Verräter wie wir

Our Kind of Traitor

Großbritannien/F 2016 · 108 min. · FSK: ab 16
Regie: Susanna White
Drehbuch:
Kamera: Anthony Dod Mantle
Darsteller: Ewan McGregor, Stellan Skarsgård, Damian Lewis, Naomie Harris, Jeremy Northam u.a.
Spionagethriller in der Metro

Freundschaftsdienst mit Folgen

Er gilt als Grand­sei­gneur des Spio­na­ge­ro­mans. War früher selbst für den briti­schen Geheim­dienst tätig. Und schreibt noch heute, im Alter von 84 Jahren, über Verwick­lungen in Politik und Wirt­schaft. Zahl­reiche Werke des engli­schen Schrift­stel­lers John le Carré, der mit bürger­li­chem Namen David Cornwell heißt, wurden seit den 1960er Jahren für das Kino adaptiert und bieten dem geneigten Zuschauer eine realis­ti­sche Alter­na­tive zu den Extra­va­ganzen der James-Bond-Reihe. Statt großer Action­s­e­quenzen und glamouröser Schau­plätze dominiert in seiner Welt ein genauer Blick auf die Figuren und die mora­li­schen Fragen, die ihr Handeln aufwirft. Zu beob­achten war diese Qualität auf der Leinwand zuletzt in Anton Corbijns A Most Wanted Man, der den zermür­benden Terror­ab­wehr­kampf eines deutschen Agenten in einem trost­losen Hamburg-Umfeld zeigt. Gespielt wurde diese höchst tragische Gestalt von Philip Seymour Hoffman, der kurz vor seinem Tod im Frühjahr 2014 noch einmal zu darstel­le­ri­scher Höchst­form auflief.

Nach diesem bedächtig erzählten, atmo­s­phä­ri­schen Geheim­dienst­drama steht mit Verräter wie wir eine weitere John-le-Carré-Verfil­mung in den Start­löchern. Deren Ausgangs­lage erinnert an ein beliebtes Hitchcock-Szenario, in dem ein unbe­schol­tener Bürger unver­se­hens in eine äußerst gefähr­liche Ange­le­gen­heit verwi­ckelt wird. Leid­tra­gender ist in diesem Fall der Oxford-Dozent Perry (Ewan McGregor), der im Marra­kesch-Urlaub den groß­spu­rigen Russen Dima (Stellan Skarsgård) kennen­lernt und von diesem zu einer ausschwei­fenden Party einge­laden wird. Kurz darauf erkennt der Akade­miker, dass ihn sein neuer Freund nicht ohne Grund hofiert. Als Buch­halter einer russi­schen Mafia­or­ga­ni­sa­tion fürchtet Dima nach der Einset­zung eines neuen Paten um sein Leben und will daher mit seiner Familie nach Großbri­tan­nien flüchten. Perry soll bei der Rückkehr in seine Heimat einen USB-Stick mit wichtigen Infor­ma­tionen zum Syndikat an den Geheim­dienst weiter­rei­chen, der – so plant es Dima – im Gegenzug umfas­senden Schutz gewährt. Als der MI6-Agent Hector Meredith (Damian Lewis) auf die brisanten Daten aufmerksam wird, beginnt für alle Betei­ligten ein Katz-und-Maus-Spiel.

Regie­le­gende Alfred Hitchcock stand der nicht selten unwahr­schein­li­chen Konstruk­tion seiner Geschichten bekannt­lich gleich­gültig gegenüber. Wichtiger als die Plau­si­bi­lität des Gezeigten war für den großen Filme­ma­cher stets die Frage, wie man die Nerven des Publikums am effek­tivsten kitzeln könnte. Viele seiner Werke beweisen eindrück­lich, dass ein Nach­denken über logische Unge­reimt­heiten ausbleibt, solange der Regisseur die Spannung wirkungs­voll erzeugt und clever hochhält. Obwohl Verräter wie wir in bester Hitchcock-Manier beginnt, lässt sich die unglaub­wür­dige Prämisse der Roma­n­ad­ap­tion nicht einfach igno­rieren. Warum sich der eher biedere Perry mit dem zwie­lich­tigen Dima abgibt und den hoch­bri­santen Dienst­bo­tenjob letztlich ausführt, kann auch Dreh­buch­autor Hossein Amini nicht über­zeu­gend darlegen. Ohne Probleme hätte der Uni-Dozent das Weite suchen können, nimmt statt­dessen aber bereit­willig an einer Geheim­dienst­ope­ra­tion teil, die ihn und seine entfrem­dete Ehefrau (Naomie Harris) in Lebens­ge­fahr bringt.

