Frankreich/Polen 2013 · 96 min. · FSK: ab 16 Regie: Roman Polanski Drehbuch: Roman Polanski, David Ives Kamera: Pawel Edelman Darsteller: Emmanuelle Seigner, Mathieu Amalric |
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Verlust diverser Realitätsebenen |
Roman Polanski ist ein Experte für klaustrophobische Situationen und ein Meister der Reduktion. Bereits sein Debütfilm Das Messer im Wasser (1962) konzentriert sich auf nur drei Protagonisten, die auf dem begrenzten Raum eines Segelschiffs vereint sind. Sicherlich beginnen viele andere Regisseure ebenfalls mit sehr überschaubaren Projekten, die jedoch mit wachsender Erfahrung und wachsenden Budgets sehr oft immer weiter an Größe gewinnen, bis sie irgendwann bei den gewaltigen Studio-Flagschiffen der Blockbuster angelangt sind. Den Regisseur von Klassikern wie Rosemaries Baby (1968) und Chinatown (1974) trieb dahingegen nach eigener Aussage seit seinem Debüt der Gedanke um: »Eines Tages mache ich mal einen Film mit nur zwei Figuren!«
Vielleicht war es für Polanski auch lehrreich, dass er mit seinem ersten Versuch in Richtung Großprojekt, dem Film Piraten (1986) kräftig Schiffbruch erlitten hatte. Doch abgesehen von diesem Abstecher in seichtere, kommerzielle Gewässer, ist Polanski seiner Vorliebe für äußerst reduzierte Settings bis heute nicht nur treu geblieben, sondern hat mit Venus im Pelz jetzt tatsächlich einen Film mit nur zwei Personen an nur einem Ort erschaffen. Während sich viele andere große Regietalente nach wie vor von Hollywood aufkaufen lassen, um dort gigantische Materialschlachten zu inszenieren, zeigt Polanski, dass es auch ganz anders geht. Der in den USA aufgrund allseits bekannter, einstmaliger persönlicher Verfehlungen weiterhin geächtete Auteur beweist, dass man für einen wirklich unterhaltsamen Film nicht viel mehr als Intelligenz und Kreativität und zwei gute Schauspieler benötigt.
Bereits die Entstehungsgeschichte des Films verdeutlicht, dass die scheinbare Einfachheit von Polanskis Venus im Pelz nur von sehr oberflächlicher Natur ist. Sobald man ein wenig genauer hinblickt, offenbart sich ein zusehends unüberschaubares Labyrinth endloser Spiegelungen. Der Film ist die Adaption eines Broadway-Stücks, in welchem ein Theaterregisseur Leopold von Sacher-Masochs berühmte Novelle „Venus im Pelz“ (1870) in ein Bühnenstück umwandeln will. Es handelt sich folglich um die Adaption einer Adaption, die den Vorgang einer Adaption schildert bzw. um die filmische Darstellung eines Theaterstücks, welches das Vorsprechens zu einem Theaterstück behandelt, das eine Bühnenversion von Sacher-Masochs Novelle darstellt. Schnell zeigt sich, dass Einfachheit in Hinsicht auf diesen Film eine ziemlich relative Kategorie darstellt. Hiermit ist jedoch noch nicht einmal die Spitze des Eisbergs erreicht.
In Venus In Furs spielt die Schauspielerin und langjährige Ehefrau von Roman Polanski Emmanuelle Seigner die Schauspielerin Vanda, die bei dem Regisseur Thomas vorspricht, der von dem Schauspieler und Regisseur Mathieu Almeric verkörpert wird, dem wiederum eine frappierende optische Ähnlichkeit mit Roman Polanski nachgesagt wird. Die dem Bühnenstück zugrunde liegende Novelle „Venus im Pelz“ behandelt dermaßen eindringlich den Wunsch nach Unterwerfung des jungen Severin von Kusiemski unter seine spätere Herrin Vanda, dass der Autor Leopold von Sacher-Masoch zum Namensgeber des Masochismus avancierte. Für Sacher-Masoch war die Beschäftigung mit dieser Thematik keineswegs nur rein theoretischer Natur, wie zahlreiche erhaltene „Liebesverträge“ mit den Gebieterinnen des Autors bezeugen.
Polanski hingegen beteuert, dass ihm die ganze Welt des Sadomasochismus vollkommen fremd sei und dass Venus im Pelz keinerlei Bezug zu seinem persönlichen Leben habe. Trotzdem findet sich diese Thematik direkt oder indirekt in zahlreichen seiner Werke, die ihrerseits auf verschiedene Weise wieder an das Leben des Regisseurs rückgebunden sind. Bitter Moon (1992) schildert die sich immer weiter steigernden sexuellen Obsessionen eines Paars, dessen weiblicher Part ebenfalls von Emanuelle Seigner dargestellt wird. Die Sexsucht dieses Paars führt zu immer bizarreren Liebesspielen, zu denen irgendwann auch Fetischismus und Sadomasochismus gehören. Hierbei unterwirft sich der von Peter Coyote verkörperte Oscar, der von Emmanuelle Seigner gespielten Mimi, wie Severin unter Vanda in Sacher-Masochs „Venus in Furs“.
Polanskis auf Bitter Moon folgender Film Der Tod und das Mädchen (1994) ist ein Kammerspiel mit nur zwei Hauptdarstellern und einem dritten passiven Akteur, welches das Thema des Sadismus nicht in der Form eines freiwilligen sexuellen Rollenspiels, sondern in seinem ursprünglichen Sinne, nach dem Marquis de Sade, behandelt. Der Film handelt von der Lust am Quälen unfreiwilliger Opfer durch einen Arzt während einer südamerikanischen Militärdiktatur. Polanskis selbst erlebte einen Teil seiner Kindheit eingesperrt im Krakauer Ghetto. Seine Mutter wurde in Auschwitz umgebracht. Diese traumatischen Erfahrungen verarbeitete der Regisseur sehr direkt in seinem Film Der Pianist (2002). Es ist wahrscheinlich keine unzulässige Psychologisierung, wenn man vermutet, dass die lebenslange Faszination Polanskis für klaustrophobische Settings und für psychische Ausnahmesituationen (Ekel, Der Mieter) mit diesen düsteren Kindheiterlebnissen im Zusammenhang steht.
Venus im Pelz zeigt mit der Figur des Thomas einen sich sehr kultiviert wähnenden Theaterregisseur, der zu Beginn unverhohlen verächtlich auf die derbe und proletenhaft auftretende Vanda hinunterblickt. Die anfängliche Ironie besteht darin, dass der sich intellektuell weit überlegen glaubende Kontrollfreak bei dem Vorspiel von Vanda den devoten Severin spielen muss, während jene die Rolle seiner Herrin einnimmt. Je länger dieses Vorsprechen dauert, desto mehr verschwimmen diese so konträren Rollen und desto mehr vermischen sich Alltagsidentität, Theaterstück und reine Phantastik. Die zu Beginn so naiv und unbedarft auftretende Vanda enthüllt immer neue Facetten ihrer Person, durch die sie immer mehr an Autorität und an Dominanz gewinnt. Der anfangs so arrogante Thomas verliert hingegen immer mehr den Boden unter den Füßen und findet sich zusehends selbst in der Rolle des Severin aus seinem Stück wieder. Der besondere Reiz des Films besteht darin, dass gemeinsam mit Thomas auch der Zuschauer die Übersicht darüber verliert auf welcher Realitätsebene und in welchem Punkt innerhalb des weiten Polanski-Universums er sich gerade befindet.