There Is a Stone

Ishi ga aru

Japan 2022 · 104 min.
Regie: Tatsunari Ôta
Drehbuch:
Kamera: Yuji Fukaya
Darsteller: Tsuchi Kanô, An Ogawa
Utopie des Verstummens...
(Foto: Fugu Filmverleih)

Fantasie einer Abschweifung

Tatsunari Otas There is a Stone ist eine faszinierende kleine Film-Novelle über den Reiz des ziellosen Zeitvertreibs

Kommu­ni­zieren ist schwere Arbeit. Tatsunari Otas schüch­terne Prot­ago­nistin weiß nicht so recht, wie sie mit dem Verhalten der Mitmen­schen umgehen, wie sie es lesen soll. Mehrere Begeg­nungen erlebt sie in der ersten Vier­tel­stunde dieses Films. Ein Mann in einem Auto, den sie nach Rat und Auskunft über die Gegend fragt, ist kurz ange­bunden. Ein anderer Auto­fahrer nimmt sie freund­li­cher­weise mit ins Tal, damit sich Yoshikawa, so heißt die junge Frau, den fußläu­figen Abstieg sparen kann. Mehr als Smalltalk ist jedoch nicht drin während der Fahrt.

Bei einer weiteren Begegnung weicht das leicht Beschämte, Irri­tierte schließ­lich der nackten Angst. An einem Flussufer steht ein Mann und lässt Steine über das Wasser hüpfen. Als er Yoshi­kawas Blick erwidert, gleicht das einem Schock­erlebnis. Plötzlich geht der Mann ins Wasser, wühlt sich durch den hüfthohen Fluss, immer weiter voran. Bedroh­lich nähert er sich der Frau. Will er ihr etwas antun? Hat sie ihn verärgert, gestört? Ist er womöglich ein Irrer, der nun die Verfol­gung aufnimmt? In der Tat kommt es anders: Man erkundigt und entschul­digt sich. Ein Miss­ver­s­tändnis. Man senkt die Köpfe, reicht sich ein Tuch zum Hände­trocknen. Ein ganz hinreißendes Werk wird sich aus dieser eigen­ar­tigen Begegnung entspinnen.

Unver­hofft einen gemein­samen Tag verbringen, Sorgen und Pflichten vergessen: Tatsunari Ota (Bundes­liga) lässt einen Akt zwischen Fremden in seinem zweiten Spielfilm selbst fremd werden, indem er das zur Attrak­tion erklärt, was andere Filme nur in flüch­tigen Montagen zeigen würden. Der japa­ni­sche Regisseur demons­triert damit ein Kino jenseits der Aufmerk­sam­keitsö­ko­nomie, das bemüht ist, alter­na­tive Erfah­rungen zu suchen, anstatt sich nur als Träger drama­ti­scher Hand­lungen und Dialoge zu begreifen. Gespro­chen wird weniger mit Worten denn mit Körpern in Räumen, mit Bewe­gungen, deren Verur­sa­cher man sich erst einmal zusam­men­puz­zeln muss, um sie zu begreifen.

There is a Stone seziert keine Psycho­logie, sondern vermit­telt lediglich Ahnungen, sucht nach Wieder­erken­nung und induziert zugleich eine Reflexion und Befragung derselben. Ihre Antworten mögen irgendwo in der Film­pro­jek­tion versteckt sein, doch man kann sie genauso gut übersehen, igno­rieren und dennoch ganz bezaubert aus der träu­me­ri­schen, über­schwap­penden Stimmung dieses Films wieder in die Norma­lität zurück­kehren.

Welt­flucht in Über­gangs­zonen

Trostlose Räume betritt man hier. There is a Stone bespielt Leere und Kargheit, unlieb­same Winkel zwischen Zivi­li­sa­tion, Brache und Wildnis, die eigent­lich eher zum Durch­queren als zum Verweilen einladen. Ein Verschwinden ist der Ausgangs­punkt. Die Prot­ago­nistin durch­streift für ein Reisebüro die Natur. Eine Burg sucht sie, doch die Burg ist nicht mehr da. Ihre Ruinen­teile sind nur noch Infor­ma­tionen auf einer Tafel, eine karto­gra­fierte, behaup­tete Erin­ne­rung. Der Land­schaft sind ihre greif­baren Mythen und Geschichten abhan­den­ge­kommen.

Unten im Tal warten Nicht-Orte auf Erkundung, iden­ti­täts­lose Zonen, in denen befahrene Brücken den Rest an Natur über­schatten. Darunter, am Ufer des Flusses flieht man nicht aus dem Alltag, ohne an dessen perma­nente Erfahr­bar­keit als Hinter­grund­rau­schen erinnert zu werden. Einwohner geben sich selten zu erkennen. Berufs­ver­kehr bildet die Klang­ku­lisse des Gehetzten und Rastlosen. Fabriken stehen verfal­lend, künftige Ruinen der Gegenwart. Dazwi­schen suchen die Figuren nach Eska­pismus auf einem Spiel­brett aus gräu­li­chen Gesteins­schichten. Etwa im Ballspiel mit Kindern, das noch eine gewisse Unge­zwun­gen­heit verspricht. Schließ­lich im puren, unpro­duk­tiven Zeit­ver­geuden und Zeit­ver­gessen, das ganz eigene Vorstel­lungen von Konflikten besitzt.

