Spanien/Mexiko/F 2010 · 102 min. · FSK: ab 12 Regie: Icíar Bollaín Drehbuch: Paul Laverty Kamera: Alex Catalán Darsteller: Luis Tosar, Gael García Bernal, Juan Carlos Aduviri, Karra Elejalde, Raúl Arévalo u.a. |
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Nach dieser (Zeit-)Reise ist alles anders |
Ein Film gespickt mit sozialkritischen Botschaften, gedreht in einem der ärmsten Länder Iberoamerikas – da fürchtet so mancher Kinobesucher schon im Vorfeld den aus der Leinwand herausragenden Zeigefinger und bangt um sein kostbares Freizeitvergnügen. Icíar Bollaín, die unter anderem mit Öffne meine Augen ihr Talent für sensible und kraftvolle Regiearbeit bewiesen hat, stellt sich der herausfordernden Trias Unterhaltung-Engagement-Spannung und wirft dabei eine Reihe brisanter Fragen auf: Welche Zusammenhänge bestehen zwischen aktuellen Ereignissen und dem, was Geschichtsbücher nicht selten verschweigen? Und was sind wir bereit, für unsere Glaubwürdigkeit zu riskieren? Mit Verlaub, geht es nicht eine Nummer kleiner?
Nein, geht es nicht und soll es auch nicht, weil dieses Drama in all seinen Facetten und in deren Synergien perfekt funktioniert. Im Mittelpunkt steht ein historischer Film fernab von glanzvoller Abenteuerromantik, den Regisseur Sebastián (Gaél García Bernal) und sein Produzent Costa (Luis Tosar) über die Eroberungszüge von Christoph Columbus realisieren möchten. Dem überschaubaren Budget ist es geschuldet, dass nicht an Originalschauplätzen der Karibik, sondern im bolivianischen Cochabamba gedreht wird. Alles läuft nach Plan, unter anderem dank zahlreicher einsatzbereiter Statisten und des einheimischen Daniel (Juan Carlos Aduviri), der vom Fleck weg für die Hauptrolle des Taino-Häuptlings Atuey engagiert wird. Da erfasst ein sozialer Aufstand ganz Bolivien: Die Wasserversorgung wurde landesweit privatisiert und der Käufer, ein internationaler Konzern, hat die Preise nicht nur aberwitzig erhöht, sondern den Bürgern sogar auf ganz legalem Wege verboten, Regenwasser zu sammeln. Die Unruhen wirken sich auch auf die Dreharbeiten gravierend aus, denn Daniel führt die Demonstrationen mit flammenden Protestreden an.
Alle Handlungsebenen wurden zu einer packenden Story komponiert, die bei aller Dichtheit und schnellen Sprüngen selbstverliebte Verwirrspiele unterlässt. So zeigt Bollaín die Fiktion im Film als Wille zur Wahrheit, der der Realität und ihren Ereignissen meist nicht standhält. Doch ihre Figurendarstellung ergeht sich nicht in weinerlicher Schwarzweißmalerei – sie entlarvt, stellt aber nicht bloß. Dadurch entstehen Nischen für kurze, aber intensive Einblicke wie in die Beziehung von Regisseur und Produzent. Bernal und Tosar geben ein tolles Duo, das mit unterschiedlichen Mitteln zum gemeinsamen Ziel kommen möchte. Fast schon ironisch muten die Parallelen an, die Juan Carlos Aduviri mit seiner Figur Daniel verbindet: auch er stand zuvor noch nie vor einer Kamera und spielt den rebellischen Debütanten geradlinig und beharrlich, als hätte er noch nie etwas anderes gemacht. Im echten Leben ist der 35-Jährige Direktor der Filmschule von El Alto in Bolivien und hat viel Anerkennung für seine Darstellung bekommen, unter anderem eine Nominierung für den Goya im vergangenen Jahr als Bester Darsteller.
Das eindrucksvolle Drehbuch stammt von Paul Laverty (The Wind That Shakes the Barley, Looking for Eric), das zunächst ausschließlich von der ruhmlosen Eroberung der »Neuen Welt« handelte. Dabei ging der Schotte getreu seinem Vorbild vor, dem 2010 verstorbenen amerikanischen Historiker und Bürgerrechtler Howard Zinn, der ihn bei seiner Arbeit unterstützte und dem auch der Film gewidmet ist. Wie Zinn sei es ihm von Anfang an um »eine andere Wirklichkeit« gegangen, um den Widerstand der indigenen Völker gegen die Eroberer, aber auch um den Mut und Wehrhaftigkeit der Kirchenmänner in den eigenen Reihen, von denen er lange Zeit nichts wusste, so der Autor. Sein Entschluss, die Geschichte in Form eines Filmprojekts in die Zeit des tatsächlich geschehenen »Wasserkriegs von Cochabamba« im Jahr 2000 zu katapultieren, war meisterhaft. So kam der Film zu einer weiteren Metaebene, die eine bessere Figurenentwicklung und zahlreiche ironische Brüche zwischen Realität und Fiktion im Film überhaupt erst ermöglichte.
Ein Projekt, bei dem Fairness so eine große Rolle spielt, fordert Fragen nach gerechter Bezahlung der indigenen Statisten geradezu heraus. Diese seien nicht, wie im Film, mit zwei Dollar pro Tag abgespeist worden, beteuerte Icíar Bollaín im Leserchat der spanischen Tageszeitung El País. Circa 20 Dollar habe jeder bekommen, außerdem baten sie um Beiträge für ihre Gemeinden. Um ganz einfache Dinge sei es da gegangen, beispielsweise um 2000 Ziegel, damit die örtliche Schule fertiggestellt werden konnte, schrieb die Regisseurin. »Eigentlich haben sie uns darin eine Lektion erteilt, wie man weniger an sich selbst, sondern an die Gemeinschaft denken soll.«
Dass Kunst jedweder Art trotz ihres reflexiven Anspruchs nicht unbedingt therapeutische Erfolge für den ausführenden Künstler erzielen muss, ist eine gerne verdrängte Tatsache. Zu schmerzhaft ambivalent sind oft die Gräben zwischen der Bewunderung für das Kunstwerk und das abscheuliche, mitunter groteske Verhalten des Künstlers. Seien es Arno Schmidts köstliche Selbstironie und sprachlich-sexuellen Spinnereien, die einem spießigen, drögen, verbohrten und selbstüberschätzten Arbeitsalltag gegenüberstehen. Oder Bob Dylans große Beziehungsanalysen auf „Blood on the Tracks“ und „Desire“, denen ein pubertäres Beziehungsleben sondergleichen einhergeht, das nicht einmal im Blick zurück von Scorseses No Direction Home so richtig begreifbar wird. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen und endet nicht zuletzt bei Filmkunst wie der von Werner Herzog, der in Aguirre, der Zorn Gottes oder Fitzcarraldo zwar kolonialhistorische Kritik übte, sich aber während der Dreharbeiten zu diesen Filmen postkolonialen Attitüden nicht entziehen konnte.
Wie vertrackt, schleichend und moralisch unangreifbar sich diese Widersprüche in den künstlerischen Prozess einnisten können, lässt sich nicht erst seit Herzog vielleicht am transparentesten im Film analysieren. Eine zweite Kamera, ein Mikrofon, zahlreiche Zeugen sind immer dabei, die Metaebene liegt sprichwörtlich vor der Haustür. So auch in Icíar Bollaíns Und dann der Regen.
Ein spanisches Filmteam dreht im Hochland von Bolivien einen Kolumbus-kritischen Film; nicht etwa allerdings, weil Kolumbus bis Bolivien gekommen wäre, sondern weil die Preise für Statisten hier deutlich unten denen in der Karibik liegen. Aber nicht nur auf dieser Ebene wird die Nähe von historisch-kolonialen und gegenwärtig-globalkapitalistischen Strukturen angedeutet. Die angeheuerten Indio-Statisten befinden in ihrem realen Leben nämlich in einer Situation, die offensichtlich dem Plott des Films im Film an Grausamkeit in Nichts nachsteht, nur ein wenig subtiler funktioniert: waren es vor 500 Jahren noch unter Gewalteinwirkung eingetriebene Steuerabgaben in Gold, sind es in der Gegenwart legalisierte, horrende Abgaben für Wasser, die die Indios an den Rand ihrer Existenz bringen. Die spanische Regisseurin Bollaín hat hier auf reale Fakten des Wasserkriegs von Cochabamba im Jahre 2000 zurückgegriffen, der ein globales Paradebeispiel für die Privatisierung von menschlichen Grundrechten ist. Die Filmproduktion gerät durch die kulminierenden Demonstrationen und die betroffenen Statisten zunehmend in Verzug und Bedrängnis, auch der zu einer politisch-menschlichen Stellungnahme, die im Filmteam die Fronten genauso spaltet wie vor 500 Jahren die Fronten zwischen Klerus und politischen Instanzen.
Die Verschachtelung der fiktiven und pseudorealen Ebene überzeugt dabei vor allem durch die differenzierte Charakterisierung der Beteiligten: der an seiner künstlerischen Erfüllung interessierte Regisseur Sebastián (Gael García Bernal) entfernt sich erst unter dem Druck der realen Verhältnisse von seinen moralisch hehren Ansprüchen. Der zu Anfang nur um die finanziellen Vorteile des Films kreisende Produzent Costa (Luis Tosar) entwickelt unter dem gleichen Druck eine manifeste moralische Verantwortung. Diese Wendung ist nicht nur überraschend, sondern psychologisch auch so fein inszeniert, dass keine der Figuren dabei wirklich für sein Verhalten verurteilt werden kann.
Und dann der Regen ist nicht nur aufregendes, wichtiges, politisches Kino; er mahnt auch zur Vorsicht – nicht nur bezüglich politischen Urteilen über die Verteilung des Reichtums unserer Gegenwart und der Vergangenheit, sondern auch bezüglich einer verblendeten Selbsteinschätzung: wer Widerstand leistet, entscheidet sich gänzlich prosaisch meist situativ.
Und Kunst? Hilft dabei nur wenig.