Talk to Me

Australien 2022 · 95 min. · FSK: ab 16
Regie: Danny Philippou, Michael Philippou
Drehbuch: ,
Kamera: Aaron McLisky
Darsteller: Sophie Wilde, Alexandra Jensen, Miranda Otto, Joe Bird, Otis Dhanji u.a.
Eine Lebensrealität, die nach Raum für Ekstasen und Transgressionen sucht...
(Foto: Capelight Pictures/Central)

Alles für die Sichtbarkeit

Den YouTubern Danny und Michael Philippou gelingt der vielleicht erste große Horrorfilm für die Generation Z.

Mia fürchtet sich davor, ihr Spie­gel­bild zu verlieren. Die Angst, sich nicht mehr wahr­nehmen zu können, zu einer formlosen Gestalt zu werden, rahmt diesen Film. Das beinhaltet auch, von anderen nicht mehr gesehen zu werden. Mia (Sophie Wilde) ist Teil einer Gene­ra­tion, die sich zwischen Doom­scrol­ling und gesell­schaft­li­chen Dauer­krisen fort­lau­fend beim Selbst­ent­wurf insze­niert. Das Ich stellt sich zur Schau, verlagert sich ins Netz. Es hält Momente digital fest, um sie vor der Endlich­keit zu retten – und riskiert damit den Verlust der Gegenwart. Finger gleiten über Touch­screens und lassen den scan­nenden Blick schweifen. Man sucht nach Iden­ti­fi­ka­tion und will zugleich aus Gleich­för­mig­keit und Gleich­gül­tig­keit heraus­ste­chen.

Die Teenager in Talk to Me stoßen dabei auf einen gefähr­li­chen Social-Media-Trend. Wer daran teilnimmt und sich filmen lässt, kann von sich reden machen. Der Preis: Kontroll­ver­lust und Selbst­ent­blößung. Eine einbal­sa­mierte Hand kursiert als düstere Legende. Von einem Sata­nisten soll sie stammen, aber wer weiß das schon genau? Mithilfe eines Rituals kann man über ihre starren Finger Kontakt zur Totenwelt aufnehmen. Kerze anzünden, die Hand auf dem Tisch umfassen und die Zauber­formel sagen: Talk To Me! Schon sind die Geister da und ergreifen Besitz vom eigenen Körper. Nur die 90-Sekunden-Marke darf man nicht über­schreiten, sonst wollen die Toten nicht mehr gehen. Natürlich dauert es nicht lang, bis das Spiel seine Opfer fordert.

Zwei YouTuber starten durch

Talk to Me beweist jeden­falls, dass sich aus alten Motiven noch immer kluge und wirkungs­volle Stoffe stricken lassen. Danny und Michael Philippou meistern hier einen höchst stim­mungs­vollen Horror­film und ein beacht­li­ches Lang­film­debüt. Ursprüng­lich wurden die »Rack­aRacka«-Brüder auf YouTube bekannt. Ihr Kanal ist ein Sammel­su­rium an Trash und Nonsens, Trick-Exzess und Geschmack­lo­sig­keiten, angelehnt an Populäres. Man filmt Fanfic­tion, setzt Ikonen und Fran­chises neu zusammen. Schaut man einige Clips auf dem Krawall-Kanal, erstaunt, wie gediegen, ernst und galant dieses Kino-Schau­er­s­tück im Kontrast insze­niert wurde.

Originell ist daran wenig, aber es variiert effektiv! Talk to Me setzt auf Atmo­sphäre, langsam zündelndes Grauen und kennt im Umgang mit seinen Figuren kein Erbarmen. Der Film hat einen fest im Griff: von der inten­siven ersten Plan­se­quenz bis zum letzten Akt, in dem die Bilder ins Dunkel stürzen. Vor allem wissen die Phil­ip­pous, ihren Schrecken inter­es­sant zu fundieren. Wenn­gleich es inno­va­ti­vere Horror­filme in den letzten Jahren gab: Talk to Me ist die womöglich erste populäre Spuk­ge­schichte, die so dezidiert, stil­si­cher und anknüp­fungs­fähig auf Lebens­ge­fühle junger Menschen zu Beginn des 21. Jahr­hun­derts zuge­schnitten ist.

Es geht in ihrem Party­spiel und Social-Media-Hype nicht nur um das Spiegeln einer Lust an der Selbst­in­sze­nie­rung, sondern auch ihrer gleich­zei­tigen Gefahr. Enttäu­schung und Mobbing folgen ihr auf Schritt und Tritt, ist die Euphorie des angst­lüs­ternen Trips erst einmal vorbei. Rasant geschnit­tene Montagen mit fetziger Pop-Musik können jederzeit in das Unbe­hag­liche und Erdrü­ckende umschlagen, denn dieser Film zeigt, welche Grau­sam­keit in Jugend­li­chen schlum­mern kann. Die Aufnahme – sie bleibt und konser­viert die Scham.

