Japan 2013 · 117 min. · FSK: ab 16 Regie: Takashi Miike Drehbuch: Tamio Hayashi Kamera: Nobuyasu Kita Darsteller: Nanako Matsushima, Tatsuya Fujiwara, Takao Osawa, Goro Kishitani, Masatô Ibu u.a. |
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Verfolger und Verfolgter: Action im Polizei-Stau |
Tikitikitiki. Tikitikitiki. Ein Geräusch, dahingeflötet von einer jungen Frau und doch so grausam und schmerzhaft. Sie sticht Nadeln in die Augen eines Mannes, der unter ihr am Boden liegt, und wir sind gezwungen, die Folter anzusehen, aus ähnlicher Perspektive wie diese versehrten, nicht mehr verschließbaren Augen. Diese Szene aus Audition, dem womöglich bekanntesten Film von Takashi Miike, hat ein Spiegelbild in seiner neuesten Arbeit Wara No Tate. Wieder ist es ein Moment höchster – und höchst peinvoller – emotionaler Intensität, als der Polizist Mekari (Takao Ohsawa) dem Kindsmörder Kiyomaru (Tatsuya Fujiwara) aus nächster Nähe ein Geständnis ins Gesicht brüllt. Und doch zeigt sich hier eine Verschiebung der Inszenierungsstrategie Miikes, weg vom Metaphorischen, Hinterlistigen, wenn man so will: Chirurgischen und hin zur brachialen Überdeutlichkeit.
Zugegeben: Miike ist einer der produktivsten Regisseure überhaupt, der immer schon plakativ (man denke an die Splatterorgie Ichi the Killer von 2001) genauso wie subtil inszenieren konnte, der den Trash erhob und das Kunstvolle mit Effekten zukleisterte. Aber in den vergangenen Jahren, mit Filmen wie dem recht konventionellen Horrorthriller The Call, der 2005 sogar in die deutschen Kinos kam, oder 13 Assassins von 2010, scheint sich zumindest eine Tendenz zu bestätigen: Miike erzählt nun für einen größeren Markt.
Wara No Tate wurde vom japanischen Arm von Warner Brothers mitfinanziert. Er gehört ins Genre der Polizeifilm-Blockbuster, die auch in Japan längst eine eigene Tradition haben, wie etwa die Reihe »Bayside Shakedown« um ein Tokioter Polizeirevier zeigt. Richtig bombastisch allerdings geht es nur am Anfang zu: Da kracht ein LKW höchst explosiv in einen Konvoi hinein, in dem sich auch der geständige Kiyomaru befindet, auf den der Großvater des Opfers ein Kopfgeld von einer Milliarde Yen ausgesetzt hat. Hastig wurde eine Sondereinheit zusammengestellt, die ihn von Fukuoka nach Tokio zum Staatsanwalt bringen soll.
Weiter geht es im Zug, später dann im PKW und sogar zu Fuß. Den Fokus der Erzählung verlagert Miike, der eine Romanvorlage von Kazuhiro Kiuchi verfilmt hat, dabei immer weiter ins Innenleben der Figuren – wie es sich für einen Roadmovie, ein Genre, bei dem der äußere Weg vor allem der Selbsterkenntnis dienen soll, nun mal gehört.
Während ein Verräter innerhalb der Truppe immer wieder den jeweiligen Aufenthaltsort Kiyomarus öffentlich macht, buchstabiert Miike deutlicher und deutlicher die persönliche Tragik und die moralischen Dilemmata der Polizisten aus. Da ist Mekari, der scheinbare Ruhepol der Operation, der aber innerlich zerfetzt ist vom vermeidbaren Unfalltod seiner Frau. Da istShiraiwa (Nanako Matsushima), eine alleinerziehende Mutter, die sich von diesem Himmelfahrtskommando die
dringend benötigte Beförderung verspricht. Da ist der ältere Vorgesetzte, der einen verzweifelten, armen Mann erschießen muss, weil der die Herausgabe des Täters mit dem Messer an der Kehle eines Mädchens erpressen möchte.
Und da ist der Schutzbefohlene selbst, überzeichnet ins beinahe pure Böse, in ein Monster mit Babyface, das sich mehr als einmal gegenüber den Polizisten so verhält, als bettele es um den eigenen Tod. Rechtsstaat und die Ehre als Polizist verteidigen, sicher,
den Tod dabei riskieren, nun, wenn es unbedingt sein muss – aber all das ausgerechnet für den?
Diese Konflikte klatscht Miike den Zuschauern ohne sonderliche Subtilität vor den Kopf, die Zwiespalte, in denen sich die Polizisten befinden, breiten sich immer wieder im Dialog aus – oder eben im Gebrüll, wie im Showdown zwischen Mekari und Kiyomaru. Das Gedankenspiel, das sich da vor dem Zuschauer ausbreitet, ist freilich immer noch ein Kraftvolles. Und gehört die Reduktion von Komplexität und das Kanalisieren von Ideen in Emotionen nicht ohnehin zu den klassischen Funktionsprinzipien mindestens des Genrekinos, wenn nicht der Kunst überhaupt?
Keine Frage, es fällt schwer, den alten Takashi Miike in diesem hoch budgetierten und nach den Formeln der einigermaßen entspannten Konsumierbarkeit angefertigten Films wiederzuerkennen. Aber mit der zunehmenden Entschleunigung von Montage und Bildeffekt bei gleichzeitiger Zuspitzung des emotionalen Gehalts formuliert er, wenn auch schwer erkennbar, dessen dramaturgische Klischees behutsam um.