Trans Bavaria

Deutschland 2011 · 127 min. · FSK: ab 0
Regie: Konstantin Ferstl
Drehbuch:
Kamera: Stephan Bookas
Darsteller: Marcel Despas, Lukas Schätzl, Johannes Damjantschitsch, Eisi Gulp, Hansi Kraus u.a.
Wieder mal: der neue Heimatfilm

Havannas in Niederbayern

Die Heimat hat so ihre Tücken. Wo sonst liegen das Kusche­lige und das Reak­ti­onäre so nah beiein­ander? Wo sonst ist die Verfüh­rung zum Still­stand so verlo­ckend? Und, verdammt nochmal, wo schmeckt der Schwei­ne­braten so gut wie bei Mutti? Das ameri­ka­ni­sche Kino hat sich mit dem Western eine ganz besondere Variante des Genres einfallen lassen, in der es immer um eine Zeit des Umbruchs geht, um die Dialektik des Fort­schritts und die Gewalt, mit der das Land den Urein­woh­nern und sich selbst abge­rungen werden musste.

Hier­zu­lande war das, was zumal in den 50ern unter dem Etikett des Heimat­films lief, ob nun Die Christel von der Post oder Die Fischerin vom Bodensee, dann doch eher zum Gruseln. Doch spätes­tens mit Marcus H. Rosen­mül­lers Wer früher stirbt ist länger tot schlich sich 2006 ein neuer Ton ins Genre ein, der das Ersti­ckende und das Roman­ti­sche, das beides in Begriff und Erfahrung der Heimat steckt, mit viel Witz inein­ander zu weben wusste. Und bei allem Schen­kel­klopfen bleibt in Rosen­mül­lers besten Arbeiten doch stets ein Rest Unver­söhnt­heit übrig, ein Stachel im Hintern, der sich unter dem Herr­gotts­winkel auf die Eckbank fläzt.

Wie Rosen­müller so ist auch Konstantin Ferstl Absolvent der Münchner Hoch­schule für Fernsehen und Film, und Trans Bavaria ist seine Abschluss­ar­beit, in der jede Menge Biogra­fi­sches steckt: 2003 packte Ferstl seinen Rucksack, reiste »mit zu vielen Ideen im Kopf« zum Roten Platz und von da weiter, mit der Trans­si­bi­ri­schen Eisenbahn nach Peking. Ganz so weit will es sein filmi­sches Alter Ego Quirin – der ein Faible fürs alte Rom hat und sich deswegen Quiri­nalis nennt – gar nicht bringen, ihm reicht Moskau schon, nachdem sich das heimische Abensberg in Nieder­bayern als revo­lu­ti­ons­tech­nisch eher untaug­lich heraus­ge­stellt hat. Auf dem Roten Platz aber, da wird in zehn Tagen Fidel Castro sprechen, der letzte lebende Revo­lu­ti­onär! Der erscheint Quirin gemeinsam mit seinem Kumpel Ché auch schon mal in Visionen, um ihm altvä­ter­lich lächelnd ein bisschen Dampf zu machen, auch wenn das viel­leicht nur am Qualm der dicken Havannas liegen mag, die den beiden aus den Mund­win­keln ragen.

Viele Ideen hatte Ferstl tatsäch­lich, und es ist von einer erfri­schenden Unbe­sorgt­heit, wie er in stati­schen, thea­ter­haften Tableaus die baye­ri­sche Geschichte in der Inter­pre­ta­tion von Quirin am Zuschauer vorbei­ziehen lässt. Jeder Versuch, dieses Volk zu zivi­li­sieren, sagt Quirin, war zum Scheitern verur­teilt – zuletzt wird ein dunkel­häu­tiger G.I. mit dem Nudelholz davon gejagt. Gleich­zeitig lässt die ironische Insze­nie­rung Ferstls keinen Zweifel daran, dass es Quirin mehr um den »revo­lu­tio­nary chic« geht als um Politik.

Ideo­lo­gisch noch weit weniger gefestigt sind freilich Quirins Kumpane Joker und Wursti, die eher aus alter Freund­schaft und Lange­weile zu Reise­be­glei­tern werden. Und so wie die drei im Fleisch­trans­porter von Wurstis Eltern Nieder­bayern den Rücken kehren, so sprangen auch die Förder­gre­mien, Sender und die ursprüng­liche Produk­ti­ons­firma von Ferstls Projekt ab, bis der nur noch die Film­schule, die Erspar­nisse seiner Mutter samt ein paar Spenden und der Bereit­schaft aller Betei­ligten hatte, auf Entloh­nung zu verzichten. Eine rätsel­hafte Entschei­dung vor allem des FilmFern­sehFonds Bayern, auf den der Plot mehr oder weniger wie ein Bewer­bungs­schreiben zuge­schnitten ist.

Doch Ferstls Breit­wand­bilder entlocken auch den weiten Land­schaften am neuen Rand der Europäi­schen Union, durch die das Fleischmobil sich seinen Weg bahnt, eine unver­hoffte, ockergelb-braune, fast roman­ti­sche Schönheit. Und tatsäch­lich verfügen die drei Laien, mit denen Ferstl seine Prot­ago­nisten besetzt hat, über eine durchaus sympa­thi­sche Lein­wand­prä­senz. Denn natürlich ist die Reise nach Moskau wie bei jedem Road Movie eine Reise ins Innere, der Weg ist das Ziel und führt zu einer – letztlich wenig über­ra­schenden – Selbst­er­kenntnis.

So ganz will Ferstl die seltsame Balance dabei nicht gelingen, zu der gerade in Bayern das Volks­tüm­liche und die ätzende Kritik manchmal zusammen finden – man denke an Söllner, Polt, Achtern­busch. Er hat viel Prominenz vor der Kamera versam­meln können, die er als augen­zwin­kernde Referenz einsetzt: den ehema­ligen Schul­lümmel Hansi Kraus etwa oder Ottfried Fischer, der als Sir Quickly in der TV-Serie »Irgendwie und Sowieso« so etwas wie ein Dorf-68er war.
Und Eisi Gulp, der als öster­rei­chi­scher Aussteiger Trotta dem Quirin mitgibt: »Wenn du glaubst, dass Heimat dort ist, wo du dich gerade wohl­fühlst, dann bleibst du ein ewiger Tourist.« Das freilich mag für manche weniger nach 1968 klingen denn nach 1950.