Trouble Every Day

Frankreich/D 2001 · 101 min.
Regie: Claire Denis
Drehbuch: ,
Kamera: Agnès Godard
Darsteller: Béatrice Dalle, Vincent Gallo, Tricia Vessey, Alex Descas, Florence Loiret-Caille u.a.
Blutrausch nach Béatrice Dalle
(Foto: Rapid Eye Movies)

Die Liebeshungrigen

Claire Denis' grausame Studie menschlicher Triebe Trouble Everyday läuft erstmals restauriert in den deutschen Kinos und hat auch nach über 20 Jahren nichts an Radikalität eingebüßt

Vampire sind traurige Wesen. Groß ist der Hunger, kurz die Befrie­di­gung, schier endlos das quälende Dasein. Wer ihnen verfällt, ist in der Regel dem Untergang geweiht. Bei Claire Denis ist eine solche Abgren­zung von Mensch und Monster aller­dings kaum noch möglich. In ihrer Vision haben wir uns den Schau­er­ge­stalten längst ange­gli­chen, auch ohne spitze Eckzähne. Untoten gleich irren die Figuren durch Trouble Every Day, gefesselt von Instinkten und uner­fülltem Verlangen, beruflich wie privat. Die einen wissen noch nichts davon, andere sind längst zerfressen oder in purer Lethargie. Denis abstra­hiert und zerlegt den Vampir-Mythos in seine Einzel­teile. Er verwan­delt sich von offen­sicht­li­cher Referenz in ein Konzept und Verhal­tens­muster. Am Ende schlüpft aus verrät­selten, traum­wand­le­ri­schen Ereig­nissen eine Erschüt­te­rung, die der mensch­li­chen Krea­tür­lich­keit wieder ein Stück näher­kommt.

Bereits 2001 feierte Trouble Every Day in Cannes Premiere, über die Jahre war er meist nur noch schwer zu bekommen. Denis' Werk hatte sich quasi zum kleinen, unnah­baren Mysterium verflüch­tigt, obwohl er einen gewissen Kult­status genießt. Umso erfreu­li­cher, dass der Verleih »Rapid Eye Movies« diesen Vertreter der für Tabu­brüche bekannten »New French Extremity« nun erstmals in Deutsch­land heraus­bringt und wieder verfügbar macht. Kame­ra­frau Agnès Godard leitete persön­lich die Restau­rie­rung, die düsteren Bilder der Horror-Romanze verstören jetzt in bester Auflösung.

Egal, ob man Claire Denis' Genre­hy­briden erneut oder zum ersten Mal begegnet: Die subver­sive Kraft, mit der die fran­zö­si­sche Autoren­fil­merin auf Erotik und Gewalt blickt, ist zeitlos faszi­nie­rend. Radikal erscheint Trouble Every Day vor allem, weil er das amouröse Beisam­men­sein zweier Menschen vor finstere, unsichere Aussichten stellt. Vertrautes wird unheim­lich, Lust zu Schmerz. Denis demons­triert das anhand eines zunächst nur lose mitein­ander verbun­denen Figu­ren­ge­flechts: Ein Paar (Vincent Gallo und Tricia Vessey) verbringt vermeint­liche Flit­ter­wo­chen in Paris. Ein Zimmer­mäd­chen (Florence Loiret-Caille) bereitet ihnen das Liebes­nest im Hotel. Ein Wissen­schaftler (Alex Descas) hält seine blut­dürs­tige Frau (Béatrice Dalle) im dunklen Haus versteckt.

Zwei umwer­fende Schreck­ge­stalten

Besonders Béatrice Dalle und Vincent Gallo sind zwei gespens­ti­sche wie tragische Erschei­nungen. Der Abstieg ins Anima­li­sche, Exzessive, Kanni­ba­lis­ti­sche gelingt ihnen eindrucks­voll. Worte sind dabei im Grunde über­flüssig. Das Leidende und Beängs­ti­gende ist allein ihrer Präsenz einge­schrieben. Verfüh­re­risch, flehend und schaurig sind ihre Blicke und unbe­hol­fenen Bewe­gungen. Gallo steht wie ein irrer Mörder im Bade­zimmer, um im nächsten Moment wieder zum sensiblen Liebhaber zu werden. Dalle wandelt einmal stumm vor einer weißen Wand entlang, auf der Blut verschmiert und verspritzt wurde, als handle es sich um das Resultat eines Action Paintings – eine besessene Künst­lerin in ihrem eigenen Reich. Claire Denis baut wunder­volle Tableaus mit den beiden.

Ohnehin sind die Arbeiten der Regis­seurin immer dann am stärksten, wenn sie sich auf Körper­lich­keiten konzen­trieren und das Erklären dem Erfahr­baren unter­ordnen. Gerade ihre Männer­studie Beau travail – Der Frem­den­le­gi­onär von 1999 ist dahin­ge­hend bis heute unüber­troffen. In Trouble Every Day ist diese Stärke ebenfalls zu spüren. Claire Denis verdichtet ihre Fragmente zu Stim­mungs­bil­dern und Affekten. Kommu­ni­ka­tion und zwischen­mensch­liche Bande sind bereits brüchig, bevor sie in sexua­li­sierter Gewalt eska­lieren. Heraus­gelöste Moment­auf­nahmen taumeln auf einen gemein­samen Abgrund zu. Die Bilder ziehen der Erzähl­weise nach.