Hoppla, ein Miss­ge­schick: Gerade hat Yoshikawa einen wunder­schönen Stein gefunden, da wirft ihn ihr Gegenüber, Doi ist sein Name, ins Wasser. Doi ist untröst­lich, er wird auf die aussichts­lose Suche nach dem verlo­renen Brocken gehen, um das Unglück zu tilgen. Angeblich soll ein ähnliches auto­bio­gra­phi­sches Erlebnis des Regis­seurs Anstoß zum Film gegeben haben. Dazwi­schen spielt man mit Stöcken oder stapelt kunstvoll kleine Steinchen – das ist die »Handlung« dieses Films.

Als Alltag aller Intro­ver­tierten könnte man all die schwel­genden, mit präzisen und gedul­digen Kame­ra­schwenks einge­fan­genen Szenen beschreiben, in denen Figuren scheu Augen­kon­takte vermeiden, ange­strengt nach Wegen suchen, die Stille zu brechen oder sie wenigs­tens auszu­halten. Man versucht, ins Gespräch zu kommen oder sich schlicht über das gemein­same Expe­ri­men­tieren und eksta­ti­sche Versenken dem Moment hinzu­geben. Während­dessen ändern sich schlei­chend Licht­stim­mungen, bis There is a Stone in die Einsam­keit der Nacht gelangt. Echt­zeit­er­fah­rungen kolli­dieren plötzlich mit der trüge­ri­schen Montage des Mediums.

Irgend­wann wird dieser Tag vergangen sein, jeder zieht sich zurück und grübelt über das Erlebte. Aus komplexen Eindrü­cken werden Zeichen auf einem Blatt Papier – ein Tage­buch­ein­trag. Was hatte all das zu bedeuten? Die Banalität des fixierten, zusam­men­fas­senden Wortes stellt den gesamten Film zur Diskus­sion. Wird das Geschrie­bene, medial Geformte den Ereig­nissen gerecht? Hat es die eigenen subver­sive Gesten überhaupt erkannt? Wie politisch ist das Dahin­träumen, Schlen­dern und Igno­rieren der Umwelt, gerade in filmi­scher Darstel­lung? Welche Ursachen lassen sich für diese perma­nente Kommu­ni­ka­tion der Pein­lich­keit ausmachen, die sich mit Höflich­keit und Schweigen tarnt?

Spiel als Verwei­ge­rung

There is a Stone baut eine Utopie des Verstum­mens und eine ästhe­ti­sche Sprache jenseits des Gesagten. Letzteres schafft in verbaler Form höchstens Über­lei­tungen, um sich den Reizen des Klein­tei­ligen und Verbor­genen zu widmen. Jene Über­lei­tungen streben danach, den Lärm der angren­zenden Schnell­le­big­keit und den Drang nach Nutzen­brin­gung, Leistung und Ziel­stre­big­keit zu vergessen, der Menschen entzweit und zu Kämpfern degra­diert. Ihm mit vermeint­li­cher Lange­weile und anderen, abge­wer­teten Tätig­keiten zu kontern, diese im Kino zu erfahren und zu ertragen, wird zur perfor­ma­tiven Verwei­ge­rungs­hal­tung.

Tatsunari Otas Fantasie einer Abschwei­fung und eines andert­halb­stün­digen Umwegs ist somit eine kleine, aber markante Fußnote im Gegen­warts­kino. Man kann mit ihr ganz wunderbar den Textfluss unter­bre­chen, den Blick neu ausrichten, um dann mit verän­derter Perspek­tive in den gewohnten Text zurück­zu­kehren. Oder warum erscheint es heute so schwer, fremd­artig und fordernd, diesen kind­li­chen Spielchen und Beschäf­ti­gungen beizu­wohnen?

Eine intuitiv einge­for­derte Belohnung, hat man die Entschleu­ni­gung über­standen, kann nur als Frage formu­liert sein: mittels zweier Bewe­gungen, die am Ende von There is a Stone in unter­schied­liche Rich­tungen laufen. Wo für die eine Person der frühere Alltag neu zu beginnen scheint, kommt die andere nicht los aus ihrem subver­siven kleinen Mikro­kosmos, der versteckt und doch ganz offen im Hier und Jetzt zu finden ist. Ein Grinsen, das zur nach­denk­li­chen Miene zerfällt, birgt hier eine unauf­gelöste, nach­hal­lende Spannung, von der andere Filme nur träumen können.