Die Verachtung

Le mépris

Frankreich 1963 · 103 min. · FSK: ab 6
Regie: Jean Luc Godard
Drehbuch: ,
Kamera: Raoul Coutard
Darsteller: Brigitte Bardot, Jack Palance, Michel Piccoli, Giorgia Moll, Fritz Lang u.a.
Der Mann, die Frau, das Auto und noch ein Mann
(Foto: Studiocanal)

Der Film der Filme

Komplizen des Unendlichen: Jean Luc Godards Le mépris kommt wieder ins Kino. Der Film erzählt von Liebe, Geld, Kino – und von Verachtung

»The point of Le mépris is that these are people who look at each other and judge each other and then are in turn looked at and judged by the cinema.«
JLG

Die aller­erste Szene dieses Films beginnt mit einer langen Kame­ra­fahrt, in der der Regisseur selbst die Titel­credits spricht und das Star­system evoziert: »ll ya Brigitte Bardot, Michel Piccoli.«
Die Fahrt führt in die Minerva Film­stu­dios, uner­klär­li­cher­weise benannt nach der antiken Göttin der Weisheit. Am Ende der Szene dreht sich die Kamera und blickt selbst ins Publikum. Wir wissen nun: Es geht ums Kino.

In der zweiten Szene geht es dann um die Liebe: Jetzt sehen wir auch die Stars Bardot und Piccoli selbst.

In der dritten Szene geht es um Geld und um Macht. Was ungefähr das Gleiche ist. Um Arbeit.

»Es ist das Ende der Film­in­dus­trie,« sagt jemand in diesem Film, und das mag sogar gestimmt haben Anfang der 60er Jahre. Es ist Krisen­zeit.
Kurz darauf fällt der schöne Satz: »This is not ’33, it’s ’63.« Und wir erstarren: Wie nahe das alles noch dran war am deutschen Faschismus. Nur 30 Jahre.
Und Prokosh, der Hollywood-Produzent mit dem deutsch klin­genden Namen, ist der veritable Nach­folger der politisch-kultu­rellen Barbaren und variiert deren berühmte Sentenz: »Whenever I hear the word culture, I take out my checkbook.«

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Nahtlos folgt die vierte Szene: Im Vorführ­raum der Studios sitzt Fritz Lang, es laufen Szenen seiner Verfil­mung der »Odyssee«. Fritz Lang erklärt:

»I dont know if you are able to under­stand the journey. I certainley hope, you can: It’s a fight against the god. The fight of Prome­theus and Ulysses.«

Und dann zitiert er Dante: »Think of the seed of your creation. You were not born to live as brutes, but to follow virtue and knowledge.«

Dann dreht sich die Kamera um 180 Grad. Wir sehen den Rücken von Lang, während er sich mit dem Produ­zenten streitet, der behauptet, das von Lang Gedrehte stünde nicht im Drehbuch. Lang versucht, ihm zu erklären: »In the script it is written, and on the screen it’s pictures. Motion picture, it’s called.«

Unter der Leinwand steht ein Lumière-Zitat: »Das Kino ist eine Erfindung ohne Zukunft.«

Die Über­set­zerin, die hier alles doppelt und dreifach sagt, gehört zu den Ironien dieses Films. Mythos und Banalität, die Odyssee und der Kommerz Holly­woods fallen inein­ander, ein Produzent und ein Autor verbünden sich gegen den Regisseur.
Dazwi­schen stehen die Gefühle. Und eine tragische Weltsicht: Allein mit der Über­set­zerin räsoniert Lang:

»Homers Welt ist eine reale Welt, und der Dichter gehörte einer Zivi­li­sa­tion an, die sich im Einklang und nicht im Gegensatz zur Natur entwi­ckelt hat. Und die Schönheit der Odyssee liegt gerade in diesem Glauben an die Realität, wie sie ist.«
»Also eine Realität, wie sie sich objektiv darstellt?«
»Genau das ist es. Und in einer Form, die nicht zerfällt und die ist, was sie ist, ob man sie nun annimmt oder nicht.«

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Liebe, Arbeit, Kino – damit sind auch die drei zentralen Elemente dieses Films und der Filme dieses Regis­seurs benannt.