Wo Küsse und Bisse einander abwech­seln, reißt auch die Kamera von Agnès Godard Einzel­teile aus Körpern. Pulsie­rende Haut und schim­mernde Haare über­spannen in Groß­auf­nahmen die Leinwand und werden zur eigenen abstrakten Projek­ti­ons­fläche. Man will sie berühren und schreckt zugleich ange­wi­dert zurück. Näher kann man Menschen filmisch kaum noch zu Leibe rücken. Als nächstes müsste die Kamera selbst wie ein Finger im verletzten Fleisch bohren; in einigen Momenten steht sie kurz davor. Doch da ist eine Grenze, an die Figuren und Darstell­bar­keit hier glei­cher­maßen stoßen. Die Hülle gibt die wahre Inner­lich­keit doch nicht preis, selbst wenn sie blutig in Fetzen hängt. Sie erscheint höchstens als Gedan­ken­splitter, vom Körper abge­trennt. Die filmische Montage muss aushelfen.

Enttäuschte Sadisten

Denis' Regie­ar­beit ist ungemein konse­quent, wie sie in solchen Momenten das Fremdsein der Figuren unter­ein­ander in filmische Form überträgt. Das Ergründen, Einver­leiben und Auffressen endet als Fantasie am puren Körper­ma­te­rial: im Bett, auf dem Fußboden, im Labor. Denis gelingt dabei der Genie­streich, Sexua­lität in eine Grat­wan­de­rung zu stoßen, bis der Mensch vor sich selbst erschre­cken muss. Die »Vampire« in Trouble Every Day leiden in ihrem Begehren letztlich am sadis­ti­schen Dilemma: Ist die Grenze des Todes über­schritten, folgt die Ernüch­te­rung auf jede Raserei und Ekstase. Das Gegenüber ist entblößt, erobert, unwie­der­holbar verzehrt. Die verwüs­tende Leiden­schaft hat sich selbst erstickt.

Natürlich braucht Claire Denis kein Weih­wasser, keinen Holz­pf­lock oder Knoblauch, um sich der Blut­sauger-Thematik zu widmen. Wenn man überhaupt von Vampiren sprechen will, dann inter­es­siert sich die Regis­seurin höchstens für deren tragische Quint­essenz: die Uner­sätt­lich­keit. Immer wieder müssen Grenzen über­treten werden und Annähe­rungen in Bruta­lität münden. Die Gren­zü­ber­schrei­tung dient Denis dabei weder als reiner Schock­ef­fekt noch als bloße Zuspit­zung der Figuren. Sie wird vielmehr mensch­liche Grund­kon­stante und Motiv – in verschie­denen Konstel­la­tionen. Als Suche nach dem ulti­ma­tiven sexuellen Kick, nach Zwei­sam­keit, wissen­schaft­li­cher Erkenntnis, aber auch in sozialen Macht­ge­fällen. Eine Bediens­tete versucht da, wenigs­tens für kurze Momente Teil einer Welt sein zu können, der sie sonst nur die Kulissen reinigen darf.

Romantik trotz allem

Das Expe­ri­ment Monogamie, unschul­dige Part­ner­schaft, womöglich noch in der amtlich gezü­gelten Form der Ehe stellt Denis auf den Prüfstand. Die zivi­li­sa­to­ri­sche, syste­mi­sche Zähmung des Menschen an sich ist womöglich nur ein Trug­schluss! Zu drängend ist das Begehren und Streben nach dem Verbo­tenen und Anderen, das man gerade nicht besitzt oder besitzen kann. Doch trotz aller Gräuel und Bluttaten, trotz aller Schwer­mü­tig­keit, mit der der Tinder­sticks-Sound­track die Figuren durch die Tristesse namens Paris begleitet: Trouble Every Day beschwört einen Rest Sensi­bi­lität und Liebe. Im Kern ist das ein hoff­nungslos roman­ti­scher, empfind­samer Film.

Denis' Figuren sehnen sich danach, mehr zu sein als Labor­ratten und trans­pa­rente, gesteu­erte Wesen. Sie wollen ihre Geheim­nisse, ihre Autonomie zurück. Intimität ist ihr innigster Wunsch, auch wenn diese im nächsten Moment ins Verletzen umschlagen kann – im wört­li­chen wie über­tra­genen Sinne. Viel­leicht kann es echte Romantik erst geben, wenn man diesem poten­ti­ellen Schrecken in die Augen gesehen und das (selbst)zerstö­re­ri­sche Potential der Leiden­schaften akzep­tiert hat? Vor diese unbequeme Frage stellt einen Denis in ihrem meis­ter­haft bedrü­ckenden Film. Und sie antwortet selbst: Mit anrührend zärt­li­chen, trös­tenden Gesten, die man in Trouble Every Day einander verteilt, wenn die Raubtiere zurück in ihre Zwinger kehren.