Rückkehr nach Ithaka

The Return

I/GR/GB/F 2024 · 116 min. · FSK: ab 16
Regie: Uberto Pasolini
Drehbuchvorlage: Homer
Drehbuch: , ,
Kamera: Marius Panduru
Darsteller: Ralph Fiennes, Juliette Binoche, Charlie Plummer, Marwan Kenzari, Claudio Santamaria u.a.
Rückkehr nach Ithaka
Statt Spektakel Charaktere...
(Foto: Piffl Medien)

Das Elend von Troya

Uberto Pasolini erzählt die Heimkehr des Odysseus ohne Götter, Monster und mythischen Lärm – dafür mit einer ungewohnten psychologischen Klarheit. Sein Film legt die Wunde offen, die Troya hinterließ, und macht den antiken Stoff beklemmend gegenwärtig

Manchmal genügt ein einziger entschlos­sener Schnitt, um einen megamy­tho­lo­gi­schen Stoff von all seinem deko­ra­tiven Ballast zu befreien. Uberto Pasolini macht genau das in Rückkehr nach Ithaka: Er nimmt Homers Epos, dreht es einmal um die eigene Achse, schneidet die Götter heraus, die Monster, die Sirenen, die mytho­lo­gi­schen Ausweich­manöver – und übrig bleibt ein rohes Skelett aus Schmerz, Scham und Geschichte. Ein Stoff, der nicht länger antik wirkt, sondern wie eine dring­liche Gegen­warts­dia­gnose: das Elend von Troya, das in unsere kriegs­ver­sehrte Gegenwart hinein­spricht, ohne ein einziges aktuelles Bild bemühen zu müssen.

Ralph Fiennes trägt diese Entblößung des Mythos in seinem Körper. Fünf Monate hat hat Fiennes für diesen Film trainiert, um jene sehnige, zerschun­dene Gestalt zu werden, die Pasolini für seinen Odysseus wollte – ein Körper, der nicht wie aus dem Fitness­studio kommt, sondern wie von Wellen, Schlachten und Schuld gekerbt ist. Fiennes spielt diesen Mann nicht als Held, sondern als Über­le­benden. Als jemanden, der sich heim­schleppt, statt heim­zu­kehren. Voller Zurück­hal­tung, Scham, Lebens­mü­dig­keit und einer Wahrheit, die man nicht in Worte fassen kann. Selten hat eine Figur den Krieg so unauf­dring­lich und so uner­träg­lich in ihren Bewe­gungen getragen.

Juliette Binoche setzt als Penelope einen Kontra­punkt, der sich nicht auf reine Loyalität redu­zieren lässt. Ihre Penelope ist eine Frau, die in ihrem eigenen Heim belagert wird, eine, die höflich drang­sa­liert und politisch entmün­digt wird, aber dennoch nie zur passiven Ikone gerinnt. Binoche spielt sie als kluge Beob­ach­terin des männ­li­chen Macht­bal­letts, als jemand, der seine eigene Hand­lungs­fähig­keit unter widrigsten Bedin­gungen bewahrt. Und Charlie Plummer zeigt als Tele­ma­chos, wie Gewalt vererbt wird: nicht als Schicksal, sondern als schlei­chende Konta­mi­na­tion. Die Wut seines Jugend­li­chen ist glaubhaft, unge­schönt – und zugleich ein düsterer Kommentar auf Vater­schaft und Krieg.

Pasolinis entschie­denster Eingriff in den Origi­nal­stoff ist die Absage an das Spektakel. Der Film konzen­triert sich ausschließ­lich auf die zweite Hälfte des Epos – jene Heimkehr, die ohne Irrfahrten, Monster und Zauber­wesen auskommt. Alle über­na­tür­li­chen Winde sind gestri­chen, sodass Platz entsteht für ein komplexes psycho­lo­gi­sches Kammer­spiel, getragen von Marius Pandurus unauf­dring­lich, zurück­ge­nom­mener Kamera. Diese Zurück­hal­tung ist kein Mangel, sondern fast so etwas wie die Signatur des Films: Er flüstert, wo andere Inter­pre­ta­tionen dieses Stoffes laut werden würden.

Bemer­kens­wert ist Pasolinis neues Ende. Penelope will nicht länger die schwei­gende Verwal­terin der Abwe­sen­heit sein – sie will die Traumata ihres Mannes kennen, um gemeinsam vergessen zu können, statt jeweils allein nicht zu vergessen. Dieser Perspek­tiv­wechsel macht die Geschichte plötzlich modern: Die Heilung ist ein gemein­samer Akt, das Schweigen wird geteilt, die Erin­ne­rung beginnt zu arbeiten statt zu erstarren.

Auch moralisch wagt der Film eine Ehrlich­keit, die jenseits der üblichen Helden­my­then liegt. Niemand ist unschuldig, stellt Pasolini fest. Penelopes Bewer­ber­ri­tuale sind kein harmloses Gesell­schafts­spiel, sondern die Vorstufe zum Gemetzel. Tele­ma­chos’ Gewalt ist kein heroi­scher Impuls, sondern eine erschüt­ternde Antwort auf ein System, das ihn über Jahre defor­miert hat. Odysseus wiederum muss mit der Erkenntnis leben, dass der Tod seiner Gefährten und das Elend von Troya „sein eigenes Werk“ sind.

So unsexy diese Antike auf den ersten Blick wirkt – so sexy ist der Mut, sie von ihrer Über­höhung zu befreien. Was bleibt, ist ein klares, inten­sives Drama über Schuld, Heimkehr, Fami­li­en­bin­dung und den langen Nachhall der Gewalt. Ein Film, der statt Spektakel Charak­tere zeigt, statt Mythos Mensch­lich­keit, statt Triumph die Wunde.