Deutschland 2016 · 102 min. · FSK: ab 0 Regie: Andreas Dresen Drehbuchvorlage: James Krüss Drehbuch: Alexander Adolph Kamera: Michael Hammon Darsteller: Arved Friese, Justus von Dohnányi, Axel Prahl, Andreas Schmidt, Jule Hermann, Charly Hübner u.a. |
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Liebevolle, aber harmlose Nostalgie |
Nicht immer ist die werkimmanente Überführung eines literarischen Werkes in einen Film auch die beste, manchmal ist gerade das Gegenteil von Vorteil und dann wieder geht auch beides, irgendwie. Ein gutes Beispiel für die vielen, verflixten Varianten der gleichen Geschichte ist die Neuverfilmung des Kinderbuchklassikers Timm Thaler oder das verkaufte Lachen.
Der von James Krüss 1962 erschienene Roman erzählt die Geschichte des Waisenjungen Timm Thaler, der in den wirtschaftlich prekären 1920er Jahren sein Lachen an den Baron Lefuet (invers »Teufel«) verkauft und mit der Gabe entlohnt wird, jede Wette gewinnen zu können. Timms Aufstieg zu Reichtum und Ansehen sind dabei genauso Thema wie das Unglück, ohne Lachen leben zu müssen und eine zwar ambivalente, aber zunehmend symbiotische Beziehung zum Baron selbst. Krüss lieferte damit eine aktualisierte Variante dessen, was Autoren wie Chamisso mit »Peter Schlemihls wundersamer Geschichte«, Wilhelm Hauff mit seinem »Kalten Herz« oder R. L. Stevenson mit seinem »Flaschenteufel« bereits formuliert hatten: der Teufelspakt als Symbol und gleichzeitig Kritik des Kapitalismus, mit der Krüss zweifellos die Wirtschaftswunderjahre in Deutschland thematisierte. Zu dieser »klassischen« Lesart von Krüss Roman ist in den letzten Jahren eine »zeitgemäße« Interpretation hinzugekommen, die sich vor allem mit der ambivalenten Intensität beschäftigt, mit der der ältere Mann den Jungen »verführt« und dabei selbst zum »Lachenden« wird, während dem Kind trotz zahlloser »Geschenke« das Lachen vergeht, und damit »Timm Thaler« auch zu einer Erzählung über Missbrauch wird.
Die erste Verfilmung dieses Stoffes nimmt im kollektiven deutschen TV-Unterbewusstsein einen einzigartigen Platz ein. Die 1979 unter der Regie von Sigi Rothemund als 13-teilige Serie im ZDF lancierte Verfilmung machte nicht nur Thomas Ohrner zum Kinderstar, sondern war auch der erfolgreiche Prototyp des neuen »Superformats« der »Weihnachtsserie«. Zu dem Erfolg trug nicht nur die über dem TV-Durschnitt agierende Regie, der überzeugende Kinderstar und sein überragender, von Horst Frank verkörperter Gegenspieler bei, sondern auch, dass die Drehbuchautoren Justus Pfaue und Peter M. Thouet den Roman von Krüss in die Gegenwart transponierten und damit dem Hochglanz-Kapitalismus der ausgehenden 1970er Jahren einen dezenten Schlag versetzten. Gleichzeitig bedeutete die Besetzung mit Horst Frank als Verführer eine kaum mehr zu übertreffende Gratwanderung zwischen Anziehung und Abschreckung und bediente aus der heutigen Perspektive schon damals die »Missbrauchs«-Lesart.
Für Andreas Dresen, der mit Sozialdramen und Literaturverfilmungen (Die Polizistin, Als wir träumten) schon lange Erfahrung und Erfolg hat, war »Timm Thaler« nicht nur eine geschätzte Jugendlektüre, nach deren Verfilmung er sich schon sehnte, als er noch gar nicht Regisseur war, sondern auch in Regiezeiten ein nie erfüllter Traum, den er erstmals im Jahr 2000 Bernd Eichinger anvertraute. Diese Liebe zum Stoff merkt man »seinem« Timm Thaler in fast jeder Einstellung an. Dazu gehört bei Dresen allerdings auch, nicht auf eine Konfrontation der kindlichen Seele mit dem Nachtmahr-Aspekt der Geschichte zu setzen, sondern stattdessen auf den märchenhaften Attribute zu betonen.
Der »neue« Timm Thaler ist ein Kostümfilm und ein Märchenfilm, besetzt mit lauter alten Bekannten, auch aus Dresens eigenem Werk: Axel Prahl, Justus von Dohnányi, Charly Hübner, Fritzi Haberlandt und Andreas Schmidt spielen mit, Harald Schmidt taucht auf und sogar der alte Timm, Thomas Ohrner, hat einen kurzen Gastauftritt. Bis auf wenige Ausnahmen hält sich Dresen an die Romanvorlage und interpretiert den Stoff klassisch. Die Armut der 1920er ist liebevoll nachgezeichnet, die Pferderennbahn ein überzeugend-nostalgischer Ort, um die ersten Gehversuche für Timm (Arved Friese) in Sachen Kapitalismus anzudeuten, und auch den Baron (Justus von Dohnányi) einzuführen, dem sich Dresen allerdings erlaubt – tagesaktuell – ein wenig politische Populisten-Demagogie beizumischen. Doch damit ist der aktuellen Bezüge auch genug. Stattdessen verstärkt Dresen die märchenhaften Aspekte seiner nostalgischen Interpretation des Stoffes, in dem er die Assistenten des Barons zwar in ein queeres Paar überführt, dass sich dann aber sehr schnell in Ratten verzaubert sieht und ein dementsprechendes Dasein fristet. Dadurch gelingt es Dresen, auch 6-jährige mit ins Boot zu holen und eine im Grunde anspruchsvolle und äußerst zweideutige Gesellschaftskritik verträglich machen.
Doch nimmt die Verniedlichung und Verdämlichung des Bösen dem Bösen auch seinen Reiz. So wie die Armut bei Dresen fast zu schön, zu sehr Wohlfühlkulisse ist, bleibt auch die Darstellung des Bösen im Kern plakativ. Dies überrascht umso mehr, als Dresen in seinen »Erwachsenenfilmen« keinesfalls die Konfrontation mit extremen Momenten, dem Überraschenden, der Wirklichkeit scheut, hier aber den Weg einschlägt, den der deutsche Kinderfilm mehrheitlich seit Jahren beschreitet, den des geringsten Widerstands. Kindern wird eine wirkliche und das heißt auch überraschende Auseinandersetzung mit unseren ureigenen Ängsten schlichtweg nicht mehr zugetraut. Die Angst, sie zu überraschen und zu erschrecken – heutzutage schnell mit »traumatisieren« gleichgesetzt, ist andrerseits aber auch ein irgendwie verständlicher Spiegel unserer restaurativen Zeiten, in der nicht mehr Eltern dominieren, die ihren Kinder die nur best- und schnellstmögliche Unabhängigkeit wünschen, sondern »Helikopter-Eltern«, die gerade dem Freiheitsdrang ihrer Kinder völlig verängstigt gegenüberstehen.