Japan 1998 · 111 min. Regie: Hiroyuki Nakano Drehbuch: Hiroshi Saito Kamera: Yujiro Yajima Darsteller: Mitsuru Fukikoshi, Tomoyasu Hotei, Morio Kazama, Tamaki Ogawa u.a. |
![]() |
Japaner sind cool.
Spätestens seit die Diesel Jeans-Werbung sie entdeckt hat, hat sich diese Erkenntnis auch hierzulande langsam durchgesetzt. Manga und Anime haben sich inzwischen einen festen Platz in der Populärkultur erobert, Acts wie Pizzicato Five und Towa Tei rotieren global auf Club-Plattentellern, die tollsten Videospiele kommen seit jeher aus dem Land der aufgehenden Sonne – und atemberaubendes Kino ebenso.
Einer der coolsten Japaner – nach Takeshi
Kitano; an den kommt keiner ran – ist Hiroyuki Nakano. Ein Multitalent zwischen Video, Multimedia und Film, bei uns vor allem bekannt durch seinen Clip zu Deelites »The Groove is in the Heart«. Eines seiner jüngsten Projekte ist »SF« – ein Label, unter dessen Initialen 140 »Episoden« geplant sind (deren Titel, so lehrt uns das Presseheft, unter anderem Stereo Future, Silent Femme, Sonic Fiona und
Super Funky lauten werden). Den Auftakt macht Samurai Fiction – zugleich das Debut von Hiroyuki Nakano als Spielfilmregisseur.
rapid eye movies, der kleine aber feine Verleih, der sich in den letzten Jahren um die Etablierung des asiatischen Films in Deutschland äußerst verdient gemacht hat, setzt bei der Vermarktung von Samurai Fiction ganz auf dieses Image des trendsetzenden Fernostens. Und es ist sehr zu wünschen, daß damit das japanische Kino einen weiteren Schritt aus der Nische der Cineasten schafft.
Das Interesante dabei aber ist, daß Hiroyuki Nakano mit seinem
Film den Blick eher rückwärts wendet: Nicht in den Cyberspace geht es bei ihm, und nicht in die Abgründe der heutigen japanischen Gesellschaft – nein, mit Samurai Fiction präsentiert er ein waschechtes Samuraidrama.
Na ja, waschecht ist vielleicht doch zuviel gesagt: Nakano beruft sich zwar ausdrücklich (und ohnehin unverkennbar) auf Akira Kurosawa als großes Vorbild für diesen Film. Aber man merkt Samurai Fiction schon unzweifelhaft an, daß es ein Film der späten 90er ist.
Unmittelbarer Beweis ist der Soundtrack von Tomoyasu Hotei: Eine wilde – und sehr gelungene – Mischung aus traditionellen Elementen, J-Pop, Rock, Funk, und aktuellen Dance-Stilen, die
durchaus jene Assoziationen zur Tarantino-Ästhethik erlaubt, die der Titel nahelegt (und der Film sonst kaum einlöst).
Dazu gesellt sich eine immer wieder durch überlegt gesetzte Farbeinsprengsel aufgebrochene Schwarz-Weiß-Fotografie, die häufig mit Verfremdungseffekten arbeitet.
Die Geschichte hingegen bewegt sich durchaus im Rahmen der Tradition: 1696, in der Edo-Ära, wird dem Nagashima-Clan das unersetzliche Schwert des Shogun gestohlen. Während der Klanälteste mit faulen Tricks die Ehre seiner Familie retten will, heftet sich sein Sohn Heishiro (Mitsuru Fukikoshi) zusammen mit zwei Jugendfreunden auf die Fersen des finsteren Diebes Kazamatsuri (Tomoyasu Hotei – jawoll, der Herr Filmkomponist!). Für den jungen Recken wird die Jagd zu einem Weg des Erwachsenwerdens, auf dem ihm der Ronin Hanbei (Morio Kazama) als Lehrmeister begleitet und Heishiro nicht nur entdeckt, was es wirklich heißt, ein Samurai zu sein, sondern auch die Liebe findet.
Innerhalb dieses Rahmens läuft vieles allerdings ganz anders als gewohnt (weshalb Samurai Fiction anfangs besonders Spaß macht, wenn man ein wenig mit den Vorbildern vertraut ist und man die Brüche mit der Tradition zu lesen versteht. – Aber keine Angst: Auch, wer noch nie einen Kurosawa gesehen hat, wird mit dem Film noch genug anzufangen wissen.): Heishiros Vater, der Klanälteste, ist so gar nicht der überlegene, in sich ruhende, kühle Meister, den man erwarten müßte – statt dessen bekommen wir einen eher vertrottelten und von seiner eigenen Wichtigkeit aufgeblähten Hanswurst, der ständig mit den Widrigkeiten der Welt hadert.