Es gibt andere Triaden. Godard war ein dialek­tisch, also triadisch denkender Regisseur: In hellem, kühlem Tech­ni­color zuerst Blau-Weiß-Rot, dann Blau-Gelb-Rot.

Ein Mann und eine Frau. Noch ein Mann. Eine kapri­ziöse Frau, ein schwacher, aber intel­lek­tu­eller Mann, und ein anderer Mann, der wie ein Affe ist; oder besser: wie ein Reptil, eine Schlange. Adam und Eva – unter anderem kann man an dies denken.
»Eine Frau ist eine Frau.« Dann muss auch gesagt werden: Ein Mann ist ein Mann. Godard zeigt aber, dass man diesen Satz nicht sagen kann, weil der ameri­ka­ni­sche Produzent ein anderer Mann ist als der fran­zö­si­sche Autor.

Tragödie – Melodram– Komödie. Der Film ist alles drei.

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Der Autor Paul (Piccoli) ist ein moderner Mensch, der im Kino lebt und sich fort­wäh­rend mit Kino beschäf­tigt und Filme sieht und sich mit Figuren aus dem Kino iden­ti­fi­ziert.
Er ist gekenn­zeichnet durch den konstanten Willen zum Wissen. Zum Heraus­finden, Tiefer­gründen. Er will die Gründe für das Benehmen seiner Frau verstehen und analy­sieren. Paul schreibt Detek­tiv­ge­schichten, und er wird selber zum Detektiv, der sich die Bauteile zusam­men­setzt; der einen Hut aufhat wie Humphrey Bogart in seinen Filmen – der als Referenz genauso wichtig ist, auch wenn Dean Martin in Some came running im Film erwähnt wird.

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Die Verach­tung, fran­zö­sisch Le mépris, ist die Verfil­mung des gleich­na­migen Romans von Alberto Moravia. Aber eine sehr freie Verfil­mung, die das Buch an vielen entschei­denden Stellen verändert und weiter­ent­wi­ckelt.

Mehr als das ist dies ein faszi­nie­rendes künst­le­ri­sches und mensch­li­ches Kino-Abenteuer, das von der über­ra­schenden Zusam­men­ar­beit zwischen zwei Größen des Kinos, von Jean-Luc Godard und Brigitte Bardot, geprägt ist.
Was erzählt dieser Film? Er erzählt von einem Ehepaar, das sich liebt und von einem plötz­li­chen Moment, in dem diese Liebe stirbt. Viel­leicht kann man diesen Moment sogar ganz genau fest­ma­chen. Fest­ma­chen in den Augen der Bardot, als sie in den Wagen des Produ­zenten steigt, in dem sie zu Tode kommen wird. Doppelt.
Es ist der Moment der doppelten Prosti­tu­tion: Paul verkauft sich an den Produ­zenten, und er verkauft ihm seine Frau. Er gibt sie hin, sie zögert.

Nur ober­fläch­lich wirkt dieser Film ein bisschen altmo­disch und patri­ar­chal. Tatsäch­lich erweist sich Jean-Luc Godard, indem er ganz die Partei der Frau ergreift, ihr Empfinden ins Zentrum rückt und aus ihrer Perspek­tive auf das Geschehen blickt, einmal mehr als ein Feminist. Die wirk­li­chen Haupt­fi­guren in diesem Film, das sind nämlich nicht diese beiden Männer, die die Frau begehren. Sondern es ist die Frau selbst. In ihren Blicken, in den Augen und im Gesicht von Brigitte Bardot, spielt sich alles ab. Man kann über Brigitte Bardot denken, was man möchte – was Jean-Luc Godard über sie gedacht hat, das zeigt er in diesem Film: Er ist auf ihrer Seite. Er fühlt mit ihr, er leidet mit ihr.
Godard erschuf Bardot hier als ernst­hafte Schau­spie­lerin, weg von der BB, dem Bébé, das die Yellow­press aus ihr gemacht hatte.

Ist es Pauls Verhalten, bevor Camille in den Wagen des Produ­zenten steigt, das die Verach­tung des Titels evoziert, oder ist es Pauls nicht begrei­fendes Verhalten über ihren Ärger?

