The Territory

Brasilien/DK/USA 2022 · 86 min. · FSK: -
Regie: Alex Pritz
Drehbuch:
Musik: Katya Mihailova
Kamera: Alex Pritz, Tangãi Uru-eu-wau-wau
Schnitt: Alex Pritz, Carlos Rojas
Den Indigenen eine Stimme geben
(Foto: Alex Pritz / DOK.fest München)

Die letzte Bastion

Alex Pritz schafft in Kollaboration mit den indigenen Uru-eu-wau-wau einen mitreißenden Umwelt-Thriller. The Territory erzählt aus der Perspektive einer isolierten Gemeinschaft, die um ihr Überleben kämpft

Der New Yorker Doku­men­tar­filmer Pritz widmet sich in seinen Arbeiten dem Verhältnis von Menschen und Natur – so auch in The Territory. Seit der Wahl Jair Bolso­naros zum Präsi­denten im Jahr 2018 hat sich die Lage der indigenen Bevöl­ke­rung in Brasilien drama­tisch verschlech­tert und die Abholzung des Amazonas schreitet unge­bremst voran. Bolsonaro hält die Bauern dazu an, Regenwald zu verbrennen, um Farmland zu gene­rieren.

Das Satel­li­ten­bild zeigt eine grüne Enklave umringt von hell­braunen Feldern: dort leben die Uru-eu-wau-wau zurück­ge­zogen im Regenwald. Die letzten 180 Angehö­rigen wehren sich mit Jagdbogen und Kamer­adrohnen gegen den Landraub der Bauern, die im Namen des wirt­schaft­li­chen Fort­schritts in ihr Terri­to­rium eindringen. Die illegalen Siedler erhoffen sich einen Weg aus der Armut. Ein Schild mit der Aufschrift »indigenes, geschütztes Terri­to­rium« – durch Schüsse perfo­riert und rostig – steht sinn­bild­lich für den jahre­langen Konflikt um die Amazo­nas­ge­biete der Uru-eu-wau-wau.

Der Film begleitet den erst 18-jährigen Anführer der Uru-eu-wau-wau Bitaté, auf dessen Schultern die Zukunft seines Stammes liegt. Die brasi­lia­ni­sche Umwelt­ak­ti­vistin Neidinha, die sich seit Jahren für die Ange­le­gen­heiten der Indigenen einsetzt, arbeitet eng mit ihm und dem Über­wa­chungs­team der Uru-eu-wau-wau zusammen.

Pritz zeigt Kinder beim Baden im Fluss, beim Spielen und rennt mit ihnen durch den Dschungel. Der Regenwald ist ihr Zuhause. Von Schießü­bungen mit Pfeil und Bogen bis hin zur Zube­rei­tung von frisch gejagtem Fisch: diese alltä­g­li­chen Hand­lungen wirken bald vertraut und das Publikum fühlt sich rasch als Teil der Gemein­schaft. Atem­be­rau­bende Natur­bilder zeigen die schüt­zens­werte Vielfalt vom kleinsten Insekt bis zum höchsten Baum. Sie vermit­teln einen idyl­li­schen Eindruck.

Dieser intime erste Teil bricht urplötz­lich auf in einen rasanten Wettlauf ums Überleben. Als die Bauern Uru-eu-wau-wau-Gebiet in Brand setzen, ist Pritz mit seiner Kamera mitten­drin. Nachdem das Feuer erloschen ist, das die gesamte Leinwand glutrot gefärbt hat, bleibt eine aschgraue Land­schaft zurück. Die Kamera führt uns an verkohlten Baum­stämmen vorbei, als begut­ach­teten wir selbst das Ausmaß der Zerstö­rung. Schnell wird klar: alle Betei­ligten setzen ihr Leben und das ihrer Familien aufs Spiel im Kampf gegen Umwelt­zer­stö­rung, Landraub und gezielte Ermordung des indigenen Stamms.

Mit der Corona-Pandemie wird die bereits verwund­bare Bevöl­ke­rungs­gruppe dazu gezwungen, sich tief im Dschungel zu isolieren. Ihr Kampf um das Überleben wird zum Spieß­ru­ten­lauf. Auch Pritz muss sich einer Frage stellen, die vielen Doku­men­tar­fil­me­ma­cher*innen begegnet: inwieweit kann und soll er sich in das Leben seiner Prot­ago­nist*innen einmi­schen?

Ein Blick in die Credits verrät: The Territory ist ein kolla­bo­ra­tives Projekt. Statt als ein weiterer privi­le­gierter, weißer Filme­ma­cher eine margi­na­li­sierte Bevöl­ke­rungs­gruppe innerhalb zwei­fel­hafter Macht­dy­na­miken auszu­stellen, stattet Pritz die Uru-eu-wau-wau mit Kameras aus und schult sie online im Filme­ma­chen. Wenn der Wald zu dicht ist, geben Drohnen Aufschluss über den Fort­schritt der Brand­ro­dungen. Auch Angreifer können aus der Luft einfacher entdeckt werden.

Die Aufnahmen der Uru-eu-wau-wau dienen nicht nur als Waffe im Kampf gegen Umwelt­zer­stö­rung und Landraub, sondern ermö­g­li­chen ihnen auch ihren eigenen, selbst­be­stimmten Blick beizu­tragen. Bitaté nutzt seine Stimme als Anführer und findet im Filme­ma­chen seinen kreativen Ausdruck. Er führt die Arbeit seiner Vorfahren fort und doku­men­tiert die Sprache und Kultur der Uru-eu-wau-wau für zukünf­tige Genera­tionen. Die Älteren hatten nicht die Möglich­keit, derartige Tech­no­logie zu nutzen, um ihrer Stimme Gehör zu verschaffen: »It was only their word, and no one believed them«, erzählt Bitaté. Er hingegen hat handfeste Beweise.

Zwar zeigt die Strategie erste Erfolge, da die Bericht­erstat­tung lokaler Medien dafür sorgt, dass die Politik die Bauern und Siedler aus Angst vor Gesichts­ver­lust nicht mehr unter­stützt. Der Kampf ist aller­dings nicht vorbei: Inva­sionen in indigene Amazo­nas­ge­biete haben sich im Jahr 2021 verdop­pelt. Seit Jahren ist bekannt, dass die indigene Welt­be­völ­ke­rung eine entschei­dende Rolle im Umwelt­schutz spielt. Dabei machen sie nur ungefähr fünf Prozent der Gesamt­be­völ­ke­rung aus. Der Verlust der indigenen Regen­wälder würde das globale Klima grund­le­gend verändern.

The Territory ist nicht nur ein ehrliches Porträt einer bedrohten Gemein­schaft, sondern mahnt uns gleich­zeitig, dass das Schicksal der Uru-eu-wau-wau und aller anderen indigenen Stämme eng mit unserem verknüpft ist. Hört die grüne Lunge der Erde auf zu atmen, bleibt auch uns die Luft weg.