Österreich 2018 · 96 min. · FSK: ab 6 Regie: Florian Weigensamer, Christian Krönes Drehbuch: Roland Schrotthofer, Florian Weigensamer Kamera: Christian Kermer Schnitt: Christian Kermer |
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Kühl und ruhig beobachtend |
Es sind eindrucksvolle, unerwartete Bilder, mit denen der Film beginnt: eine alte Legende aus der afrikanischen Mythologie wird erzählt, dazu sehen wir Großaufnahmen einer Echse.
Nur Puritaner des Antirassismus werden mit diesem Beginn nicht zufrieden sein, an dem Afrikaner, die Erzählerin aus dem Off zum Beispiel, mit der Natur, mit dem Tierischen, mit Mythen gedanklich kurzgeschlossen, sozusagen entzivilisiert werden. Doch was folgt, dürfte schnell auch die meisten
Puristen versöhnen.
Welcome to Sodom – Dein Smartphone ist schon da – der Titel dieses Films lässt scheinbar wenig Deutungs-Spielräume zu. Man erwartet da eine Doku, die moralisiert, die das Elend der Welt, die sie zeigt, auf dem Rücken der Zuschauer austrägt, und unwillig, oder bewusst Kapital schlägt aus dem Leiden.
Aber dieser Film ist weitaus weniger moralisierend, als der Titel erwarten lässt. »Sodom«, diesen menschlichen Sündenpfuhl aus dem Alten Testament, den Gott einst vernichten ließ, indem er Schwefel und Feuer darauf herabregnen ließ, diesen Ort gibt es wirklich. So nennen seine Bewohner Agbogbloshie, die größte Müllhalde Europas. Sie liegt mitten in Afrika, am Rand von Ghanas Hauptstadt Accra in einem ehemaligen Sumpfgebiet, das heute einer der giftigsten Plätze der Erde ist, ein schwarzer Moloch aus Rauch, Gestank und Müll. Über 40.000 Menschen und ungezählte Tiere leben in diesem Moloch von nichts anderem als vom Ausschlachten des Elektroschrotts aus den Wohlstandsregionen. Fast alle unsere Notebooks, Tablets und Smartphones landen hier.
Der Film von Florian Weigensamer und Christian Krönes, zwei deutsche Filmemacher in einer mehrheitlich österreichischen Produktion, blickt hinter die Kulissen dieses Ortes, auf seine Ökonomie und auf die Lebensumstände der Menschen hier. Sie stehen am untersten Ende der globalen Wertschöpfungskette. Die Filmemacher arbeiten Individualitäten heraus:
Etwa einen typischen Arbeitssuchenden, der erklärt, jede Arbeit zu tun, die Gott ihm gibt: »Any work God will give me, I will do, I will work hard, not like the White Man. This is Africa.« Ich werde hart arbeiten, nicht wie ihr Weißen. Dies ist Afrika.
Oder den Laienprediger dieses Slums, von dem man nicht genau weiß, ob er ein eifernd Gläubiger ist, oder einfach wahnsinnig: »Immortal God, I pray to you – Sodom, this place is wicked, wicked, wicked... Jehova, Allah.« Jehova und Allah, sie alle kommen in seinen Reden zusammen. Böse, bös, böse sei dieser Ort – da kann man ihm kaum widersprechen.
Alles hier wird verwertet. So gesehen ist Sodom ein notwendiger und ganz natürlicher Teil des Kapitalismus, nicht sein Gegenteil.
Dazu gehört auch das Geschlecht. Und die spannendste Figur, die der Film vorstellt, ist ein junges Mädchen, das sich burschikos gibt, und den Kopf geschoren hat, um als Jüngling durchzugehen – denn so kann man mehr Geld verdienen: »I also have to keep my secrets. That is why I shave my head, and dress like the boys here. I am a boy, I never wanted
to be a girl. Since I was little. I am good in acting.«
Auch in Afrika ist das Leben eine Bühne, auf der die Kunst der Verstellung regiert. Und der beste Darsteller des Lebens ist das Chamäleon, das jede Rolle spielen kann. Es ist der Kapitalismus und die mit ihm einhergehende Effizienzsteigerung und Verwertung auch des Körpers, die sogar noch Geschlechteridentität vorgeben – selten hat das ein Film so klar vorgeführt, wie dieser.
Eine gewisse postkoloniale Faszination für das Slum-Leben und diesen Ort, den sich kein Mensch ausdenken kann, ist in diesem Film erkennbar. Aber dies ist kein hysterisch aufgeheizter, sondern ein kühl und ruhig beobachtender Dokumentarfilm. Im Gegensatz zu vielen anderen Filmen über die Übel unserer Welt setzen die Macher nicht auf einfache Appelle, die radikal Umkehr fordern.
Die Filmemacher gewinnen diesem höllischen Ort viele Seiten und Facetten ab – es gibt in Sodom sogar eine Radiostation, und eine Rap-Gruppe, die Sodom besingt.
Die Musik ist gut. Sie schafft aber keine falschen Idyllen, sie verklärt oder beschwichtigt nicht. Es zeigt sich nur, dass es auch hier, im schwarzen Herz der Hölle, Leben und Menschlichkeit gibt.