Paul weiß von Anfang an, was Prokosch von seiner Frau will und Camille weiß, dass Paul es weiß. Indem er sie drängt, gegen ihren offen­sicht­li­chen Willen, mit dem Produ­zenten zu fahren, benutzt er die Schönheit seiner Frau, um seine eigene Karriere zu promoten. Und so verliert er die Liebe seiner Frau, bei der Godard bleibt und mit der er Soli­da­rität empfindet, genau wie das in diesem Film oft zitierte Vorbild Howard Hawks.

Ganz kurz erscheint die Statue der Athene, Odysseus Beschüt­zerin, als sie hände­hal­tend das Haus des Produ­zenten verlassen. Gibt es da noch Hoffnung? Es hilft nichts mehr.

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»I don’t know how to tell stories I want to mix ever­ything, to restore ever­ything, to tell all at the same time. If I had to define myself I would say that I am a 'painter of letters' as others would say they are 'men of letters'.«
JLG, Interview mit dem »Nouvel Obser­va­teur«, 1966

Godard steht für die neue Philo­so­phie, eine moderne Philo­so­phie der Bewegung, die viel­leicht mit Diderot, den Roman­ti­kern und Hegel den Anfang nahm, aber erst richtig von Nietzsche und Bergson entwi­ckelt wurde. Es ist eine Philo­so­phie, die der von Aris­to­teles und Kant entge­gen­steht, die den Gedanken der Reprä­sen­ta­tion verwirft und statt­dessen den der Bewegung ins Zentrum rückt: Und... und... und... statt entweder/oder.

Immer wieder hat sich Godard auf Friedrich Schlegels Vorstel­lung vom Kunstwerk berufen (vgl. Athäneums-Fragmente, 206), das gleich­zeitig ein Fragment ist und komplett.

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Die zweite Haupt­figur ist Fritz Lang, der welt­berühmte Meis­ter­re­gis­seur aus der Epoche, als das Kino erst entstand, der deutsche Emigrant und Über­le­bende aus Weimar und aus Hollywood. Fritz Lang, den Godard verehrte, so sehr, dass er hier selbst auftritt als der Assistent des Regis­seurs, spielt sich selbst und spricht mit der von Brigitte Bardot gespielten Camille über seine eigenen Filme, darüber, dass er M – Eine Stadt sucht einen Mörder lieber mag als seinen Dietrich-Western Rancho Notorious.

Neben den beiden Polen der Liebe einer­seits, dem Geld und der Macht ande­rer­seits, reprä­sen­tiert er das dritte Element, um das es hier letzt­end­lich vor allem geht: Das Kino. Es ist die Methode Godards, die Wirk­lich­keit mit dem Kino, die Natur mit dem Mythos, den Körper mit dem Geist zu verschmelzen. Erst recht hier in diesem Film, der selbst noch direkter als alle anderen Filme Godards über das Kino nachdenkt und der zeigt, wie Kino gemacht wird, in dem das Kino, seine mythische, welt­er­schaf­fende, aber auch seine zerstö­re­ri­sche Kraft die Haupt­rolle spielt.
Seine Filme sind offene Kunst­werke im Sinn des Philo­so­phen Umberto Eco: Es sind inter­me­diale Werke, nicht nur in der Essay- und Colla­ge­struktur, sondern auch in der Art, wie nicht allein die Film­ge­schichte ständiger Bezugs­punkt ist, sondern wie der Alltag, die Medien, andere Künste, in diesem Fall sogar die Mytho­logie in die offene Textur inte­griert werden.

Fritz Lang zeigt sich hier als er selbst. Voller Würde, nie verstellt, sondern als ein Gentleman, ein Mann mit Manieren und Verhal­tens­weisen aus einer schon damals vergan­genen Epoche. Ein Zeus zwischen Zwergen.

Voller Verach­tung für den Hollywood-Produ­zenten beschreibt er ihn als »Diktator«.

Aber mehr inter­es­siert ihn das Nach­denken über die Sache: »Odysseus ist kein moderner Neuro­tiker«, sagt Fritz Lang.