Tod und Ekstase

Daneben entwirft Talk to Me eine Lebens­rea­lität, die nach Raum für Ekstasen und Trans­gres­sionen sucht. Während die Eltern­ge­nera­tion (verkör­pert von Miranda Otto) stetig zügeln und vor Sex und Drogen warnen will, lockt die Totenhand mit Selbst­ent­gren­zung. Man sucht den Rausch, das Verbotene, wilde Gesti­ku­la­tion. Paul-Philipp Hanske und Benedikt Sarreiter haben in ihrer Publi­ka­tion zum Thema die Ekstase passend definiert: »[…] sie muss herge­stellt werden, die Zeit und das Ich zerfließen im Augen­blick und es wird eine Verbin­dung zu einer fremden Instanz herge­stellt […]«. Beses­sen­heit erlaubt das Schlüpfen in fremde Rollen. Die Kamera beob­achtet, wie sich das Gegenüber verändert, mit fremder Zunge spricht, wie Iden­ti­täten kolli­dieren – wunderbar schaurig von den jungen Darstel­lern gespielt! Normen und Hemm­schwellen bröckeln. Der Kick wird zur Sucht und geht mit dem Obszönen, Wider­wär­tigen, Verlet­zenden einher. Aber was, wenn die Ekstase nicht mehr enden kann?

Es ist ein finsteres Gesell­schafts­bild. Die Welt­flucht in Talk to Me trägt nur weitere Qual in einen von Sinn­lo­sig­keit, Depres­sion und Still­stand geprägten Alltag. Glück verkaufen die albernen Gameshows, die man abends vor dem Schlafen streamt. Ein Scrollen im Netz ist omni­prä­sent, aber wo bleibt die Befrie­di­gung? Wie die bereits zitierten Sarreiter und Hanske dazu fest­stellen: »Der Zustand, in dem man sich dann befindet, ist der Ekstase sehr ähnlich, aller­dings in entstellter Form: Zwar verschwindet das Zeit­ge­fühl, das Ich-Bewusst­sein ist jedoch auf krank­hafte und negative Weise gestei­gert. Legt man das Telefon dann zur Seite, bleibt das Gefühl von Leere und Einsam­keit.« Also sucht man wieder die Nähe zur Gefahr, den Jensei­tigen.

Schuld ist nur das Trauma

Zu fürchten gibt es dabei allerlei: Nachts tauchen gräss­liche Gestalten auf, spuken durch die Wahr­neh­mung und bedrohen das Mitein­ander. Während der Geist wandert, zerfällt der Körper im Realen – Analoges und Digitales im Streit. Wo das Smart­phone ein rein virtu­elles Koppeln an andere Erfah­rungs­ho­ri­zonte ermög­licht, wird über die mediale Hand alles ganz real und unmit­telbar. Sterb­lich­keit drängt dort ins Bewusst­sein, wo alles fixiert und für die Nachwelt unsterb­lich werden kann. Wenn Talk to Me die Toten beschwört, dann sind das Alte, Entstellte, Leichen, Unfall­opfer. Eine Horror-Show prak­ti­scher, physi­scher Effekte.

Mia erfährt einen letzten Trost darin, dass sie noch einmal ihre tote Mutter treffen kann. Die Phil­ip­pous erden ihre Horror­ge­schichte im Trauma und der Einsam­keit der 17-Jährigen. Zugleich macht genau diese Charak­ter­zeich­nung den Film angreifbar: Er schwächelt in der zweiten Hälfte. All die thema­ti­schen Schichten verleibt sich das Trau­ma­ti­sche ein. Talk to Me taumelt ins unzu­ver­läs­sige Erzählen, suhlt sich im drohenden Wahnsinn seiner Prot­ago­nistin und quält sie auf sadis­ti­sche Weise. Die Phil­ip­pous verengen damit ihre klugen Diskurse und schmälern ihre Schlag­kraft. Alle Ambi­va­lenzen und Fragen im Umgang mit Aufmerk­sam­keitsö­ko­nomie, Insze­nie­rungs­drang, Sucht und Ekstasen werden auf persön­li­chen Schultern abgeladen. Psychosen und Fami­li­en­pro­bleme sollen Erklärungen liefern, obwohl es den Film längst in eine abstrak­tere Hölle gezogen hat.

Talk to Me tappt somit in dieselbe Falle wie der erfolg­reiche Grusel­film Smile aus dem Jahr 2022. Es hindert ihn daran, die Masse an Horror­pro­duk­tionen vollends hinter sich zu lassen. So bleibt ihm nur das Verdüs­tern seiner aufschim­mernden Ideen und insze­na­to­ri­schen Fertig­keiten, gespickt mit einer, zugegeben, verblüf­fenden Pointe. Das Grauen von Talk to Me ist so oder so ein Teufels­kreis. Es setzt an zum Höhenflug, wirft dann aber seine Schöpfer und Figuren nach wenigen falschen Entschei­dungen an einen (kreativen) Ausgangs­punkt zurück. Für die beiden Regis­seure dürfte er der Start einer viel­ver­spre­chenden Karriere sein.