Wackersdorf

Deutschland 2018 · 123 min. · FSK: ab 6
Regie: Oliver Haffner
Drehbuch: ,
Kamera: Kaspar Kaven
Darsteller: Johannes Zeiler, Peter Jordan, Florian Brückner, Anna Maria Sturm, Andreas Bittl u.a.
Aufgeben oder kämpfen?

Das ABC unserer Gegenwart

»Die Erde reist durch den Weltraum. Was ist ein Dorf auf dieser Erde? Es kann eine Spore auf der Schale einer faulenden Kartoffel oder ein Pünktchen Rot an der besonnten Seite eines reifenden Apfels sein.«
- Erwin Stritt­matter, Ole Bienkopp

Besser hätte Oliver Haffner Wackers­dorf wirklich nicht plat­zieren können. Schon bei der Premiere im Sommer auf dem Münchner Filmfest erschien Wackers­dorf wie der fast schon unheim­lich perfekte Kommentar zur gegen­wär­tigen baye­ri­schen Politik von Söder und Seehofer (und popu­lis­ti­scher Politik an sich) und war ein Highlight der Sektion »Neues Deutsches Kino«. Aber dass ihm nun auch noch die Gemenge­lage um den Hambacher Forst Wind in die Segel bläst, ist wirklich kaum zu glauben.

Kaum zu glauben ist dabei natürlich vor allem, dass die Geschichte mal wieder der beste Lehr­meister ist, auch wenn dann doch niemand drauf hört. Denn was vor über 30 Jahren im ober­pfäl­zi­schen Wackers­dorf passierte, passiert unter leicht verän­derten Koor­di­naten auch jetzt wieder. Denn auch damals ging es um die Braun­kohle und den Nieder­gang der Braun­koh­le­indus­trie, die den Landkreis Schwan­dorf damals zum Landkreis mit der deutsch­land­weit höchsten Arbeits­lo­sen­quote machte. Der damalige SPD-Landrat Hans Schuierer glaubte deshalb fast ein Geschenk der Götter zu erhalten, als er von den Plänen der baye­ri­schen Landes­re­gie­rung unter­richtet wurde, dass ausge­rechnet in seinem Bezirk die zentrale Wieder­auf­be­rei­tungs­an­lage für abge­brannte Brenn­s­täbe aus Kern­re­ak­toren (WAA) in Deutsch­land gebaut werden sollte. Nicht nur Arbeits­plätze wurden dadurch garan­tiert, auch eine fast schon verloren geglaubte Wieder­wahl stand damit wieder im Raum. Doch je mehr Schuierer von der Industrie und der poli­ti­schen Zentrale in München »in Watte« gelegt werde, desto skep­ti­scher wurde er, desto mehr wandelte er sich von einem Saulus zum Paulus. Er verwei­gerte die von ihm gesetz­lich erfor­der­liche Bauge­neh­mi­gung und wurde daraufhin politisch mit der soge­nannten »Lex Schuierer«, die besagt, dass der Freistaat Bayern in höheren Belangen ohne die Zustim­mung eines Landrats bauen kann, kalt­ge­stellt. Der Streit eska­lierte, Schuierer legte sich nun auch öffent­lich mit dem WAA-Förderer Franz Josef Strauß an, sprach von »Ein-Mann-Demo­kratur Strauß’scher Prägung«, »CSU-Demo­kratur«, »Terror in Voll­endung«. Und umgekehrt nannten Strauß und sein Innen­mi­nister August Lang Schuierer einen »Steig­bü­gel­halter des Kommu­nismus«, »Volks­ver­hetzer«, »Rädels­führer« und beschul­digten ihn der »Sabotage«. Eine verletzte Beziehung also, die auch nicht mit dem Ende der Bautä­tig­keiten 1989 und auch nicht mit dem Ausscheiden des Landrats Schuierer aus der Politik 1996 wieder geheilt werden konnte – bis heute bleibt Hans Schuierer seit 1945 der einzige Landrat, der nach seinem Ausscheiden nicht den obli­ga­to­risch verlie­henen Baye­ri­schen Verdienst­orden erhalten hat.

Doch Haffner konzen­triert sich in seinem histo­risch akkuraten Ritt durch die Klimax der deutschen Anti-Atomkraft-Bewegung nicht allein auf die Persön­lich­keit Schu­ie­rers, sondern gibt mit einer Mischung aus fein dosiertem Humor, emotio­naler Dichte, bissiger poli­ti­scher Analyse und dezent einge­setzten Polit­krimi-Motiven auch eine Nach­hil­fe­stunde in Sachen Wider­stand. Das erinnert in Ansätzen an seinen letzten Film, Ein Geschenk der Götter, in dem Haffner ebenfalls die Frage nach Aufgeben oder Kämpfen in den Vorder­grund stellt. In Wackers­dorf wird diese grund­sätz­liche Frage jedoch noch einmal um eine explizit poli­ti­sche Dimension erweitert.

Denn Haffner stellt die so wichtige Frage, was zu tun ist, wenn die poli­ti­schen bzw. wirt­schaft­li­chen Instanzen scheitern, wenn Popu­lismus Rechts­si­cher­heit auszu­he­beln versucht und wirt­schaft­liche Inter­essen vor Gemeinnnutzen gestellt werden. Dann bleibt im Grunde nur eins – die infor­melle Stärkung zivil­ge­sell­schaft­li­cher Instanzen, die sich, wie jetzt auch im Hambacher Forst, über unab­hän­gige Protest­be­we­gungen arti­ku­lieren müssen. Haffner buch­sta­biert dieses so essen­zi­elle ABC unserer poli­ti­schen Vergan­gen­heit – wie auch Gegenwart – mit einem hervor­ra­genden Ensemble und an Origi­nal­schau­plätzen durch, dekli­niert und konju­giert dabei so aufregend, und gleich­zeitig nicht vor großen Gefühlen zurück­schre­ckend, die verschie­densten Grund­dis­po­si­tionen von aktivem und passivem Handeln durch, dass man nach Wackers­dorf unwei­ger­lich seinen eigenen Stand­punkt hinter­fragt. Denke ich nicht nur, sondern handele ich auch genug?

Wackers­dorf erinnert gleich­zeitig aber auch daran, wie schwach der Mensch ist, wie ihn Angst genauso umtreibt wie Versagen, wie kleinste indi­vi­du­elle wirt­schaft­liche Bedenken zu kleinsten gemein­samen Nennern unser aller Realität werden können. Genauso klein kann, darf und muss dann auch der Wider­stand dagegen beginnen, und sei es nur eine der vielen Eingaben beim Baye­ri­schen Staats­mi­nis­te­rium für Ernährung, Land­wirt­schaft und Forsten, um sich darüber zu beschweren, dass der Gemein­derat der kleinen Ortschaft nebenan nun schon dem dritten Super­markt die Erlaubnis erteilt hat, einen Wald zu roden und den Boden nach­haltig zu versie­geln.