Weißer weißer Tag

Hvítur, Hvítur Dagur

Island 2019 · 104 min. · FSK: ab 12
Regie: Hlynur Pálmason
Drehbuch:
Kamera: Maria von Hausswolff
Darsteller: Ingvar Eggert Sigurdsson, Ída Mekkín Hlynsdóttir, Hilmir Snær Guðnason, Sara Dögg Ásgeirsdóttir u.a.
Halt dich an deiner Liebe fest
(Foto: Arsenal Filmverleih)

Die Klauen der Trauer

Es ist eine seltsame Atmo­s­phäre. Keine, die man sofort mit Island verbindet. Die unberührte Natur und die weiten Felder sind da, aber es herrscht kein Gefühl von Freiheit, viel mehr das von Enge. Weißer weißer Tag scheint in einem sterilen Raum zu spielen, in dem sich alles verliert. Auch wenn sich Wetter und Jahres­zeiten verändern, in dieser Leere steht das Leben still.

Man kann sagen, dass die Umwelt sich dem Innen­leben der Haupt­figur Ingi­mundur (Ingvar Sigurdsson) angepasst hat. Ein Auto­un­fall machte ihn vor kurzer Zeit zum Witwer. Die Abwe­sen­heit seiner Frau ist überall spürbar, Gebor­gen­heit und Wärme haben mit ihr seine Welt verlassen. Der ehemalige Polizist hat jedoch schon eine neue Lebens­aufabe (oder eine Möglich­keit der Flucht?) gefunden: Mitten im Nirgendwo baut er ein Haus für die Familie seiner Tochter. Alles, was er an Liebe zu geben hat, schenkt er seiner Enkelin Salka (Ida Mekkín Hlyns­dóttir), der einzigen Quelle des Trostes, die er noch hat.

Die ganze Düsternis der Geschichte insze­niert Hylnur Pâlmason (Winter Brothers) merk­würdig hell. Der Filmtitel verrät bereits, welche Farbe hier am meisten vorherrscht. Der fremd­ar­tige Eindruck wird bestärkt durch mini­ma­lis­ti­sche, oft ins Disso­nante driftende Strei­cher­musik. Gleich am Anfang wird das Gelände, ein alter Hof, den Ingi­mundur umbaut, in einer Einstel­lung zu den verschie­densten Tages- und Jahres­zeiten gezeigt. Das erinnert an die struk­tu­ra­lis­ti­schen Film­ex­pe­ri­mente von Michael Snow oder James Benning. Alles dreht sich um sich selbst, nichts ist richtig fassbar. Ähnlich wie sich bei Ingi­mundur alles um seine Trauer dreht, zu der er auch keinen Zugang findet.

Aber auch diese Welt kann noch erschüt­tert werden: Unter der Habe seiner Frau, die ihm seine Tochter übergeben hat, ist auch ein Camcorder. Auf ihm entdeckt der alte Mann eine schreck­liche Wahrheit, die für ihn bisher unvor­stellbar war: Seine Frau hat ihn betrogen. Was unförmige Trauer war, wird zu hand­festem Hass. Er beginnt Nach­for­schungen anzu­stellen, hat auch bald den Schul­digen gefunden. Langsam versteift sich in ihm die Idee, die Gerech­tig­keit wieder herzu­stellen. Ein Gespräch mit seinem besten Freund, der nebenbei der Meinung ist, dass Fremd­gehen eine völlig normale Sache ist, hilft genauso wenig wie seine Sitzungen beim Thera­peuten. Es müssen extremere Lösungen her. Langsam setzt er nicht nur seine Beziehung zur Vernunft, sondern auch die zu seiner alles gelieben Enkel­tochter aufs Spiel.

Jedes Rache-Drama würde hier die Spannung langsam nach oben drehen. Bei Weißer weißer Tag bleibt jedoch alles in seiner kühlen Atmo­s­phäre. So betont Pâlmason, dass Ingi­mun­durs Vorhaben kein wirk­li­cher Ausbruch ist. Es ist egal, ob er sein Haus baut oder sich für seine Schmach revan­chieren will, er watet weiterhin in seinem traurigen Sumpf hin und her. So ist letzt­end­lich der Betrug seiner Frau auch nur eine weitere Ausrede, um sich nicht seinem Verlust stellen zu müssen. Überhaupt spart Pâlmason mit emotio­nalen Stil­mit­teln. Es gibt keine Rück­blenden auf die glück­liche Ehe, keine Anhalts­punkte für das Publikum, an denen es das Besondere nach­voll­ziehen könnte, das hier einmal war. Weißer weißer Tag ist in gewisser Weise auch ein schwie­riger Film, da Bezugs- und Iden­ti­fi­ka­ti­ons­punkte oft fehlen. Der Zuschauer wird also über weite Strecken zum reinen Beob­achter, der das Geschehen wie in einem Versuchs­kasten wahrnimmt. Es wäre aller­dings falsch, sich davon abschre­cken zu lassen. Weißer weißer Tag ist eine nach­hal­lende Erfahrung, wie man sie nicht oft im Kino zu sehen bekommt.