Großbritannien 1996 · 142 min. · FSK: ab 12 Regie: Mike Leigh Drehbuch: Mike Leigh Kamera: Dick Pope Darsteller: Timothy Spall, Phyllis Logan, Brenda Blethyn, Claire Rushbrook |
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Cynthia hat Geheimnisse |
Nach dem Tod ihrer Adoptivmutter macht sich Hortense, eine junge Schwarze, auf die Suche nach ihrer wahren Mutter. Cynthia, eine verschlampte, frustrierte Weiße, ist sichtlich überrumpelt vom Auftauchen ihrer Tochter; doch obwohl die Annäherung zunächst beinahe scheitert, erweisen sich die weiteren Kontakte weniger für die Tochter, sondern vor allem für die hysterische Cynthia als sehr heilsam. Mutter und Tochter, völlig unterschiedlichen Lebensumständen entstammend, freunden sich allmählich miteinander an. Cynthia gibt nun Hortense als ihre Arbeitskollegin aus, um sie so ihrer restlichen Familie vorzustellen, ohne das Geheimnis preiszugeben, daß es sich dabei um ihre Tochter handelt. So kann Hortense, als scheinbar Außenstehende, Einblick nehmen in ihre Verwandtschaft, darunter auch ihre Halbschwester Roxanne, ähnlich Cynthia gescheitert und unzufrieden, sowie ihren Onkel Maurice.
Dieser stellt gewißermaßen den ruhenden Pol der Familie dar, routiniert und mit Liebe in seinem Beruf als Portraitphotograph arbeitend, ist er stets bereit, seine deprimierte Schwester oder seine unter ihrer Unfruchtbarkeit leidende Frau zu trösten. Die Belastung durch seine verkorksten Lebensverhältnisse und die damit verbundenen Heimlichkeiten und Streitereien entlädt sich schließlich in einem Zornausbruch. Danach liegen alle Probleme und Tatsachen offen auf dem Tisch, die familiären Beziehungen können sich nun wieder neu anordnen, alles kann sich noch zum Besseren wenden.
Der dritte Film dieses Sommers, nach Mighty Aphrodite und Flirting with Disaster, der sich mit Adoption und der Suche nach Familienmitgliedern beschäftigt. Von allen dreien ist Secrets & Lies wohl am weitesten von der bloßen Unterhaltung und der Jagd nach Originellem und Skurrilem entfernt, stattdessen widmet sich Mike Leigh dem Kern des Themas mit der präzisen Ergründung zwischenmenschlicher Verkrampfungen. Er geht dabei keineswegs humorlos, aber nie lärmend gefällig vor, weswegen vielen Zuschauern diese 142 Minuten etwas langatmig vorkommen werden. Das ist öfter mal der Preis für eine facettenreiche, differenzierende Geschichte, die um Verständnis für die Leiden ihrer Figuren bemüht ist.
Regie und Buch verlangen den Darstellern dabei Knochenarbeit ab; Brenda Blethyn erhielt in Cannes den Preis als beste Schaupielerin, Timothy Spall ist gleichwertig auszeichnungswert. Leigh läßt genug Raum für alle Charaktere und Stationen der Handlung, ergänzt das Thema zusätzlich mit einigen kleinen Episoden in Maurices Photoatelier. Die Portraitierten wollen im Angesicht der Kamera einen möglichst zufriedenen und ausgeglichenen Eindruck machen, was aber, für den Photographen bei der Arbeit schnell ersichtlich, häufig jeder Grundlage entbehrt. Die kurzen Schlaglichter, die Leigh auf die verschiedenen Familien und Ehepaare im Atelier wirft, zeigen eine Galerie von Figuren, die wie die Hauptprotagonisten in ihren eigenen Lügen gefangen sind.
Als am Ende die Atmosphäre zumindest vorläufig von den größeren Lügen und Geheimnissen bereinigt ist, sagt Cynthia, daß eben so das Leben sein müsse. Recht hat sie.