Stand in Corbijns A Most Wanted Man eine Haupt­figur mit Ecken und Kanten im Mittel­punkt, bekommen wir es hier mit einem eher blassen Prot­ago­nisten zu tun. In den Schatten gestellt wird Perry besonders von seinem neuen Bekannten Dima, der spürbar über­zeichnet ist. Stellan Skars­gårds kraftvoll-unge­bremste Darstel­lung sorgt jedoch dafür, dass die Mischung aus groß­spu­rigem Russen-Alphatier und verletz­li­chem Fami­li­en­vater einen unwi­der­steh­li­chen Charme verströmt. Eine eigen­wil­lige Aura strahlt auch der von Damian Lewis verkör­perte Geheim­dienst­mit­ar­beiter Hector Meredith aus, dessen persön­liche Motive für die Invol­vie­rung in den Fall aller­dings etwas mehr Aufmerk­sam­keit verdient gehabt hätten. An der Ober­fläche bleibt der Film auch in der Beschrei­bung der Verqui­ckung von Russen­mafia und briti­scher Politik. Große Über­ra­schungen sucht man vergebens. Und die Fronten zwischen Gut und Böse verlaufen insgesamt recht eindeutig, was für die le-Carré-Arbeiten der letzten Zeit eher unge­wöhn­lich ist.

Auch wenn man folglich keine große Thriller-Kunst erwarten darf, gelingen der briti­schen Regis­seurin Susanna White einige packende Span­nungs­mo­mente, die den Betrachter um die Figuren bangen lassen. Bemer­kens­wert ist außerdem der kunstvoll kompo­nierte Einstieg, der auf geheim­nis­volle Weise eine Ballett-Veran­stal­tung mit dem tödlichen Wirken des neuen Mafia­paten verbindet. Für eine anspre­chende Optik sorgt Oscar-Preis­träger Anthony Dod Mantle, der die verschie­denen, zum Teil exoti­schen Schau­plätze – unter anderem Marra­kesch, London und die Alpen – in schönes Licht zu rücken weiß. Das alles reicht am Ende aber nicht, um den erzäh­le­risch sche­ma­ti­schen Film in einen außer­ge­wöhn­li­chen Spio­na­ge­thriller zu verwan­deln.

Der Mann, der zu viel wusste

Das große schöne Leben, Partys, Geld, edle Objekte aller Art – sie locken Perry, die etwas lang­wei­lige, aber grund­sym­pa­thi­sche Haupt­figur dieses Films. Verräter wie wir, die Verfil­mung von Le Carrés 2010 erschie­nenem neuestem Roman, beginnt immerhin in einem luxu­riösem Feri­en­res­sort in Marokko.
Ewan McGregor spielt diesen Perry, einen etwa Mitte dreißig­jäh­rigen Oxford-Dozenten. Ihm geht es gut, er hat eine schöne Frau, wenn auch die Ehe gerade kriselt, und ein sicheres Leben in den oberen Etagen der briti­schen Gesell­schaft. Nur ist es dort auch etwas lang­weilig. Oder, mit einem Kalen­der­spruch formu­liert: Wenn es dem Esel zu wohl wird, geht er aufs Eis. Doch dieses Eis ist dünner, als erwartet.

