Deutschland 2017 · 106 min. · FSK: ab 12 Regie: Ute Wieland Drehbuch: Ute Wieland Kamera: Felix Cramer Darsteller: Flora Li Thiemann, Emily Kusche, David Ali Rashed, Narges Rashidi, Gisa Flake u.a. |
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Souverän und facettenreich: die Jugend |
Zwei Girls in Berlin: Nini und Jameelah sind um die vierzehn Jahre, aber schon ziemlich reif für ihr Alter. Sie sind gerade sehr gut gelaunt – nicht nur, weil bald die großen Ferien anfangen und sie naseweis und zumindest Jameelah auch in der Schule super sind. Sie sind auch »gut drauf«, weil sie die Welt und ihre vielen Erfahrungen entdecken, weil sie gerade in diesem Sommer auf dem schmalen Grad balancieren, zwischen noch-Kind-sein und schon erwachsen-sein. Und weil sie das gerade
gut auszunutzen wissen, auch um Erwachsene bei ihren Schwächen zu packen.
Nini und Jameelah sind beste Freundinnen. Die beiden feiern viel, rauchen heimlich oder streifen durch ihren Kiez. Und sie finden es großartig, miteinander Zeit zu verbringen und zu quatschen. Ihre Gespräche drehen sich um die Liebe, aber genauso um die eigene Familie. Nini und Jameelah wohnen einem der Berliner Problembezirke. Beide kennen sich schon seit der Grundschule. Zusammen mit ihnen begegnet man auch
ihren Freunden, ihrer Familie, den Lehrern in der Schule und auch den Jungs, in die sie gerade verliebt sind.
Trotzdem sollte man sich von der heiteren, mitunter etwas glatten Oberfläche dieses Films über und für Jugendliche nicht täuschen lassen, genausowenig von der sehr kommerziellen Machart dieses Sommer-Blockbusters. Denn Tigermilch ist trotz dem Schielen aufs große Publikum, und trotz der hier auch immer mitinszenierten politisch-sozialen Relevanz des Stoffes, weder ein flapsiges Teenagerstückchen, bei dem zum tausendsten Mal das Traumgirl oder der
Traumboy gefunden werden muss, noch ist es eine Milieustudie über prekäre Kiddies in Berlin.
Dies ist zuallererst ein Film über Freundschaft, Liebe und Träume, der seine Figuren sehr ernst nimmt, auch in ihren persönlichen Erfahrungswelten, und der zugleich in die Metropole Berlin und in die rissigen Lebensweisen ihrer Bewohner eintaucht.
Erste Liebe und erster Liebeskummer, Erwachsenwerden, Freundschaft, Vertrauen, Berlin, Party, Sommerferien, Drogen, kleine Verbrechen, prekäre Lebensverhältnisse, Multikulti, Integration, Nahost, Migration, Abschiebung, aber auch Provokation und Mutproben – es geht schon um sehr, sehr viel in diesem Film. Darin entspricht er der Buchvorlage, dem vielfach ausgezeichneten Bestseller von Stefanie von Velasco. Aber es wird nie zuviel, und die erfahrene Regisseurin Ute Wieland, die in früheren Arbeiten (Tango im Bauch, Freche Mädchen, FC Venus) schon öfters das Leben Jugendlicher und junger Frauen portraitiert hat, hält ihren Film souverän in der Balance. Überdies sind Emily Kusche als Jameelah und Flora Tiemann als Nini zwei ausgezeichnete Hauptdarstellerinnen.
Sprache und Wortwitz, das Spiel des »Wörterknackens«, aus dem die beiden Freundinnen eine regelrechte Kunst gemacht haben, spielen eine besondere Rolle. Die Wortspiele und die Metamorphosen-Kraft der Worte, erlauben es ihnen auch, sich aus der normalen Welt wegzubeamen in ihre eigene.
Zugleich geht es um die große Politik, und darum, wie diese die kleinen Leben normaler Menschen berührt und auch zerstören kann. Denn eines Tages droht Jameelah, deren Familie einst aus dem Irak geflüchtet ist, plötzlich die Abschiebung. Zugleich erlebt auch Nini harte Zeiten: Ihre Mutter ist Alkoholikerin mit regelmäßigen Abstürzen, im Wohnblock wird ein Mädchen von ihrem Freund im Streit getötet, die beiden sehen es zufällig mit an.
Tigermilch hätte danach ein arger Kitsch werden können, doch Wieland vermeidet das Rührstück konsequent. Sie bleibt ihren Figuren treu, auch wenn sie mal Mist bauen – so gelingt ihr ein Film über Jugendliche, der nicht in Klischees stecken bleibt. Die Doppelperspektive dieser Geschichte mit zwei gleichberechtigten Hauptfiguren verhindert auch Einseitigkeiten und unangenehmes Moralisieren.
Irgendwann spitzt sich die Situation zu, und Jamilla
und Nini haben ernsthaften Streit. Aber auch das geht vorüber – so stromern die 14-jährigen Freundinnen durch die Großstadt, sie hängen auf der Wiese im Schwimmbad ab, und hoffen auf Leben, und darauf, dass es mit Jameelahs Aufenthaltsgenehmigung endlich klappt. Zumindest an ihrer Freundschaft ist nicht zu rütteln. Die titelgebende »Tigermilch« ist übrigens eine Mischung aus Maracuja-Nektar, Milch, Chili »und ordentlich Weinbrand«.