Frankreich 2023 · 107 min. · FSK: ab 12 Regie: Catherine Corsini Drehbuch: Catherine Corsini, Naïla Guiguet Kamera: Jeanne Lapoirie Darsteller: Aissatou Diallo Sagna, Esther Gohourou, Suzy Bemba, Cédric Appietto, Harold Orsoni u.a. |
||
Hätte gerne so einen Vater gehabt: Farah | ||
(Foto: Grandfilm) |
Sie ist die Insel mit dem großen Selbstbewusstsein: Korsika. Napoleon, der hier zur Welt kam, ist der Erfinder der »Grande Nation«. Die Korsen sind sehr auf ihre Traditionen bedacht, sind stolz auf ihre korsische Sprache und auf die Dörfer im Landesinneren. Seit ein paar Jahren kämpft die Insel jedoch um den Klassenerhalt als »französische Gebietskörperschaft mit Sonderstatus«. Soziale Brennpunkte im Migrationsviertel der Hauptstadt Ajaccio sorgen für Schlagzeilen wie sonst nur die Banlieues von Marseille oder Paris, Touristen gefährden zusätzlich die Abgeschottetheit. Die »Süddeutsche Zeitung« titelte Ende 2015, im Eindruck der sogenannten Flüchtlingskrise: »Auf Korsika braut sich was zusammen« – nämlich Nationalismus und zunehmende Fremdenfeindlichkeit, die sich auch gegen die Festlandfranzosen auf der »Île de Beauté« richtet.
Diese Gemengelage aus Tradition, Einwanderern und schnöseligen Parisern bildet den Hintergrund zu Rückkehr nach Korsika, im Original schlicht Le retour, der französischen Regisseurin Catherine Corsini. Sie erzählt von der schwarzafrikanischen Khédidja (Aïssatou Diallo Sagna), einer Mutter zweier Töchter, die fünfzehn Jahre zuvor Korsika verlassen hatte – und nun zum ersten Mal auf die Insel zurückkehrt. Sie ist zum Arbeiten hier, als Urlaubs-Nanny für die verzogenen Kleinkinder einer Familie aus dem linksliberalen Pariser Bürgertum. Ihre eigenen Töchter sind die achtzehnjährige Jessica (Suzy Bemba), gerade auf der Pariser Elite-Uni »Science Po« aufgenommen, und die fünfzehnjährige Farah (wunderbar wütend: Esther Gohourou), deren Distinktionsmerkmal brachialer Banlieue-Argot ist. Sie dürfen Ferien machen, während sich Khédidja, die Subalterne mit den schwarzafrikanischen Wurzeln, selbstlos für alle aufopfert.
Sehr schnell geht es um Herkunft, im mehrfachen Sinne. Die ohne den korsischen Vater aufgewachsenen Töchter lernen dessen engen Freund Marc-Andria kennen – verkörpert vom Korsen Cédric Apietto –, beim Abendessen wird im Fotoalbum geblättert. Es kommen Fragen auf, die auch den Rassismus und den daraus entwachsenden Klassismus tangieren: Mama, warum haben wir so schwarze Haut, wo unser Vater doch ein Weißer war? Mama, warum hat Jessica einen französischen Vornamen und ich einen arabischen – wusstest du nicht, dass ich es damit schwerer haben werde? Im vielbeschworenen Dorf lebt noch die Mutter des verstorbenen Vaters, und bald werden die Verwerfungen deutlich, weshalb Khédidja mit ihren damals sehr kleinen Töchtern die Insel verlassen hat.
Regisseurin Catherine Corsini hatte zuletzt mit La fracture (In den besten Händen), ein von Valeria Bruni Tedeschi mit Verve ausgetragenes Notaufnahme-Kammerspiel, die soziale Ungleichheit Frankreichs auf engstem Raum auf den Punkt gebracht. In Le retour verliert sich ihr brillanter dichotomer Stil leider in thesenhaften Klischees. Die Töchter schlagen sich mit Klassismus (Elite-Uni, Sprachdistinktion), Rassismus (Vornamen) und Coming-of-Age herum. Gefährlich an der Paarung der gegensätzlichen Töchter – die auch noch sehr explizit als ablehnende Haltung seitens Jessica formuliert wird – ist, dass die gebildete und mit guten Manieren ausgestattete Ältere als Kleinkind noch unter den weißen Korsen aufwuchs – während die delinquente, wegen des Vornamens stigmatisierte Jüngere unter dem Einfluss der alleinerziehenden Mutter gesellschaftlich nach unten gezogen wurde. Das signalisiert Schuldzuweisung (an die Mutter, an die Gesellschaft), während es andererseits wohl genügt, in den ersten Lebensjahren eine weiße Umgebung zu haben, um mit dem klassenerhaltenden weißen Habitus »geimpft« zu werden – was dann ein Leben lang anhält.
Die Mutter setzt sich mit ihrer Flucht aus der weißen Gemeinschaft ohnehin nur in einem kurzen Seufzer auseinander. Der beste Freund des Vaters empfiehlt sich statt dessen als Liebhaber und erlöst Khédidja aus ihrer langjährigen Sexlosigkeit. Und auch die anderen Frauen der Familie lassen nichts anbrennen. Jessica entdeckt die lesbische Liebe, und Farah küsst den dann doch sehr netten Drogendealer, den sie zuvor noch als Rassisten beschimpft hat. Die gewählten Partner: sind alles Weiße. Ist das der Sehnsuchtshorizont?
Der Sex lässt sich jedoch auch als reinigende Initiationserfahrung für die drei Frauen auf der Suche nach ihrer familiären Mitte lesen. Noch schöner, wenn sich diese abseits der Urlaubs-Hotspots auf wilden Sandstränden, Wanderwegen und in alten, versteckten Dörfern machen lässt. Das beiläufige Insel-Portrait wird dann noch ergänzt durch schillerndes Ibiza-Colouring, mit Pool-Party, Garten-Rave und Ecstasy-Pillen. Am Ende, wenn sich Mutter und Töchter wieder in den Armen liegen, ist das Klassen- und Herkunftszerwürfnis zum Glück gekittet.