Und Heishiro und seine Freunde gehen weit über das Maß hinaus, daß ein Kurosawa zur Darstellung jugendlichen Ungestüms gebilligt hätte: Das Trio ist so hemmungslos albern und von solch einem unaufhaltsamen Bewegungsdrang getrieben, daß einem beim bloßen Zuschauen schon fast die Puste ausgeht.
Dazu gesellen sich ungeschickte Ninjas, die Betreiber eines turbulenten Glücksspiel- und Freudenhaus und dergleichen bizarre Nebengestalten mehr.
Zunächst drängt sich deshalb der Verdacht auf, worum es Nakano wohl ginge, wäre eine parodistische Hommage, ein augenzwinkerndes Eingestehen, daß die Vorbilder zwar großartig seien – aber auch überholt. Er scheint Traditionen eher lächerlich machen zu wollen, Samurai Fiction erweckt den Eindruck, als arbeite er mit an den allgegenwärtigen Abbrucharbeiten, die die japanische Gesellschaft seit einigen Jahren an ihren altehrwürdigen, rigiden
Normen, Werten und Verhaltensmaßregeln vornimmt.
Diese Ausgangsposition ist aber in Wirklichkeit nicht die Grundhaltung des Films. Sie dient eher dazu, uns heutige Zuschauer zu ködern, die wir ja meist so selbstsicher meinen, über der kitschig und altmodisch anmutenden Moral früherer Zeiten zu stehen.
Heishiros Lernprozeß wird nämlich auch fürs Publikum zum Weg der Erkenntnis: Denn Nakanos eigentliches Projekt ist es, etwas von den tradierten Werten wieder auferstehen
zu lassen. Heishiro muß tatsächlich zum Samurai alter Prägung werden, um Sieg und persönliches Glück zu erheischen. (Und das japanische Kino sollte sich wohl, so kann man Samurai Fiction lesen, auch wieder darum bemühen, das Erbe seiner »Klassiker« unmittelbarer am Leben zu erhalten.)
Es ist kein Zufall, daß der Film gerahmt ist durch die Stimme des Samurais Heishiro, der, als Geist über den Wolken, zurückblickt auf die Ereignisse vor 300 Jahren: Die Botschaft dieser längst vergangenen Geschichte will eine Botschaft für heute sein. »When a man abandons ego and obstinacy, he can accept the gods and learn how to truly love. It took me a long time to realize that essential truth. The most important thing is to give your all until the very last,« heißt sie.
Daß
aber selbst diese doch etwas esoterisch schwurbelnde, spirituelle Message zum Schluß nicht peinlich oder dumm wirkt, sondern tatsächlich etwas Anrührendes hat – das ist der beste Beweis für die Kraft Nakanos als Regisseur.
So ganz an die klassischen Vorbilder reicht Hiroyuki Nakano dennoch nicht heran: Kurosawa, Seijun Suzuki, Kato Tai und Kollegen bleiben unerreicht. Und auch mit dem, was das zeitgenössische japanische Kino als allerbeste Highlights zu bieten hat, kann er sich nicht voll messen: Es fehlt einerseits ein wenig die Klarheit und Strenge, die Tiefe der Konzentration, die schweigsame Größe, die japanische Filme oft so atemberaubend macht, andererseits der Wille oder Mut zum Radikalen und Bizarren, der das Underground-Kino Nippons meist zum Augen- und Hirn-Durchputzer werden läßt.
Aber das, was er macht, macht er gut genug, um einiges über dem zu stehen, was sonst so durch die Kinos geistert. Ganz offensichtlich ist Hiroyuki Nakano mit Spaß, Begeisterung und Herz zu Werke gegangen, und das überträgt sich auf’s Publikum. Also: Wer ohnehin auf asiatische Filme steht, sollte sich Samurai Fiction sowieso nicht entgehen lassen. Und allen anderen, die einfach nur ein schönes Kinoerlebnis haben wollen, sei er nicht nur ebenso ans Herz gelegt, sondern auch gesagt: Wer mit diesem Film erstmals die Entdeckung macht, daß fernöstliches Kino cool ist, darf sich noch auf viel mehr Großartiges freuen – Samurai Fiction könnte da der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein.