USA 1997 · 112 min. · FSK: ab 6 Regie: Victor Nuñez Drehbuch: Victor Nuñez Kamera: Virgil Mirano Darsteller: Peter Fonda, Patricia Richardson, Christine Dunford, Tom Wood |
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Peter Fonda als Großvater Ulee |
Menschen in einem Minenfeld. Jeder Schritt, den sie aufeinander zu tun, ist ein vorsichtiges Tasten, ein Wagnis, das eine verheerende Explosion auslösen kann.
Daß es hier nur um emotionales Terrain geht, um ein Schlachtfeld der Gefühle und Worte, nimmt der Situation nichts an Brisanz: Ulee’s Gold tritt den Beweis an, daß ein Film über die Familienprobleme eines amerikanischen Imkers ungleich packender und spannender sein kann, als zwei Stunden
blinder und hohler Aktionismus à la U.S. Marshals.
Ulee Jackson sitzt inmitten eines solchen Minenfeldes – und fühlt sich wohl: Er hat seine Welt fest im Griff, solange sich ihm niemand nähert. Freilich, die Zeiten sind nicht mehr so gut wie früher; aber Ulee ist ein harter Kerl und wird sich schon durchbeißen. Helfen läßt er sich dabei von niemandem (das wäre ja ein Zeichen von Schwäche); in seinem Beruf als Imker geht er auf und rackert sich ab bis zum Umfallen. Er spricht in Sätzen, die man unverändert auf Kissen sticken könnte; und er weiß genau, was gut und böse, was Recht und Unrecht ist.
Doch Ulees Welt ist in Wirklichkeit ein Trümmerhaufen. Die einzige, die an die aufrechte Fassade zu glauben scheint, ist Ulees kleine Enkeltochter – ihr kann er das Leben noch durch seine Augen erklären. Doch schon ihre Schwester im Teenager-Alter hat für Ulees vermeintliche Autorität nur Spott und Verachtung übrig. Ulee lebt allein mit den beiden Mädchen: Seine Frau ist vor Jahren gestorben, sein Sohn sitzt im Gefängnis, seine Schwiegertochter ist verschwunden. Ulees rigider Lebenswandel ist eine armselige Strategie, um nicht an den Wunden zu rühren, um sich nicht mit seinem Versagen und seiner Ohnmacht auseinanderzusetzen.
Aber Ulee erhält einen Anruf, der die mühsam zusammengehaltene Kulisse zum Einstürzen bringt: Zwei Kleingangster – ehemalige Komplizen seines Sohns – haben die Schwiegertochter aufgefunden; in erbärmlichem Zustand, krank und drogenabhängig. Sie bieten Ulee an, die Frau zu sich holen zu dürfen, wenn er dafür mit seinem Sohn einige Fragen über verschwundene Teile der einstigen Diebesbeute klärt.
Für Ulee ist der Zeitpunkt gekommen, wo ihn vorgefertigte Spruchweisheiten nicht weiter bringen, wo er es sich nicht mehr leisten kann, auf Hilfe zu verzichten – wo er mit anderen Menschen tatsächlich reden, sie als unabhängige Individuen anerkennen, sich ihnen öffnen muß.
Wie viele Melodramen, läuft Ulee’s Gold oft genug Gefahr, zu konstruiert oder kalkuliert zu wirken, in das Fahrwasser von Kitsch oder Klischee zu geraten. Aber es gelingt dem Film sehr bewundernswert, diese Klippen zu umschiffen. Zwei Dinge sind zunächst dafür verantwortlich:
Erstens gehört Ulee’s Gold zu jenen Produktionen, die ganz enorm davon profitieren, kein großes Budget zu haben. So konnte sich der Film
keine Studiobauten leisten und mußte mit Originalschauplätzen auskommen; fast ausnahmslos mußte, statt attraktiver Stars mit Wiedererkennungswert, auf relativ unbekannte (und »normal« aussehende) Schauspieler zurückgegriffen werden; und es standen nicht viele technischen Mätzchen zur Verfügung, um dem Ganzen optisch auf die ästhetischen Sprünge zu helfen. Das Resultat ist eine sehr dichte Atmosphäre, die eine glaubhafte Illusion von Authentizität schafft. Vieles, was
sonst stark nach Klischee gerochen hätte, bekommt so den Anstrich von »Es könnte ja wirklich so sein«.
Zweitens weiß Victor Nunez glücklicherweise, wann er sich zurückzuhalten hat. Der Film setzt nicht auf emotionalen Voyeurismus oder Effekthascherei; bleibt auch bei seinen Ausbrüchen der Gefühle angenehm reserviert. Er läßt manches klar werden, ohne es direkt auszusprechen, und er erspart sich und uns (trotz des vielen Honigs) Szenen, die allzu klebrig oder süßlich sind (wozu
auch der relativ sparsame Musikeinsatz wohltuend beiträgt).
Von der atemberaubenden lakonischen Größe eines Takeshi Kitano oder Aki Kaurismäki ist Victor Nunez zwar noch weit entfernt, aber er weiß immerhin schon, wann eine kleine Geste, ein ungesagtes Wort, eine Pause wesentlich mehr treffen und berühren als große Seelenergüße und Tränenströme.
