Teaches of Peaches

Deutschland 2024 · 107 min. · FSK: ab 16
Regie: Philipp Fussenegger, Judy Landkammer
Drehbuch: ,
Kamera: Dino Osmanovic
Schnitt: Judith Landkammer
Die Rock-Röhre
(Foto: farbfilm)

Ganzkörperechthaaranzüge

Teaches of Peaches setzt der Ikone des queeren Elektroclashs ein Denkmal – das war es dann aber auch schon

»Alright Father­fu­ckers, let’s get down to Business!« Mit diesen Worten stürzt sich die kana­di­sche Musikerin Peaches in die Proben. 2022 geht sie mit ihrem Team auf Tour, um das 20-jährige Jubiläum ihres Durch­bruch­al­bums »Teaches of Peaches« zu feiern. Mit dabei ist ein Filmteam, das erste Test­in­ter­views führt – Phillipp Fusse­n­egger und Judy Land­kammer drehen den Doku­men­tar­film Teaches of Peaches. Der feiert dann zwei Jahre später auf der Berlinale Premiere, wo er mit dem Teddy Award für den besten LGBTIQ-Doku­men­tar­film ausge­zeichnet wurde.

Teaches of Peaches will der Ikone des queeren Elec­tro­clash ein Denkmal setzen. Erzählt wird in drei Hand­lungs­strängen: Wie ist aus Merrill Nisker, einer kana­di­schen Kinder­gärt­nerin und Folk-Musikerin, eine Berliner Ikone geworden? Wie hat sie, zwischen Messie-WGs in Toronto und einem Umzug nach Berlin, das Album »Teaches of Peaches« überhaupt geschrieben und produ­ziert? Und vor was für einer Welt spielen die Musikerin und ihre Band die Songs 20 Jahre später? Es werden hier also drei große Fässer aufge­macht. Die Antworten auf diese Fragen, die man von dem Film eigent­lich erwarten würde, bleiben aber leider aus.

Tatsäch­lich gibt es auch eine beträcht­liche Band­breite von Material, das zur Beant­wor­tung dieser Fragen heran­ge­zogen wird: Da gibt es zum Beispiel das persön­liche Archiv der Künst­lerin. Aus ihm stammen wacklige Handycam-Videos, die Merrill Nisker als junge Frau zeigen, die mit einer Kinder­gar­ten­gruppe fröhliche Lieder singt und auf der Gitarre spielt. Nachdem sie diesen Job der Musik zuliebe aufge­geben hat, sieht man sie auf Selbst­auf­nahmen in Hotel­zim­mern, ausgerüstet mit einem Reisepass und einer Groovebox und ihrem Reisepass. Ergänzt wird diese Geschichte einer unbe­kannten Künst­lerin, die sich auf den Weg nach Europa macht, durch zahl­reiche Inter­views mit alten Wegge­fährten wie Chilly Gonzales oder Leslie Feist. Aus den 2000ern folgen Mitschnitte von MTV und Top of the Pops. Peaches erklärt, was genau sie mit der Groovebox so treibt. Auch die Band­mit­glieder und Tanzcrew, die Peaches bei ihrer Jubiläums­tour unter­s­tützen, kommen zu Wort. Auch nicht fehlen darf der Friseur der Band. Sogar ihrem Partner, der eigent­lich wenig beiträgt, bis auf Gejammer über sein Sexleben, räumt der Film einige Minuten ein. Hinzu kommen noch beein­dru­ckende Aufnahmen der Konzerte selbst, präsen­tiert zur Musik und getaktet durch einen schnellen Schnitt, der den Beat zum Prot­ago­nisten auf der Leinwand werden lässt.

Mit der Musik steht und fällt der Film – das sollte aber eigent­lich gar nicht so sein. Peaches-Fans werden diesem Material-Cluster sicher etwas abge­winnen können. Halb Archiv, halb Konzert, etwas über einein­halb Stunden lang. Andere dürften sich leider fragen: Was sollte das? Susanne Heuer, die Drama­turgin des Films, pitcht den Film im Interview für die Teddy-Awards folgen­der­maßen: »I mean, it is called 'Teaches of Peaches' because we think there’s something to learn and I guess everybody has to figure out what that is them­selves.« Künstler können sich natürlich vor Inter­pre­ta­tion sträuben. Als Ansatz für einen Doku­men­tar­film über eine Künst­lerin ist das aber tatsäch­lich frag­würdig. Der Film ist tatsäch­lich gar nicht schlecht darin, Peaches ein Denkmal zu bauen. Dabei gehen aber die Antworten auf die Fragen, die er stellt, leider unter. Als Kunstwerk selbst verpasst er, eigen­s­tän­dige Aussagen zu treffen.

Viel­leicht ist das Problem, dass Peaches einfach zu cool ist. In den Sequenzen von Proben und Konzerten beweist sie, dass sie es in ihren Fünf­zi­gern noch genauso drauf hat wie vor zwanzig Jahren. Nach ihrem Motto »Jesus walks on water, Peaches walks on you« stürzt sie sich in die Menge, und Berlin trägt sie auf Händen, während sie aufrecht im Menschen­meer steht. Ihren Namen hat sie aus einem Nina-Simone-Song. Ihr größter Hit wurde nicht einmal in einem anstän­digen Studio aufge­nommen, er stammt von einem Kassetten-Board-Mix, den sie zufällig nach einem Live-Auftritt in die Hand gedrückt bekommen hat. Für ihre neue Tour ist sie bewaffnet mit »Thank God for Abortion«-Tops und Ganz­kör­per­echt­haar­an­zügen. Jedes Mal wenn sie redet, wünscht man sich als Zuschauer, dass der Film einfach nicht mehr zu irgend­je­mand anderem schneidet. Das passiert aber leider ständig, damit die Masse an Inter­views und Material noch in den Film passt. Viel­leicht war das Regieteam einfach über­rum­pelt. Trotzdem hätte Teaches of Peaches viel mehr Potential gehabt. Wie Laura Poitras mit All the Beauty and the Bloodshed beispiels­weise bewiesen hat, ist es durchaus möglich einen Doku­men­tar­film über eine faszi­nie­rende Frau zu machen, der sich trotzdem nicht von seiner Prot­ago­nistin über­schatten lässt. Von Peaches lässt sich nämlich tatsäch­lich viel lernen. Der Doku­men­tar­film hätte sich nur trauen müssen, selbst was zu sagen.