Deutschland 2023 · 102 min. · FSK: ab 16 Regie: Matthias Freier Drehbuch: Matthias Freier Kamera: Kay Madsen Schnitt: Marielle Pohlmann |
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Frauen im Wohnzimmer sind auch unsichtbar | ||
(Foto: Weltkino) |
True Crime, Dokus über wahre Kriminalfälle, gehören zu den besonders erfolgreichen und nicht selten umstrittenen Film-Genres der letzten Jahrzehnte. Zu oft stellen sie die Brutalität der Verbrechen und die Leiden der Opfer sensationslüstern aus, um einen möglichst großen Nervenkitzel zu erzeugen. Manchmal wirkt es so, als freuten sich die Macher über jedes blutrünstige Detail, weil es ihre Doku spannender macht.
Die Unsichtbaren ist ein großartiges Beispiel dafür, wie man einen Kriminalfall auch ohne billigen Nervenkitzel und Sensationsgier erzählt und den Zuschauern trotzdem das Blut in den Adern gefriert. Um genau zu sein, erzählt der Film mehrere Geschichten: Die von Lutz Reinstrom, der in den achtziger Jahren in Hamburg mehrere Frauen entführt hat. Die Geschichten seiner Opfer, die der Kürschner gequält, ermordet und in Salzsäure aufgelöst hat. Die Perspektiven einiger Angehöriger der Opfer. Sowie die Geschichte der Kriminalbeamtin Marianne Atzerath-Freier, die den Serienmörder durch hartnäckige Ermittlungen überführt hat.
Der Regisseur Matthias Freier, übrigens ein Stiefsohn der damals zuständigen Kripobeamtin, hat sich dafür entschieden, die Fakten, sowie das überlieferte Bild- und Tonmaterial des spektakulären Falles in den Vordergrund zu stellen. Außerdem zeigt er geschickt montierte Interviews mit pensionierten Staatsanwälten, Richtern und ehemaligen Kolleginnen und Kollegen der Kripobeamtin Marianne Atzeroth-Freier. Nur hin und wieder setzt er auf nachträglich gedrehte Szenen, um die Morde und ihre Aufklärung nachvollziehbar zu machen.
Dank dieses umsichtigen, behutsamen Vorgehens fesselt die Doku von der ersten Minute und entwickelt im weiteren Verlauf einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Der entsteht nicht nur durch das kaltblütige, manipulative Vorgehen des Mörders und die Schicksale seiner Opfer sowie ihrer Angehörigen.
Ein weiteres, ebenso wichtiges Motiv ist die Misogynie, mit der Kollegen und Vorgesetzte die Arbeit Marianne Atzeroth-Freiers ignoriert und – leider muss man es so sagen – sabotiert haben. Tatsächlich haben die Männer mehr Hartnäckigkeit und Energie darauf verwendet, ihre Kollegin kleinzuhalten, als den Job zu erledigen, für den sie bezahlt werden: Mörder hinter Gitter zu bringen und weitere Morde zu verhindern. Ohne die frauenfeindlichen Mobbing- und Sabotage-Aktionen hätte eines der Opfer aus der Gefangenschaft befreit und gerettet werden können.
Der Regisseur hat gut daran getan, die Schicksale der Opfer, die Überführung des Mörders, wie auch die Diskriminierung der Kripobeamtin durch ihre männlichen Kollegen sachlich und ruhig nachzuerzählen. Gerade diese Nüchternheit macht Die Unsichtbaren zum fesselnden True Crime. Ganz besonders, da die Misogynie, die sie eindrucksvoll zeigt, bis heute – also 40 Jahre später – noch nicht überwunden ist.