Deutschland 2014 · 75 min. Regie: Dee Dee Wallauer Drehbuch: Dee Dee Wallauer Kamera: Dee Dee Wallauer Schnitt: Michaela Eidloth |
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Auf dem Speedway unterwegs |
Motorradfahren gehört mittlerweile nicht mehr zu den Beschäftigungen, die mit viel Glamour besetzt sind. Die ganze Verbindung zu Freiheit, Rebellion und cooler Kenntnis von Motoren ist mit dem Altern – oder eher dem Sterben – der amerikanischen Rockerkultur verschwunden, die Liebe zu Maschinen der politischen Korrektness gewichen. Die Zeit, als Jugendliche hierzulande ihr erstes eigenes Fortbewegungsmittel unbedingt auf zwei Rädern sehen wollten, existiert nur noch als Erinnerung im Gedächtnis von Rentnern. Da haben die öffentlichen Verkehrsmittel doch einen bleibenden Sieg davongetragen, oder die zahllosen Umweltschutzinitiativen, die uns beigebracht haben, dass Motorräder nichts anderes sind als eine Quelle für Lärm, Kohlenmonoxyd und Kopfverletzungen.
So war das. Bis zu diesem Sommer ungefähr. Denn gerade jetzt, in dem Moment, in dem das mechanische Zeitalter eigentlich endgültig untergeht, beginnt eine Renaissance des Motorrads: In den USA gewinnt das Track-Racing zunehmend an Popularität, legendäre Motorradmarken werden wieder gebaut und auch gekauft, die neue Hipness des Bikertums schlägt sich bereits in ersten Filmen nieder. Und mit Speed, Mud & Glory hat der Independent-Regisseur D. D. Wallauer diesen Moment in Deutschland eingefangen, so dokumentarisch klug und so exakt am Puls der Zeit, wie er das in den letzten Jahren schon mit seinen Surf- und Skateboardfilmen getan hat.
In Speed, Mud & Glory wird sichtbar, was die Faszination von Motorradfahren ganz allgemein ausmachen kann, wird hier aber speziell am Speedway gezeigt. Weil Wallauer seine Begeisterung nicht auf Distanz hält, spürt man in seinen Bildern die Wildheit dessen, was bei einem Speedwayrennen passiert. Man sieht das Tempo, den Staub, die Gefahr, und man erlebt das äußerst altmodische Gefühl, dass man von einer Sache mitgerissen wird, die man weder kennt noch durchschaut. Bei einem Lebensgefühl, das zeitgemäß von Vorsicht und Bescheidwisserei geprägt wird, befördert das beim Zuschauer eine ungewohnte Adrenalinausschüttung, spätestens dann, wenn sich die Maschinen in den Kurven des Stadions auf die Seite legen, flach genug über den Boden, um die Schwerkraft zu irritieren.
Dabei ist zumindest die Durchschaubarkeit von Speedway nicht weiter schwierig. Vor dem ersten Start wird in Wallauers Film klargestellt, wie die Regeln sind: Eine ovale Rennbahn, vier Fahrer, wer als erster durchs Ziel rast, hat gewonnen. Die Motorräder, das trägt allerdings zur Spannung bei, haben keine Bremsen. Sie sind dem Geschick des Fahrers unterworfen, der vor jeder Kurve eine neue Entscheidung zwischen Risiko und Kontrolle, zwischen Ehrgeiz und Verantwortung treffen muss. Wobei das Schöne am Speedway ist, dass die Konsequenz sofort sichtbar wird. Instant Gratification also für das Publikum, das in Sekundenschnelle erfährt, ob die Entscheidung funktioniert, oder ob Fahrer und Motorrad im auffliegenden Erdreich der Bahn davontrudeln.
