Ein Tag ohne Frauen

The Day Iceland Stood Still

Island/USA 2024 · 74 min. · FSK: ab 0
Regie: Pamela Hogan
Musik: Margrét Ran Magnúsdóttir
Kamera: Helgi Felixson
Schnitt: Kate Taverna
Ein Tag ohne Frauen
Erinnerung als Rekonstruktion, als poetische Behauptung, als kollektive Fantasie...
(Foto: Rise and Shine Cinema)

Unter dem Vulkan

Als 90 Prozent der Isländerinnen 1975 streikten, brachten sie ihr Land zum Stillstand – und in Bewegung. »Ein Tag ohne Frauen« erzählt mit Humor, Empathie und politischer Schärfe von diesem historischen Tag und seiner bis heute glühenden Kraft

Es gibt jene seltenen Doku­men­tar­filme, die sich nicht damit begnügen, Geschichte zu illus­trieren, sondern sie noch einmal aufbre­chen, lebendig machen und neu entzünden. Ein Tag ohne Frauen der ameri­ka­ni­schen Regis­seurin Pamela Hogan und der islän­di­schen Filme­ma­cherin Hrafnhildur Gunn­ars­dóttir, gehört zu diesen seltenen Werken. Er erinnert an jenen 24. Oktober 1975, an dem 90 Prozent der islän­di­schen Frauen das taten, was Frauen seit Jahr­hun­derten verboten, verwehrt oder verleidet worden war: Sie legten ihre Arbeit nieder. Sie verließen ihre Büros, Schulen, Küchen, Kinder­zimmer – und brachten ein ganzes Land zum Still­stand.

Island, das heute als einer der besten Orte der Welt, um eine Frau zu sein, gilt, verdankt diesen Titel nicht gött­li­cher Gnade, sondern der gebün­delten Wut und Zärt­lich­keit dieser einen kollek­tiven Handlung. Der Film führt uns in diesen Tag, als wäre er ein mythi­scher Ursprung, ein islän­di­scher Urknall femi­nis­ti­scher Energie. Doch er bleibt nicht in der Verklärung stehen. Hogan und Gunn­ars­dóttir zeigen, wie mühsam, wie tastend, wie spie­le­risch diese Bewegung im Rahmen der zweiten femi­nis­ti­schen Welle seit 1970 zu rollen begann – mit absurden, subver­siven Aktionen: einer weib­li­chen Puppe, an einen Weih­nachts­baum gekreu­zigt, um die Arbeits­pein der Haus­frauen zu symbo­li­sieren; einer Kuh, auf eine Schön­heits­bühne geführt, um die Fleisch­be­schau solcher Wett­be­werbe bloß­zu­stellen.

Diese grotesken, fast dada­is­ti­schen Protest­formen sind im Film nicht bloß Anekdoten, sondern Metaphern einer klugen, kreativen Revolte. Wo keine Fotos oder Film­auf­nahmen exis­tieren, greifen die Regis­seu­rinnen zu Anima­tionen – leicht, verspielt und charmant –, die die Erin­ne­rung nicht verfäl­schen, sondern vertiefen. Das visuelle Verfahren spiegelt die innere Bewegung des Films: Erin­ne­rung als Rekon­struk­tion, als poetische Behaup­tung, als kollek­tive Fantasie.

Zwischen Inter­views, Archiv­ma­te­rial und animierten Szenen entsteht so ein vibrie­rendes Zeit­do­ku­ment, das in seiner Mischung aus Witz und Pathos den Atem der Gegenwart spüren lässt. „Wir liebten unsere chau­vi­nis­ti­schen Schweine“, sagt eine der Akti­vis­tinnen und lacht. „Wir wollten sie nur ein wenig verändern!“ Diese Ambi­va­lenz – zwischen Liebe und Rebellion, zwischen Zärt­lich­keit und Zorn – macht die eigent­liche Qualität des Films aus. Es ist kein kaltes Geschichts­ka­pitel, das hier aufge­schlagen wird, sondern ein mensch­lich warmes, zutiefst berüh­rendes Porträt einer Gene­ra­tion von Frauen, die es wagte, Nein zu sagen – und dadurch ein neues Ja zu sich selbst fand.