Die wahre Attraktion des Films ist aber schließlich doch sein großartiges Schauspielerensemble – und inmitten der durchwegs hervorragenden Truppe Peter Fonda in der Titelrolle. So absurd es scheinen mag, den einstigen Vorzeigerebellen nun als erzkonservativen, alten Mann zu besetzen, der jeder Gewalt abschwört, so bravourös beseitigt Fonda alle Zweifel an dieser Wahl. Ihm gelingt das schwierige Kunststück, einer Figur Tiefe, Glaubwürdigkeit und Tragik zu verleihen, die sich eben dadurch charakterisiert, daß sie sich an der Oberfläche keinerlei Gefühle anmerken läßt.
Es ist der Eindruck von Wahrhaftigkeit, den Fonda und die übrigen Schauspieler ihren Charakteren verleihen, der den Film letzlich so mitreißend macht. Man spürt, daß es Ulee’s Gold um Menschen geht – die er mit Genauigkeit, Liebe und Überzeugung portraitiert. Und weil die Figuren so glaubhaft zum Leben erwachen, wird auch das, was mit ihnen geschieht, so interessant.
Als in Ulee’s Gold dann ein Moment kommt, wo die Gefechte nicht mehr nur mit Worten ausgetragen werden, sondern reale Waffen ins Spiel gebracht werden, wird das Gefühl der Bedrohung fast überwältigend: Anders als üblich im Kino, hat die Aussicht auf eine Schießerei überhaupt nichts Attraktives. Und als schließlich ein Messer gezückt wird, gewinnt das für die Zuschauer viel mehr emotionale Bedeutung, als alle hundert Explosionen eines Action-Spektakels zusammen.
Man sieht dem alternden Mann bei jedem Schritt an, wie schwer ihm der Umgang mit Menschen fällt. Alle seine Handlungen sind übervorsichtig und konzentriert. Komischerweise wirkt Ulee, der Bienenzüchter aus den Tupelo-Sümpfen Floridas, wesentlich entspannter, wenn er von Bienen umschwirrt wird. Auch da muß er heftige Bewegungen vermeiden, um nicht etwa gestochen zu werden, doch sein Gesicht strahlt dabei eine weit größere Ruhe aus. Bei seinen Bienen fühlt er sich zu Hause, während sein Privatleben längst den Bach runter ist. Der Sohn Jimmy sitzt im Gefängnis, die Schwiegertochter Helen ist in der Drogensucht versumpft. Also müssen die beiden Enkeltöchter, die eine davon ein widerspenstiger Teenager, bei Opa Ulee aufwachsen, der sich pflichtbewußt um sie kümmert. Nur die neue Nachbarin, die Ulee mit freundlichem Sarkasmus reizt, bietet hoffnungsvolle Perspektiven. Als ihn der Sohn bittet, sich um die kaputte Helen, die noch bei Jimmys alten Komplizen vor sich hinrottet, zu kümmern, wird Ulee in eine Gangstergeschichte verstrickt: Die Gauner wollen die Beute aus einem Raubüberfall zurückergattern und bedrohen die zerrüttete Familie. Ulee, der Vietnamveteran, gilt als alter Dschungel-Fighter, und wirkt, wenn er den Verbrechern gegenübertritt, als ob er jeden Moment aus seiner ruhigen Fassade ausbrechen und gewaltätig werden könnte. Doch mit Bedacht und Intelligenz tut er nur das Nötigste, um den Sieg auf seine Seite zu ziehen.
Wenn sich der Film, der viele Soap-Elemente enthält und dessen Qualität durch ein ständig trivial daherplinkerndes Piano im Soundtrack stark beeinträchtigt wird, anzusehen lohnt, dann besonders wegen Peter Fonda. Es ist ein wenig schmerzlich, aber auch beruhigend, den alten Easy Rider in seiner ersten Großvaterrolle zu sehen. Während seine einstigen Kiffkumpane noch die tollen Typen markieren, – Jack Nicholson hat ihm als romantischer Liebhaber in Besser geht’s nicht grade den Oscar weggeschnappt, und Dennis Hopper spielt einen Freak nach dem anderen – ist Fonda der erste prominente Vertreter der Hippie-Schauspieler-Generation, der ins Opafach wechselt. Die schlaksige Gestalt, die langsame Sprechweise, und vor allem sein Gang erinnern nun unübersehbar an Peters Vater, den gefeierten Hollywoodstar Henry Fonda, von dem er sich ja immer abgrenzen wollte. Heute, dreißig Jahre später, scheint Peter Fonda schon den Jüngeren enfremdet zu sein; wenn Ulees Familie am Ende glücklich vereint ist, sitzt er mit abgewandtem Gesicht daneben. So einsam kann das Leben eines alten Hippies sein. Ein paar Tattoos gemahnen noch an wildere Zeiten, und Regisseur und Autor Victor Nunez, der sich in seinen Filmen gerne kritisch mit dem konservativen Mief Floridas ausseinandersetzt, hat seinem Hauptdarsteller für die Rolle das pazifistische Gedankengut der Vietnamgegner erhalten. Anstatt seine Feinde im entscheidenden Moment fertigzumachen, wie es nach amerikanischen Knarrenliebhaber-Ehrenkodex der Brauch wäre, wählt Ulee eine unblutigere, aber mutigere Variante, seine Probleme zu lösen. Es ist, als wäre Ulee’s Gold nur darauf ausgerichtet, daß Van Morrison im Abspann das schönste Honig-Lied der Welt singen kann. Ein Film also so süß wie Tupelo-Honey. Und bei der Zeile »You cant stop us on the road to freedom« kann man Peter Fonda beinahe wieder auf seinem Motorrad sitzen sehen. Er fährt halt bloß ein bißchen langsamer.