Über drei Jahre hat Wallauer die Speedway-Tracks Europas aufgesucht. Er hat die Rennen gefilmt, die Fahrer und Mechaniker von Deutschland nach England nach Polen begleitet, hat sie beobachtet und über ihren Werdegang befragt. Man erfährt, dass Speedway eine Wettkampfsportart ist, die in Europa seit den 1950er Jahren existiert, nur eben heute nicht mehr am oberen Ende der Charts steht. Früher aber hat sie, wie man von ein paar alten Haudegen hört, all die Massen ins Stadion gelockt, die jetzt nur noch zum Fußball gehen. Man erhält eine Einführung in die Geschichte des Sports, unverkrampft im Dialekt und versehen mit angenehm wenig Sentimentalität, während die Bilder mit Super-8 Aufnahmen, Zeitungsausschnitten und Bravo-Postern angefüllt sind – was von Vergangenheit erzählt, aber auch von Ruhm.
Was Wallauer vor drei Jahren nicht vorhersehen konnte, war der kometenhafte Aufstieg seiner Hauptfigur. In Olching, einer Ortschaft kurz vor München, ist eine große Speedway-Bahn, auf der noch immer mehrmals im Jahr Rennen gefahren werden. Man kann dorthin gehen, mit Freunden im Gras neben der Rennbahn ein Bier trinken, die Nähe von Motoren hören und riechen, und den vorbeibrausenden Viererformationen nachschauen. An einem sonnigen Frühlingstag gibt es kaum eine bessere Mischung aus Aufregung und Nonchalance als einen Speedway-Besuch, das muss auch D.D. Wallauer so empfunden haben. Er jedenfalls entschloss sich an einem solchen Nachmittag zu einem Speedwayfilm, und er sprach diesbezüglich mit einem der tagesaktuellen Gewinner, mit Martin Smolinski. Smolinski, junger Olchinger, stimmte zu, den Film zu tragen. Er war da bereits deutscher Meister, aber sein Siegeszug sezte sich während der Dreharbeiten fort. Zuletzt hat er, 2014, den Speedway-WM-Grand Prix gewonnen.
Wallauer erzählt die ganze American-Dream-Geschichte Smolinskis, die in diesem Fall ein Olchinger Dream ist: Smolinski war eins jener Kinder, die von Anfang an keinen Zweifel an ihrem Ziel lassen. Er fuhr in Olching Motorrad, sobald er mit den Armen an den Lenker kam, er zeigte in Kinder- und Jugendrennen Talent, er bekam erst einen niederbayrischen Sponsor und dann einen Kieler Betreuer: den ehemaligen Speedway-Star Egon Müller. Eltern, Freunde, Mitarbeiter und Smolinski selbst erzählen vom Heranwachsen in der Rennbahn, von der Liebe zum Risiko, schließlich vom Wechsel aus Bayern nach England, wo er von einer Profiliga unter Vertrag genommen wurde. Speedwayfahren, soviel lernt man dabei auch, ist nur in Deutschland an den Rand des öffentlichen Bewusstseins gerückt.
Wallauers Film ist also ein Biopic, mehr noch als eine Sportdokumentation, und das ist gut so, denn der Sportfilm ist als Genre oft genug langweilig. Speed, Mud & Glory hingegen ist visuell aufregend, und fast alle Beteiligten vermitteln eben das, was im Kino immer geschätzt und selten gefunden wird: Authentizität. Die Männer reden über das, was sie kennen, so, wie sie Lust haben. Also bleiben die Dialoge zwar sachlich, aber die Kommentare sind häufig geprägt von ordentlich Frozzelei. Es ist deutlich unterhaltsamer, diesen Männern zuzuhören als beispielsweise Fussballern, die ja auch gern über sich selber plaudern. Denn in Wallauers Speedway-Film steckt hinter den unterschiedlichen Ausführungen zum Sport nicht notwendigerweise das Geld, das damit erwirtschaftet werden muss, sondern das Vergnügen, das ganz umsonst damit einhergeht.
D. D. Wallauers Film Speed, Mud and Glory lief am 21. November 2014 in einer einmaligen Premierenveranstaltung in München. Wenn er es schafft, seinen Indie-Status soweit zu überwinden, dass er landauf, landab ein paar Kinos findet, wird man ihn dort hoffentlich ab Februar 2015 sehen können.