Der Lang von Godard ist authen­tisch, mag es sich auch um Godards Ideal­vor­stel­lung des Bewun­derten handeln: Ein intel­lek­tu­eller aus der alten Welt, der anstren­gungslos Hölderlin, Brecht und Dante zitiert und einen starken Kontrast zu dem Ameri­kaner bildet, der aus einem Buch, das ähnlich wie eine kleine rote »Mao-Bibel« aussieht, banale Apho­rismen zitiert.

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Der italie­ni­sche Haupt­pro­du­zent Carlo Ponti nahm den fertigen Film, synchro­ni­sierte die Dialoge und die Viel­spra­chig­keit der vier Sprachen komplett ins Italie­ni­sche und besei­tigte Georges Delerues großar­tigen Sound­track komplett. Dann schnitt er 16 Minuten aus dem Film heraus und kübelte das Ergebnis in den heimi­schen Markt ohne Godards Namen auf den Credits.

Seit den frühen 70er Jahren war Le mépris aus den ameri­ka­ni­schen Kinos, selbst den New Yorker Off-Kinos verschwunden, im Gegensatz zu vielen anderen Filmen des Regis­seurs, zu Pasolini oder Straub.

Nur auf VHS war er in den 80er Jahren in den USA zu bekommen, in einer abge­scannten und wiederum synchro­ni­sierten Version.

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Die Filme und das Kino, von dem Godard erzählt, befinden sich in dialek­ti­scher Spannung zwischen Godards eigenem zutiefst moder­nis­ti­schen Stil und Refe­renzen an diverse andere Film­klas­siker, wenn auch im Jahr 1963 erst wenige Jahre alt: An Fritz Langs M, an Minellis Some came running, an Howard Hawks’ Rio Bravo und Hatari!, an Nicolas Rays Bigger Than Life und vor allem an Rossel­linis Reise in Italien, der gleich­falls in antiken Refe­renzen von einer zerfal­lenden Ehe erzählt.

Früh heißt es einmal: »Wir müssen zurück zu Griffith und Chaplin gehen.« Aber der Film erzählt, warum das unmöglich ist.

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Vier Kulturen, vier Sprachen: Fran­zö­sisch, Ameri­ka­nisch, Deutsch, Italie­nisch. Oft wird eine Sprache von der Dolmet­scherin gedoppelt – und damit auch der Gedanke für das Publikum. Dies ist ein Film der Reflexion, des Nach­den­kens, des Über­set­zens, der Ebenen, die in der Wirk­lich­keit inein­an­der­greifen und eins bilden.

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In Bezug auf Hitchcock, so Georg Seeßlen, hat Jean-Luc Godard gesagt, dass er einem helfe, »ohne die Götter in Würde zu leben«. Heute muss man das über Godard selbst sagen.
Ein Dialog mit den Göttern.

Krisen­zeit. Man fühlt wie sich der Boden unter den Betei­ligten bewegt, wie alles in Bewegung ist, auch die Gesell­schaft, die die Basis dieses Films und seiner Geschichte bildet.
Aber das Kino ist wichtiger.

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Fritz Lang sagt im Film: »Die Kino­vi­sion über­dauert alle miss­li­chen Produk­ti­ons­um­s­tände.«

Godard sagt durch den Film und über ihn: »The eye of the camera watching these charac­ters in search of Homer replaces that of the gods watching over Ulysses and his compa­n­ions.«

Die Kamera wird Gott und wir, das Publikum, werden Komplizen des Unend­li­chen.

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Dies ist wahr­schein­lich der schönste aller Filme, die vom Kino selber handeln. Und es ist überhaupt einer der schönsten Filme des Kinos.
Das Gegenteil des Klischees vom verstaubten Klassiker. Sondern ein Film, der auch nach 60 Jahren über­ra­schend frisch wirkt, und dessen Besuch nicht nur die Wieder­be­geg­nung mit unver­ges­senen Stars bedeutet. Sondern ein Film, der beim Wieder­sehen ganz neue, über­ra­schende Facetten zeigt.

Der Film der Filme.

Solche Filme macht man nicht mehr. Man hat sie noch nie gemacht. Nur Godard.