Im Grunde ist das Smart­phone schuld. Denn als es mitten im Urlaub in Marra­kesch klingelt, muss Perrys Frau Gail, eine erfolg­reiche Juristin, zu einer Tele­fon­kon­fe­renz, und der Gatte bleibt eine Weile allein zurück. So lernt er einen reichen feier­wü­tigen Russen kennen, und freundet sich an. Ein Oligarch, so scheint es zunächst. Doch Dima, so der Name des immer gut gelaunten, für die feinen Briten etwas zu direkten Rauh­bur­schen, ist mehr als das: Er entpuppt sich als Mann mit krimi­nellen Angründen, der sehr genau weiß, was er von Perry will: Kontakt zum MI5 und einen luxu­riösen Ausgang aus seinem bishe­rigen Leben – gemeinsam mit seiner Familie – im Austausch bietet er eine Liste mit brisanten Namen. Darunter auch Briten, die für die Russen arbeiten.

Perry lässt sich darauf ein, Dima bei der Kontakt­auf­nahme mit dem briti­schen Geheim­dienst zu helfen – und findet sich zusammen mit seiner Frau Gail und einem briti­schen Geheim­agenten namens Hector bald in einer brand­ge­fähr­li­chen Operation wieder, bei der es nicht nur gegen die Russen, gegen Mafia und Putins Geheim­dienst, sondern auch gegen deren einfluss­reiche Verbün­dete in höchsten engli­schen Politiker-Kreisen geht.

Der britische Autor John le Carré ist seit über 50 Jahren ein Meister der realis­mus­ge­sät­tigten Agenten-Romane und Polit-Thriller, der »Anti-James-Bonds« wenn man so will. Abenteuer und Glamour spielen hier allen­falls am Rand eine Rolle und in den Köpfen mancher Figuren. Die Story aber kreist um zeit­genös­si­sche Abgründe: Die Geld­wä­sche der russi­schen Mafia. Verräter wie wir heißt im Original Our Kind of Traitor, unsere Art Verräter – das trifft das tiefere Problem des Films besser. Denn es geht hier um so altmo­di­sche Dinge wie Anstand und Ehre, um Verrat als Mittel zum Überleben und um die allge­meine Korrum­pier­bar­keit des Menschen.
Dima, der mit seiner Familie vor der russi­schen Mafia ins englische Exil zu entkommen versucht, hat den strengen Ehren­kodex der krimi­nellen Mafia verin­ner­licht. Der junge mate­ria­lis­ti­sche Oxford-Dozent kommt irgend­wann zu der Frage, ob er es ehrenhaft fände, für sein Land zu sterben.

Es geht auch um Männ­er­bilder: Wie hart darf, wie weich muss ein Mann sein, um als zeitgemäß zu gelten? Ewan McGregor, Damien Lewis und Stellan Skarsgard sind nicht nur hoch­karä­tige Darsteller – sie reprä­sen­tieren die verschie­denen Facetten von Männ­lich­keit.

Susanna Whites Verfil­mung erinnert vor allem an Klassiker ihres Lands­manns Hitchcock, wie Der unsicht­bare Dritte und Der Mann, der zu viel wußte, der auch in Marra­kesch beginnt – Geschichten von Normal­men­schen, die in den Strudel abgrün­diger Gescheh­nisse verwi­ckelt werden, und lernen, dass das Leben noch eine andere dunkle Seite hat, jenseits bürger­li­cher Behag­lich­keit. Thema ist also die Bewahrung von Inte­grität, das Bewusst­sein, das Richtige zu tun. Aber auch die Frage, was dieses Richtige überhaupt ist?

John Le Carrés Erzählung wirft ein grelles Licht auf die verän­derte Welt und die neue Unordnung nach dem Ende der Block­kon­fron­ta­tion. In der Demo­kratie meint man gern sicher und risi­ko­frei zu leben – man kann gegen alle Kriege sein und den Müll trennen. Doch Perry, der Held des Films, erkennt, dass man mit dieser Art Moral manchmal nicht weiter­kommt. Er lernt für sein Land zu lügen und zu täuschen.
Die univer­sale Frage dahinter ist so klar wie schwer zu beant­worten: Was sind wir der Gesell­schaft schuldig, in der wir leben? Auch in Susanna Whites immer span­nendem, facet­ten­rei­chen Film steht sie im Zentrum.