The Soul of a Man

D/USA 2003 · 103 min. · FSK: ab 0
Regie: Wim Wenders
Drehbuch:
Kamera: Lisa Rinzler
Darsteller: Skip James, J.B. Lenoir, Chris Thomas King u.a.

Von einem, der auszog, den Blues zu erklären

In den unend­li­chen Weiten des Weltalls: Die Raumsonde Voyager, unterwegs, um möglichen extra­ter­res­tri­schen Kulturen ein Bild der Erden­men­schen zu vermit­teln, hat unter vielen anderen auch eine Blues-Melodie von Willie Johnson im Gepäck. Blues erdig-melan­cho­li­scher Gesang von den Mühen des Lebens, noch immer voller Einfluss auf die aktuelle Musik­szene, ist das Thema von The Soul of a Man. Vorge­stellt werden drei Musiker: der schon genannte Blind Willie Johnson, von dem nur wenige Aufnahmen über­lie­fert sind, Skip James, der, von der Plat­ten­in­dus­trie enttäuscht, die Musik zugunsten seiner Arbeit als Prediger aufgab und erst in den 60er Jahren auf einem Festival wieder­ent­deckt wurde, und schließ­lich J.B. Lenoir, auf den die europäi­sche Musik­szene erst posthum durch John Mayalls musi­ka­li­schen Nekrolog J.B. Lenoir is dead aufmerksam wurde. Kontras­tiert werden die Songs der Blues­le­genden durch Einspie­lungen verschie­denster aktueller Musi­ker­unter anderem von Beck über Los Lobos und Cassandra Wilson zu Bonnie Raitt, Nick Cave und Eagle Eye Cherry – die die Klassiker neu inter­pre­tieren.

Wieder einmal hat Wim Wenders' Suche nach den Wurzeln der Musik zu einem Film geführt, dessen faszi­nie­render Sound­track das Potenzial hat, den CD-Markt ebenso zu domi­nieren wie seiner­zeit Buena Vista Social Club. Dieser Blues hat wirklich eine Seele. Doch farben­präch­tige Bilder von Live-Konzerten wie bei den kuba­ni­schen Veteranen oder seinem BAP-Film standen dem Regisseur nicht zur Verfügung: von Blind Willie Johnson und Skip James gibt es aus den 20er und 30er Jahren nur ihre Schall­platten (von Johnson ist nicht einmal ein Photo über­lie­fert). Deshalb bestimmen besonders in der ersten Hälfte pseu­do­do­ku­men­ta­ri­sche Aufnahmen der von Schau­spie­lern darge­stellten Blues-Legenden den Film, die nur mit äußerstem Wohl­wollen als Fantasie über die alten Zeiten gesehen werden könnenso echt die Klänge auch nach ihrer digitalen Reinigung und Bear­bei­tung auch scheinen mögen, so irre­füh­rend sind die auf alt getrimmten Spiel­szenen, die sich als Mischung aus Stummfilm und Tondo­ku­ment ausgeben und doch nicht mehr sind als eine Spielerei mit den digitalen Möglich­keiten künst­li­cher Film-Alterung. Wim Wenders hat keine Probleme damit, wenn die Zuschauer Fakt und Fiktion vermi­schen: »Da es von Skip James und Blind Willie Johnson kein histo­ri­sches Film­ma­te­rial gab, blieb mir nichts anderes übrig, als Szenen nach­zu­stellen. Für diesen Teil habe ich eine alte Hand­kurbel-Kamera aus den frühen Zwan­zi­gern benutzt, eine Debrie Parvo. Viele Leute, die The Soul of a Man sehen, denken, wir hätten diese Dokumente gefunden, was ich als Kompli­ment verstehe...«

Weniger als an einer Doku­men­ta­tion lag dem Regisseur offenbar an einem impres­sio­nis­ti­schen Essay über die drei Musi­kerauch der subjek­tive, in der Rolle des Blind Willie Johnson gespro­chenen Off-Kommentar von Laurence Fishburne betont dies (vor seiner Fest­le­gung auf den Morpheus der Matrix hat dieser Schau­spieler unter anderem als Othello brilliert). Im Vorder­grund steht die Musik, die biogra­phi­schen Details dagegen sind knapp (Lenoirs Bedeutung als poli­ti­scher Song­writer wird nur gestreift). Dagegen recht­fer­tigt Wenders' Stolz, bisher unge­se­hene Origi­nal­auf­nahmen von J.B. Lenoir bei einem schwe­disch-ameri­ka­ni­schen Ehepaar aufge­stöbert zu haben, offenbar die Kombi­na­tion dieser Bilder mit Studio­auf­nahmen von Lenoirs Musikder Origi­nalton der Wohn­zimmer-Session war für die filmische Verwer­tung unzu­rei­chend. Hinter dem aufge­setzten Anschein der Authe­ti­zität und der behaup­teten Schlicht­heit steht ein ausge­feilter tech­ni­scher Apparat.

The Soul of a Man ist der erste Film einer sieben­tei­ligen Blues-Serie, die Martin Scorsese initiiert und produ­ziert hat. Mit ihrer ganz persön­li­chen Perspek­tive versuchen sich renom­mierte Regis­seure an ihrer jewei­ligen Blues-Geschichteund diese Musik weist genügend Facetten auf, um Über­schnei­dungen auszu­schließen. Neben Wenders' Film werden in diesem Sommer auch noch Richard Pearce' The Road to Memphis, Martin Scorseses Feel Like Going Home sowie die das Blues-Projekt ergän­zende Konzert-Doku Lightning in a Bottle von Antoine Fuqua in die deutschen Kinos kommen. Noch keinen Start­termin haben die vier rest­li­chen Blues-Doku­men­ta­tionen Warming by the Devil’s Fire von Charles Burnett, Red, White and Blues von Mike Figgis, Godfather and Sons von Marc Levin sowie Clint Eastwoods Piano Blues.