Waren einmal Revoluzzer

Österreich 2019 · 108 min. · FSK: ab 12
Regie: Johanna Moder
Drehbuch: , ,
Kamera: Robert Oberrainer
Darsteller: Julia Jentsch, Manuel Rubey, Aenne Schwarz, Marcel Mohab, Lena Tronina u.a.
Schmerzhafte Hierarchien und Machtgefälle
(Foto: jip film & verleih/barnsteiner-film)

Wolkiger Widerstand

Johanna Moder legt mit ihrer Tragikomödie nicht nur überzeugend die Doppelmoral politischen Handelns und Widerstands bloß, sondern demaskiert auch versteckte Beziehungshierarchien

Dass sich jugend­li­cher Wider­stand irgend­wann abnutzt und spätes­tens mit dem ersten Kind gutbür­ger­liche Sättigung und poli­ti­sche Schlaff­heit einstellt, ist schon fast eine Binsen­weis­heit. Aber was passiert, wenn innerhalb dieses Adap­ti­ons­pro­zesses die alten Geister plötzlich wieder rufen, ist seltener Thema. Stefan Krohmer hat diesen Moment 2003 in seinem dichten Bezie­hungs­film Sie haben Knut kongenial ausge­leuchtet. Und Johanna Moder in Waren einmal Revo­luzzer.

Was bei Krohmer ein Volley­ball-Team und die vermeint­liche Festnahme eines der Mitglieder war, ist in Johanna Moders über­zeu­gender Tragi­komödie ein russi­scher Dissident, der von zwei befreun­deten Wiener Paaren eher zufällig und spie­le­risch von Russland nach Wien geschleust wird. Dass Pavel (Tambet Tuis) jedoch mit Frau und Kind kommt, über­rascht beide Paare, deren anfäng­liche Euphorie, sich politisch endlich wieder einmal zu enga­gieren und das ange­schla­gene liberale Gewissen zu pflegen, schnell in bezie­hungs­dy­na­mi­sche Verwer­fungen mündet.

Moder legt diese Geschichte sehr subtil an und gestattet sich nur zu Beginn ein paar Flucht-Span­nungs­mo­mente, doch selbst hier dominiert bereits die Frage, warum die von Julia Jentsch eindring­lich verkör­perte Helene sich überhaupt um Pawels Ausreise kümmert. Ist es wirklich nur poli­ti­sche Moti­va­tion oder doch eher eine im Alltags­frust mit ihren zwei Kindern und ihrem Partner Volker (Marcel Mohab) begrün­dete Sehnsucht, über Pawel, mit dem sie vor langer Zeit eine Beziehung hatte, eine Exit-Alter­na­tive zu ermö­g­li­chen? Und auch Jakob (Manuel Rubey), der Pawel erst die Ausreise ermö­g­licht, handelt alles andere als altru­is­tisch, sondern offen­sicht­lich aus einer Verlet­zung heraus, die Helene ihm zugefügt hat, als sie mit ihm zusammen war.

Diese Bezie­hungs­dy­na­miken beginnen sich wie in einem Teil­chen­be­schleu­niger im Laufe des Films immer schneller zu drehen und neue Zustände und Wahr­heiten zu etablieren. Dabei legt Moder nicht nur schmerz­haft die Hier­ar­chien und Macht­ge­fälle hinter scheinbar gut funk­tio­nie­renden und harmo­ni­schen Bezie­hungen gnadenlos bloß, sondern wirft vor allem auch einen so unge­wöhn­lich wie klugen Blick auf poli­ti­sches und mora­li­sches Handeln im Migra­tions- bzw. Flücht­lings­kon­text, das von eben­sol­chen Hier­ar­chien und Macht­ge­fällen gezeichnet ist wie sie innerhalb der Paar­be­zie­hungen exis­tieren, und dort wie hier von dem Deck­mantel vermeint­lich intakter mora­li­scher Inte­grität und Gutsein kaschiert werden.

Doch neben diesen bissigen Beob­ach­tungen ist Waren einmal Revo­luzzer einfach ein toller, ein großar­tiger Bezie­hungs­film. Nicht nur durch die zuneh­mende Verdich­tung des unheil­vollen Bezie­hungs­kar­rus­sels und dem poin­tierten Einsatz von Leer­stellen bei der Charak­te­ri­sie­rung der Prot­ago­nisten, sondern vor allem durch die von Moders fulminant insze­nierten, grup­pen­psy­cho­lo­gi­schen Momente. Wie etwa das russische Paar in einem so verrückten wir realis­ti­schen Finale auf dem Land mit den beiden Paaren und den beiden Kindern so ruhig wie drama­tisch kolli­diert, Erwar­tungs­hal­tungen und Realität immer weiter ausein­an­der­driften, das hat schon fast tsche­chow­sche Quali­täten und ist mitreißendes Kino.