USA 2013 · 131 min. · FSK: ab 0 Regie: John Lee Hancock Drehbuch: Kelly Marcel, Sue Smith Kamera: John Schwartzman Darsteller: Emma Thompson, Tom Hanks, Annie Rose Buckley, Colin Farrell, Ruth Wilson u.a. |
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Auf dem harmlosen Nostalgie-Karrussell von Mary Poppins |
Manchmal ist die Geschichte hinter einem Film ebenso so spannend wie das Endprodukt selbst. Vor allem dann, wenn sie von eigenen Dramen und Konflikten zu berichten weiß. Kreativen Differenzen etwa, die ein Projekt immer wieder an den Rand des Scheiterns bringen. Wie im Fall des Disney-Klassikers Mary Poppins, dessen Realisierung erst nach zähen und komplizierten Verhandlungen um die Rechte des weltbekannten Kinderbuches in Angriff genommen werden konnte. Jahrelang hatte sich die Romanautorin P. L. Travers (geboren als Helen Lynwood Goff) geweigert, ihren Stoff an Walt Disney zu verkaufen, ließ sich 1961 jedoch dazu erweichen, nach Los Angeles zu reisen, um über das Adaptionsangebot zu diskutieren.
Eben dieser zweiwöchige Hollywood-Aufenthalt der australisch-britischen Schriftstellerin steht im Zentrum der biografischen Tragikomödie Saving Mr. Banks. Der Zuschauer wird Zeuge, wie sich Walt Disney (Tom Hanks) und seine enthusiastischen Mitarbeiter immer wieder die Zähne an der engstirnigen Travers (Emma Thompson) ausbeißen, die ihre Entscheidungshoheit nicht abtreten will und kategorische Forderungen stellt: unter anderem keine Animationssequenzen und ein Verzicht auf die Farbe Rot. Heilig ist ihr vor allem die Figur des Mr. Banks, dessen Kinder im Roman von der titelgebenden Nanny betreut werden. Parallel zu den Auseinandersetzungen mit den Disney-Verantwortlichen enthüllen die plötzlich einsetzenden Kindheitserinnerungen der Autorin schrittweise die Gründe für ihr unnachgiebiges Auftreten.
Wie sich zeigt, sind Fiktion und Wirklichkeit aufs Engste miteinander verwoben. Travers' Biografie hat sich eingegraben in ihr bekanntestes Werk. Ist untrennbar mit ihm verbunden. Was eine Abtretung der Rechte an den alles verschlingenden Disney-Apparat umso schwerer macht. Nicht nur der Stolz der Schriftstellerin steht einer Einigung im Weg. Auch das Verlangen, die schmerzlichen Erinnerungen an den frühen Tod ihres Vaters zu unterdrücken, lässt Travers immer neue Geschütze auffahren. Unweigerlich wächst sich das kreative Ringen, der Kampf der Schöpferin um ihren Stoff, zu einer quasi therapeutischen Erfahrung aus, die strikt nach dramaturgischem Lehrbuch verläuft. Auf hoffnungsvolle Szenen folgen emotionale Rückschläge. Und doch ist eine zarte positive Entwicklung auszumachen. Eine Annäherung zwischen Travers und Disney, die – so schreiben es die Drehbuchregeln vor – gegen Ende noch einmal einen großen Dämpfer erhält. Für einen kurzen Augenblick scheint alles verloren, bis der umtriebige Firmenchef einen letzten, fast verzweifelten Überzeugungsversuch unternimmt.
Spätestens an diesem Punkt ist der Film ganz bei sich. Denn was folgt, ist eine Reflexion über das Erzählen von Geschichten. Und damit auch ein Kommentar auf die Traumfabrik selbst. Allzu tiefschürfend sind die Ausführungen Walt Disneys freilich nicht. Vielmehr bereiten sie den Boden für das doch sehr rührselige und zuckersüße Finale, das die wahren Begebenheiten äußerst frei interpretiert. Eine kathartische Erfahrung, wie sie P. L. Travers hier durchläuft, ist aus der Realität nicht überliefert. Ebenso überdeutlich wie die letzten Szenen fallen auch die recht konventionell gestrickten Rückblenden aus, die jedes noch so kleine Detail erzählerisch auflösen und der Geschichte auf diese Weise jegliche Geheimnishaftigkeit nehmen.
Dass die Tragikomödie dennoch immer wieder mitzureißen vermag, ist neben den geschickt platzierten Originalsongs aus dem Mary Poppins-Film in erster Linie der großartigen Emma Thompson zu verdanken, die nahezu perfekt zwischen britischer Herablassung, bissiger Schlagfertigkeit und tiefer Traurigkeit wandelt. Das facettenreiche Spiel der Hauptdarstellerin ist der Garant für die herrlich amüsanten Zwischentöne, die etwa in der ersten Drehbuchsitzung mit Autor Don DaGradi (Bradley Whitford) und dem Komponistenduo Robert (B. J. Novak) und Richard Sherman (Jason Schwartzman) voll zur Geltung kommen. Auch wenn Thompsons Figur viele unsympathische Züge trägt, lacht und leidet man letzten Endes stets mit ihr. Erst recht, wenn deutlich wird, dass die widerspenstige Haltung eigentlich nur ein schützender Panzer gegen die eigene Verletzlichkeit ist.
Den von Tom Hanks routiniert verkörperten Walt Disney präsentiert der Film als hartnäckigen, aber charmanten Geschäftsmann und netten Onkel von nebenan, der (entgegen manch anders lautender Überlieferung) frei von moralischen Schwächen zu sein scheint. Lediglich ein einziges Mal blitzt eines der nachweislich großen Laster des Unterhaltungstycoons auf: Travers überrascht ihn beim Rauchen in seinem Büro, woraufhin er den Glimmstängel in seiner Hand hektisch ausdrückt. Weitere Seitenhiebe dieser Art hätten Saving Mr. Banks sicher nicht geschadet, bleiben aber aus, da es sich schlussendlich um ein waschechtes, wenn auch von der Realität inspiriertes Disney-Märchen handelt, das den Ruf des Firmengründers nicht unnötig beflecken soll.