Frankreich/USA 2007 · 112 min. Regie: Julian Schnabel Drehbuch: Ronald Harwood Kamera: Janusz Kaminski Darsteller: Mathieu Amalric, Emmanuelle Seigner, Marie-Josée Croze, Anne Consigny, Patrick Chesnais u.a. |
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Mathieu Amalric und Emmanuelle Seigner |
Etwas zu weitwinkelig und bei allem Umfang merkwürdig eingeschränkt ist der Blick, mit dem die Kamera uns die Welt zeigt. In der Mitte scharf, zu den Rändern hin unscharf. Immer wieder kurz unterbrochen von einem Sekundenbruchteil schwarz. Die Menschen auf der Leinwand reden – die Antwort hören wir aus einer Art tonlosem Off in Form einer Erzählerstimme. Und wie uns Zuschauern im Saal dämmert es auch dieser erst allmählich, was hier eigentlich passiert: Denn was wir sehen und hören ist exakt die Selbstwahrnehmung der Hauptfigur. Dieser Jean-Dominique Bauby (Mathieu Amalric) wacht aus dem Koma aus und realisiert, dass er lebendig begraben ist, und das im eigenen Körper.
Am Anfang stand ein Gehirnschlag, der den 43-jährigen Pariser Glamourjournalisten mitten aus dem Leben riß. Zu Beginn des Films findet sich Bauby im Krankenbett wieder. Er ist vollständig bei Sinnen, sein Verstand intakt, aber ebenso vollständig gelähmt. Durch das Locked-in-Syndrom eingeschlossen im eigenen Leib. Der einzige Weg, etwas von der Welt zu erfahren, sind Hör- und Riechsinn, und ein (!) Auge, das ihm geblieben ist – der Weitwinkelblick vom Anfang. Und der einzige Weg, der Welt etwas mitzuteilen, ist das Blinzeln eben dieses Auges. Schmetterling und Taucherglocke ist ein klaustrophobischer Horrorfilm, der mitten aus dem Leben stammt.
Denn Jean-Dominique Bauby gab es wirklich, und die Vorlage zum neuen Film von Julien Schnabel (Basquiat, Before Night Falls) sind die Memoiren, die Bauby innerhalb eines Jahres auf dem Krankenbett diktiert hat. Anfang Dezember 1995 erlitt er den Schlag, im März 1997, nur zwei Wochen nach Erscheinen des Buches, starb er an einer Lungenentzündung.
»Ich möchte sterben«, das sind die ersten Worte, die Bauby diktiert, nachdem er verstanden hat, wie er mittels Blinzeln des Lides Buchstaben auswählt und so Worte und Sätze »schreiben« kann. Zunächst erlebt man das Leid und die Erfahrung des Krankseins, dann folgt bald der Entschluss: »Ich entschied, mich nicht mehr zu bemitleiden. Außer meinem Auge sind zwei weitere Dinge nicht gelähmt: Meine Phantasie und mein Gedächtnis«. In Rückblicken weitet der Film seinen Horizont
auch über Baubys Auge aus, ohne an Intensität einzubüßen. Das Ergebnis ist in Schnabels Händen ein wunderbarer, trotz des Themas auch wunderschöner Film.
Kein Film, der – wie so oft, wenn es um Krankheit und Leiden geht – im plumpen Sinne »für Lebensfreude und Optimismus plädiert«, nicht das Klischee von der »Feier des Lebens« und nicht die Klischee-Behauptung vom Glück der Krankheit, davon, dass einem Krankheiten das Auge öffnen könne »für die Dinge, die wirklich
zählen«. Fern von derlei Papperlapapp verleugnet der Film keine Sekunde die Katastrophe von Baubys Schicksal. Er ist hart, aber humorvoll und auf merkwürdige Weise tröstend, weil Bauby selbst neugierig und offen ist, herrlich sarkastisch und mitunter ungebrochen egoistisch. Gerade dadurch ist der Film jederzeit spannend. Ein Film über Wahrnehmung, der uns Zuschauern in seiner Reduktion eine Welt neu eröffnet.