Rache auf Texanisch

Vengeance

USA 2022 · 108 min. · FSK: ab 12
Regie: B.J. Novak
Drehbuch:
Kamera: Lyn Moncrief
Darsteller: B.J. Novak, Issa Rae, Boyd Holbrook, Ashton Kutcher, Clint Obenchain u.a.
Filmszene »Rache auf Texanisch«
Podcast als Waffe...
(Foto: Universal)

Schweigen ist Silber, Reden ist Gold

B. J. Novaks Regiedebüt ist eine kluge schwarze Komödie, die einmal mehr die tiefen gesellschaftlichen Risse der USA thematisiert, aber auch eine überraschende Lösung andeutet

Man sollte sich weder durch den deutschen noch den Origi­nal­titel (Vengeance, also Rache) falsche Hoff­nungen machen, es hier mit dem Vigilante-Genre zu tun zu haben, also mit Geschichten über einfache Menschen, die nach einem Angriff auf sich, Freunde, die Familie oder Gesell­schaft das Recht in ihre Hand nehmen und sich an den Tätern oder gleich der ganzen Gesell­schaft rächen, damit wir sch(l)ussend­lich wieder in einer besseren Welt aufwachen können.

B. J. Novak – der als Schau­spieler in der ameri­ka­ni­schen Version der Comedy-Serie The Office bekannt wurde und mit Vengeance sein Drehbuch- und Regie­debüt gibt und auch die Haupt­rolle besetzt – deutet das zu Anfang zwar noch an, indem er seinen Helden Ben Mana­lo­witz (B. J. Novak) aus seinem Hipster-Dasein in New York ins tiefste Texas verfrachtet, um sich an einer eben­sol­chen Rache­ak­tion zu betei­ligen. Doch kaum ausge­spro­chen, werden die Erwar­tungs­hal­tungen dann auch gleich angenehm enttäuscht, weil Bens Waffe sein Aufnah­me­gerät ist und er nun mal der Podcast-Jour­na­list ist, der er ist, und lieber Fragen stellen will, statt den vermeint­li­chen Mörder einer Kurz­zeit­ge­liebten nieder­zu­stre­cken, an die er sich zudem kaum erinnert. Gleich­zeitig werden durch den Bruder seiner Ex, Ty (Boyd Holbrook), und dessen Familie ganz andere Erwar­tungen in Ben geweckt: an das Amerika, das er nur aus dem Fernsehen kennt und kaum ernst nehmen kann.

Hier wird Novaks schwarze Komödie dann auch wirklich inter­es­sant und spannend, denn jeder in diesem Film ist mal aktiv und dann wieder passiv, mal Sender, dann wieder Empfänger von Erwar­tungs­hal­tungen ohne am Ende genau zu wissen, was nur Erwartung oder schon Realität ist. Das erinnert an die zum Teil abstrusen Feld­for­schungen zahl­rei­cher Ethno­logen, die oft erst Jahre später erfahren mussten, dass die Beforschten ihnen nur das gesagt haben, was sie glaubten, sagen zu müssen, um »ernst« genommen zu werden; eine höchst ambi­va­lente Beziehung, die die große deutsche Ethno­login Heike Behrend in ihren 2020 erschie­nenen Forschungs­er­in­ne­rungen, Mensch­wer­dung eines Affen · Eine Auto­bio­grafie der ethno­gra­fi­schen Forschung wunderbar aufrichtig beschreibt.

Diese Ambi­va­lenz wird auch Ben sehr schnell deutlich, fühlt er sich doch zum einen in seinen Vorur­teilen bestätigt, um im nächsten Moment verblüfft eines besseren belehrt zu werden. Doch Novak geht noch etwas weiter, belässt es nicht nur dabei, zu zeigen, wie wichtig es ist, zu reden, und immer wieder zu reden, um den anderen und seine »Politik« zu verstehen und macht damit auch ein wenig Hoffnung, dass die hier spie­le­risch aufge­zeigten gesell­schaft­li­chen Gräben – nicht nur in den USA – dann doch auch zu über­winden sind. Nein, Novak erzählt nicht nur von der Poli­ti­sie­rung des Alltags und seiner »gesprächs­the­ra­peu­ti­schen« Auflösung, sondern auch von den falschen Erwar­tungs­hal­tungen der Medien, denn Ben erhält von seiner Redaktion, für die er den Podcast über seine texa­ni­sche Reise in mehreren Folgen aufbe­reitet, auch hier Erwar­tungen in den Raum gestellt, die ihn immer mehr verwirren, weil er sich zunehmend in der fremden Kultur assi­mi­liert.

Wie dieser Assi­mi­lie­rungs­pro­zess aussieht, ist, wie so viele Assi­mi­la­ti­ons­ver­suche, grotesk und voller Stereo­typen, und Novak lässt bis zu seinem konse­quenten Ende auch Bana­li­täten zu, um das Gleich­ge­wicht mit den faszi­nie­renden, ethno­gra­fi­schen Über­ra­schungen zu wahren, von denen Vengeance auch erzählt. Einer Trau­rig­keit und einem Verlo­rensein, in Texas nicht anders als in New York, das immer wieder zärtlich und mit aufrich­tigen Dialogen aufge­fangen wird, und am Ende fast so etwas wie ein Leuchten in all der Einsam­keit entstehen lässt. Denn gemeinsam einsam, das ist dann schon fast so ewas wie ein neuer, visi­onärer Gesell­schafts­ent­wurf.