F/D/B/I 2016 · 94 min. · FSK: ab 6 Regie: Pierre Bismuth Drehbuch: Pierre Bismuth, D.V. DeVincentis, Anthony Peckham Kamera: David Raedeker Schnitt: Thomas Doneux, Elise Pascal, Matyas Veress, Nicolas Bier, Léo Ghysels Darsteller: Robert Knepper, Milo Ventimiglia, Richard Edson, Roger Guenveur Smith u.a. |
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Auf der Suche nach Rocky II |
Als die Frage durch den Raum hallt, scheint die Zeit einen Augenblick still zu stehen. Sichtlich irritiert sind die Teilnehmer der Pressekonferenz. Nur der Adressat kann offenbar nach einem kurzen Schreckensmoment mit der Frage etwas anfangen. Er antwortet professionell erklärend für Nichteingeweihte, ohne das Rätsel zu lösen – mit einem nicht zu verbergenden Schmunzeln. Der Baum ist gefallen und jemand hat es gehört: Ob endlich oder leider, lässt sich aus der seiner Mimik nicht herauslesen. »Where is Rocky number two?«, lautete jene Frage, die Pierre Bismuth 2009 an Ed Ruscha richtete – und Stein des Anstoßes zu Bismuths gleichnamigem Film wurde.
Where is Rocky II?Wenn ein Kunstwerk in der Wüste liegt und keiner da ist, um es zu betrachten … bleibt es ein Kunstwerk oder wird es erst wieder zu einem, sobald jemand darauf stößt? Das alte Gedankenexperiment zum Thema Realität, das Buddhisten, Philosophen, Quantenphysiker und Künstler durch die Jahrhunderte beschäftigt, lässt sich zweifelsohne auch auf Kunst anwenden. Erst recht bei diesem Felsen, genannt »Rocky II«, den der weltberühmte
amerikanische Künstler Ed Ruscha in den 1970er-Jahren in der kalifornischen Mojave-Wüste aus Kunstharz anfertigte und einer Gesteinsformation beifügte, in der er als Artefakt nicht mehr von den anderen Felsen zu unterscheiden war. Die Geschichte von Rocky II ist wahr, auch das Schweigen Ruschas über seinen Verbleib – Ganz nach seiner Handlungslosung, Hollywood sei nicht nur ein Ort, sondern auch ein Verb, man könne alles »hollywooden«. Diese dürren verbrieften Fakten sind
die einzigen Ausgangs-Koordinaten von Where is Rocky II?. Auf seiner Suche nach dem »UKO«, dem unbekannten Kunstobjekt in der Wüste, setzt der Regisseur, der oscarprämierte Drehbuchautor und Maler Pierre Bismuth für seinen Film Spürhunde an, wie sie unterschiedlicher nicht sein können: Einen echten Privatdetektiv und ein echtes Drehbuchautoren-Duo. Information versus Kreation – wer wird die Schnitzeljagd letztendlich gewinnen?
Schon lange
machen sich Dokumentarfilmer den Reiz des abwesenden Protagonisten dramatisch zunutze, um ihn, sie oder es im Ruscha'schen Sinne zu »hollywooden«. So hätten Fosco und Donatello Dubini ihrem Dokumentarfilm Thomas Pynchon: A Journey into the Mind of P. aus dem Jahr 2001 wohl eher keinen Gefallen getan, wäre der amerikanische Romancier, der konsequente
Öffentlichkeitsverweigerer und »man behind the curtain«, letztendlich doch vor die Linse getreten. Und was wäre von Maximilian Schells herausragender Hommage Marlene an Magie übriggeblieben, hätte man die betagte Dietrich beim Schelten von Schell auch gesehen statt nur gehört? Wer bekannt ist, aber unsichtbar bleibt, hält unsere Fantasie in Gang.
So sprüht auch Where
is Rocky II? nur so von Fantasie und kreativen Einfällen. Dabei ist er weder Dokumentar- noch Spielfilm, auch nichts dazwischen, sondern eine von Bismuth selbst schelmisch so bezeichnete »Fake Fiction«. Wie Ruscha mit Rocky II die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit aufhob, setzt Bismuth die im Film zu sehenden, wirklichen Personen mit fiktionalen Mitteln in Szene, setzt die Handlungsstränge so raffiniert zueinander in Bezug, dass die Frage nach dem gesuchten Objekt
immer mehr dem Vergnügen Platz macht, das bei der Beobachtung der interagieren Personen aufkommt. Diese erschaffen sich ihre Wirklichkeit vor der Kamera – künstlich, aber nicht gekünstelt, real, aber nicht banal abgebildet. Die Art, wie Bismuth den Zuschauer am Erkenntnisgewinn seines Suchtrupps teilhaben lässt, ist unerwartet spannend und durchaus vergleichbar mit einem Uptrade beim Geo-Caching: Durch Where is Rocky II? bereichert Pierre Bismuth die
Skulptur Ed Ruschas um die Koordinaten der eigenen Filmkunst – völlig unabhängig davon, ob das UKO wirklich gefunden wird oder nicht.