USA 1997 · 115 min. · FSK: ab 6 Regie: Agnieszka Holland Drehbuch: Henry James, Carol Doyle Kamera: Jerzy Zielinski Darsteller: Jennifer Jason Leigh, Albert Finney, Ben Chaplin, Maggie Smith u.a. |
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Schon wieder eine Liebesgeschichte aus dem 19. Jarhundert. Aber was für eine. Es stimmt zwar: 80 Prozent der Probleme, die die Menschen in diesen Filmen ob nach Jane Austens und Henry James' Romanen, oder ob in Scorseses The Age of Innocence – haben, sind nicht mehr unsere. Wieviele Rüschen ein gutes Ballkleid auszeichnet zum Beispiel, oder in welchem Winkel man den kleinen Finger vom Punschglas abspreizt, um sich nicht als Bauertrampel ein für alle mal unmöglich zu machen, und, natürlich, wie man es schafft, eine möglichst gute Partie zu machen. Diese Frage dürfte freilich auch in der Risikogesellschaft unseres fin de siècle noch Vielen Kopfzerbrechen verursachen. Aber davon abgesehen, darf man vermuten, daß das wirklich Wichtige unter die übrigen 20 Prozent fällt. Das Verhältnis zu unseren Eltern etwa und natürlich die Liebe. Und um die Liebe, die eine große wahre Liebe geht es in Washington Square.
William Wyler verfilmte den Stoff bereits 1949 mit Olivia De Havilland, Montgomery Clift und Ralph Richardson. Ein junger schöner Taugenichts wirbt um eine unscheinbare aber reiche höhere Tochter, der Vater hält ihn für einen Mitgiftjäger.
Geld oder Lebenes ist diese räuberische Grundstruktur des Kapitalismus, die in jener materialistischen Gesellschaft auch alle übrigen Alternativen bestimmt. Auf der einen Seite stehen die Forderungen des Herzens, auf der anderen die kühle Rechenhaftigkeit der bürgerlichen Verwandtschaft. So werden noch die engsten Familienmitglieder kühlster Kalkulation unterworfen. Dr. Austin Sloper (Albert Finney) ist ein typischer Repräsentant dieser Welt, deren Denken er verinnerlicht hat. Zu seinem Unglück sieht er die Aktien seiner einzigen Tochter immer schon im Keller, seit dem Moment, als sie geboren wurde, und ihre von ihm geliebte Mutter im Kindbett starb. Tatsächlich ist Catherine (Jennifer Jason Leigh) schon als Kind ein häßliches Entlein. Ein unelegantes, fettes, Kind, das alles falsch macht, was man nur falsch machen kann. Man leidet als Zuschauer selbst fast körperliche Qualen, wenn man ihr zuschaut, und man versteht den Vater nur zu gut, der kaum mitansehen kann, wie sie ein ums andere Mal auf dem glatten gesellschaftlichen Parkett ausgleitet.
»Ich fand sie niemals begehrenswert und charmant« sagt der Vater über seine Tochter, ganz erstaunt von der Möglichkeit, daß es anderen nicht so gehen könnte. Wer dieses Mädchen zu lieben behauptet, so denkt er, muß es in Wahrheit auf das väterliche Vermögen abgesehen haben.
Was er aber nicht begreift, ist, daß es darum gar nicht geht. Denn wie Catherines Cousine treffend bemerkt: was wäre eigentlich so schlimm daran, solange nur Catherine mit Morris glücklich werden kann. Agnieszka Holland’s Verfilmung entdeckt das Vater-Tochter Drama unter der Oberfläche der Liebestragödie. Catherine kämpft um Anerkennung und Liebe ihres Vaters. Es ist eine traurige Geschichte, weil ihr Kampf erfolglos bleibt, es ist aber auch ein Prozeß der Emanzipation und Selbstfindung, und insofern gar nicht altbacken. Die Regisseurin erzählt das ganz unsentimental und viel besser als das meiste aus der Merchant-Ivory Fabrik, nur die Kamera ist leidenschaftlich. Und Jennifer Jason Leigh in der Hauptrolle ist so großartig, daß sie einen Oscar bekommen müßte, wenn es mit rechten Dingen zuginge.