Deutschland 2011 · 102 min. · FSK: ab 0 Regie: Volker Sattel Drehbuch: Volker Sattel Kamera: Volker Sattel Schnitt: Stephan Krumbiegel, Volker Sattel |
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Sanfter Horrordokumentarfilm |
Schon von weitem erblickt man sie am Horizont. Viele Meter überragen sie die Landschaft, aus der sie zu wachsen scheinen, fast ein wenig in den Himmel hinein. Und doch gehören sie ganz zu dieser Welt, auf deren Boden sie unverrückbar stehen. Sie wirken schon von fern, aber erst aus der ungewohnten Nähe entfalten sie ihre ganze Kraft.
Kathedralen sind so schön wie fremdartig. Sie wirken als Monumente eines Glaubens, den wir heute nicht mehr ganz verstehen und der uns gerade darum so fasziniert. Sie erinnern an jene Zeiten, als man überhaupt noch glauben konnte – und weil schon das heute anachronistisch erscheint, hat solche Erinnerung auch etwas zutiefst Trauriges. Es ist die Trauer um eine vergangene Sehnsucht, eine Jugend des Geistes, die noch bereit war zu träumen, fähig war, sich Illusionen zu machen – was natürlich, wo es konkret wird, auch ein bisschen dumm erscheinen kann oder naiv, aber eben auch bezaubernd schön. Kathedralen können uns zugleich daran erinnern, dass unsere jetzigen Überzeugungen und Sicherheiten nicht weniger einer Halbwertszeit unterliegen als frühere.
Dies gilt ebenso für die Gebäude der Kernkraftwerke. Diese sind nichts anderes als die Kathedralen der Moderne – jedenfalls so, wie sie uns Volker Sattel zeigt. Sattel beginnt seinen Film Unter Kontrolle mit der Bescheidenheit eines Pilgers, der sich aus der Ferne anziehen lässt vom Stahl und Beton gewordenen Geist, den die gewaltigen Bauten ausstrahlen. Je näher er den Kraftwerken kommt, umso stärker wird zunächst die Wirkung der Architektur. Weil Sattel sich in hartnäckiger Annäherungsarbeit entsprechende Genehmigungen verschaffen konnte, kam er ihnen ganz nahe, und so gelingen ihm, der auch selbst die Kamera führt, überaus ungewöhnliche Perspektiven. Ihr Reiz liegt darin, dass sie den Raum dafür schaffen, die Objekte selbst sprechen zu lassen, dass sie auf Ideologie weitgehend verzichten.
Unser Problem, wenn wir Kernkraftwerke anschauen, liegt ja darin, dass wir sie gar nicht mehr sehen können. Was wir sehen, ist das, was wir schon vorher gefühlt und gewusst haben: unsere eigene Furcht und Skepsis, die Erinnerungsfetzen an Nachrichtenbilder von Tschernobyl, jetzt Fukushima. Vielleicht gar noch Szenen aus Katastrophenfilmen. Oder wir sehen saubere Energie, Befreiung von Abhängigkeiten, das Versprechen einer unendlich nutzbaren Energiequelle und zuletzt zerplatzte Träume. Kein Wunder, dass dem Film, als er im Februar bei der Berlinale Premiere hatte, genau diese Vorwürfe begegneten: Die einen nahmen in ihm einen Ästhetizismus der Erhabenheit wahr, die anderen eine Kälte, die bedrohlich wirke, und die Unheimlichkeit eines modernen Horrorfilms.
Wie in Stanley Kubricks »2001« liegt beides in Sattels Film. Aber dem Regisseur gelingt es durch die ruhige Art seines Erzählens, die vielen Kraftwerke, die er drei Jahre lang bereist hat, gewissermaßen selbst sprechen zu lassen. Wer auch noch zum Reden kommt, im Gegensatz zum Filmemacher, der auf jeden Kommentar verzichtet, sind die Menschen, die in den Kraftwerken arbeiten: Ingenieure, Sicherheitspersonal, Arbeiter im Entsorgungsbetrieb. Sie strahlen genau das aus, was der Titel schon sagt: Unter Kontrolle. Aber je näher die Kamera an die Monitore der Schaltzentralen heranrückt, je drängender sie die blinkenden Lichter, die Knöpfe und Kontrollanlagen umschleicht, desto mehr zeigt sich im Charme dieser altgewordenen Technik der Schrecken, welcher der Möglichkeit ihres Versagens innewohnt. Sattels Film ist darin sehr human, dass er trotzdem immer sichtbar macht, dass diese Kraftwerksarbeiter keine schlechteren Menschen und keine verantwortungslosen Egoisten sind, sondern den paar Kernkraftgegnern, die ebenfalls vorkommen, nur allzu ähnlich.
Bis zum Schluss bleibt der Film neugierig auf seinen Gegenstand. Sattel hat viel Sinn für die Schönheit des Funktionalen, und man glaubt zu erkennen, dass er Technik im Grunde mag. Diese Haltung bringt ihn in sichtbare Nähe zu den neusachlichen Industriefotografien eines Albert Renger-Patzsch und dem Werk von Bernd und Hilla Becher. Sattel übersetzt ihren Blick in symmetrische Cinemascope-Bilder. So ist Unter Kontrolleein Film geworden, der unbedingt ins Kino gehört, weil er nur dort seine ambivalente Schönheit entfalten kann. Von Schönheit aber muss man reden, gerade in einem derart durch Vorurteile kontaminierten Terrain.
Vor Fukushima entstanden, ist dieser großartige Film keine Anklageschrift, sondern eine ruhige Meditation. Mehr ist auch nicht nötig. In der Architektur selbst zeichnet sich nämlich alles Für und Wider der Atomkraft präzise ab. Man muss nur hingucken.