Besonders eindrucks­voll ist die Gegenü­ber­stel­lung der Gesichter von damals und heute: die geal­terten Akti­vis­tinnen, deren Augen noch immer denselben Trotz, denselben Glanz tragen. „Ever­y­thing was only fun in those days“, sagt eine von ihnen – und man glaubt ihr. Denn die Lust, die Freude, das Lachen – sie waren Teil dieser Revo­lu­tion. Und dann der Satz, der selbst wie Lava durch den Film fließt: „Es war wie fließende Lava.“ Diese Metapher trifft auch den Kern des Gesche­hens – und des Films: etwas Glühendes, Unauf­halt­sames, das aus der Tiefe der Gesell­schaft hervor­bricht und alles verändert, ohne zu zerstören.

Dass Ein Tag ohne Frauen trotz seiner poli­ti­schen Schärfe immer wieder Tränen auslöst, liegt an der Zärt­lich­keit, mit der Hogan und Gunn­ars­dóttir ihre Prot­ago­nis­tinnen betrachten. Ihre Kamera urteilt nicht, sie begleitet, sie hört zu, sie vertraut ihren Prot­ago­nist:innen. Diese Empathie, gepaart mit analy­ti­scher Klarheit, macht den Film zu einem Muster­bei­spiel femi­nis­ti­scher Geschichts­schrei­bung: emotional, klug, zugäng­lich.

Während man den Film sieht, wird aller­dings auch unwei­ger­lich klar, wie gegen­wärtig seine Botschaft ist. In einer Zeit, in der sich weltweit neopa­tri­ar­chale, neoli­be­rale und neoau­to­kra­ti­sche Struk­turen wieder verfes­tigen, wirkt dieser islän­di­sche Frau­en­streik wie ein fern­ge­steu­ertes Leucht­feuer. Er erinnert uns daran, dass Gleich­be­rech­ti­gung nie ein Zustand, sondern immer ein Prozess ist – ein Prozess, der nur in Bewegung bleibt, wenn Menschen sich zusam­mentun, aufstehen, verwei­gern. Ein Tag ohne Frauen ist somit nicht nur eine Hommage an die Mütter des islän­di­schen Femi­nismus, sondern eine Blaupause für fried­li­chen Wider­stand, für kollek­tive Selbst­er­mäch­ti­gung, für jene Form der Revo­lu­tion, die nicht zerstört, sondern heilt. Der Film ist nicht wütend, er ist klug, er ist nicht belehrend, sondern inspi­rie­rend. Er ruft nicht zu Hass auf, sondern zu einer alle Grenzen spren­genden Soli­da­rität.

Dass dieser Film, der bereits im Mai 2025 in die deutschen Kinos kam und nun pünktlich zum 50. Jahrestag des Frau­en­streiks am 24. Oktober 2025 erneut in zahl­rei­chen Kinos und bis 13. Januar 2026 in der arte-Mediathek zu sehen ist, wirkt wie eine glück­liche Fügung. Denn selten war ein Rückblick, gerade auch ange­sichts der welt­weiten Back­lashes von hart umkämpften Frau­en­rechten so dringlich.

Pamela Hogan und Hrafnhildur Gunn­ars­dóttir haben kein Denkmal gebaut, sondern einen leben­digen Erin­ne­rungs­raum geschaffen – einen, in dem Lachen und Tränen, Vergan­gen­heit und Gegenwart inein­an­der­fließen. Am Ende bleibt das Gefühl, Teil dieses Tages gewesen zu sein. Teil einer neuen Gesell­schaft, die aus der Lava des Protests geboren wurde – und viel­leicht deshalb ein wenig heller brennt als andere.