchte, sollte sich die DVD besorgen, und das Remake von Neil LaBute (Nurse Betty) getrost ignorieren.
Interessant ist diese langatmige, stilistisch völlig uninspirierte Neufassung, produziert vom Schauspieler Nicholas Cage, der auch die Hauptrolle übernimmt, allenfalls aus anderen Gründen: Als prägnantes Beispiel für die kulturellen Differenzen zwischen Amerika und Europa, dafür, was Amerikanisierung im kulturellen Bereich konkret bedeutet, und in den bezeichnenden Verschiebungen der Handlung, die das Remake, ungeachtet seiner Schwächen zu einem aufschlussreichen »Tagtraum der Gesellschaft« (Siegfried Kracauer) machen.
Der beiden Filmen zugrundeliegende Plot dreht sich um einen Polizisten, der auf der Suche nach einem vermissten Mädchen auf eine weitgehend isolierte Insel kommt. Deren bäuerlich lebende Bewohner hängen heidnisch-archaischen Ritualen und einem keltischen Opferkult an; sie leben in einer sektenähnlichen Dorfgemeinschaft, die von einem charismatischen Führer autoritär geleitet wird. Im Laufe des Films entpuppt sich der Vermisstenfall allerdings als geschickt inszenierte Falle, und der Polizist wird während einer orgiastischen Maifeier in einer großen Bastpuppe eingeschlossen und »zu Ehren der Götter« verbrannt – jenem auf keltische Opferkulte zurückgehenden, schon in Caesars »De Bello Gallico« beschriebenen »Wicker Man«.
Damit sind die Gemeinsamkeiten allerdings erschöpft. Der Polizist des Originals war einfach ein Ermittler, im Remake wird er mit der Vorgeschichte eines persönlichen Traumas belastet – er musste den schrecklichen Unfalltod einer Mutter und ihres Kindes hilflos mit ansehen und leidet seitdem unter Schuldkomplexen. Das soll ganz offensichtlich als Motivationsverstärker herhalten, zumal sich das verschwundene Mädchen hier im Laufe des Films auch noch als seine Tochter entpuppt.
Die Dorfgemeinschaft, 1973 als Flower-Power-Gegenkultur mit durchaus verführerischen Seiten – Britt Eklands Nackttanz! – charakterisiert, ist nun ein puritanisches Matriarchat mit totalitären Zügen: Den wenigen Männern, die hier leben, hat man die Zunge herausgeschnitten, sie werden für niedere Arbeiten und zur Fortpflanzung gebraucht. Symbolisch ausgedrückt wird dieser Wandel auch im Produktwechsel: statt Äpfeln (= Verführung) im Original stellt man im Remake Honig her. Das Matriarchat ist also de facto ein Bienenstaat. Eine Königin regiert, alle anderen Frauen sind deren Töchter, die Männer Drohnen. Das immerhin hat Tradition: Schon Charles Baudelaire identifizierte in den Blumen des Bösen das Prinzip Frau mit animalité und entdeckte das Weibliche für die Moderne als Chiffre des Verderbens. So gesehen ist LaBute The Wicker Man vor allem eine Horrorphantasie des Antifeminismus. Um letzte Zweifel auszuräumen hat die Nicholas-Cage-Figur mit dem schön sprechenden Namen Malus auch noch eine Bienenallergie
Bezeichnenderweise gehen der Faschismus dieser weiblichen Gegenkultur und die gegenwärtige Hollywood-Prüderie wunderbar konform: Sex, Orgien und Hippie-Laissez-Faire sind im Remake ersatzlos gestrichen. Die Fassung von 1973 zeichnet sich durch eine angenehm gelassene Skepsis gegenüber aller Religion aus; indem sie den Naturkult der Inselbewohner dem Konservatismus des gläubig katholischen Polizisten gegenüberstellt, zwei Glaubenswelten also gleichberechtigt aufeinanderprallen lässt, kommentieren und relativieren beide Seiten sich gegenseitig. LaBute nimmt hingegen klare Hierarchien vor: Die Ermittlerfigur ist, trotz des unfreiwillig komischen, esoterisch angehauchten Spiels von Cage, ein recht rational agierender Mensch. Die Inselwelt mit der er konfrontiert ist, ist statt mit naiv-rousseauistischen Blumenkindern mit gefährlichen Fanatikern bevölkert, die mindestens eine Gehirnwäsche hinter sich haben.