USA 2006 · 102 min. · FSK: ab 12 Regie: Sylvester Stallone Drehbuch: Sylvester Stallone Kamera: J. Clark Mathis Darsteller: Sylvester Stallone, Burt Young, Antonio Tarver, Geraldine Hughes, Milo Ventimiglia u.a. |
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Kämpferherz: Aufbäumen gegen das Unvermeidliche |
Die Zeit war gut zu ihm, damals – Ende der Siebzieger. Eigentlich war Rocky eine ziemlich persönliche Geschichte. Der Traum eines Mannes von der letzten großen Chance – und hinter dem Provinz-Boxer, den nur der eine, zufällige, aussichtslose Fight gegen den Champion doch noch davor bewahren kann, endültig in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, war unschwer der verarmende Nebendarsteller Sylvester Stallone zu erkennen, der trotz ein paar ziemlich guter Kritiken langsam drohte, von der Hollywood-Maschinerie ausgesondert zu werden.
Aber der Film kam eben auch zu einem Zeitpunkt, als die USA sich schon länger ziemlich am Boden fühlten, und sie wieder davon zu fantasieren begann sich aufzurappeln.
Rocky war ein Film des Übergangs, des Umbruchs. Halb noch dem New Hollywood verpflichtet, dessen kleinen Budgets und dessen Anflügen von sozialem Realismus. Aber halb auch endlich wieder die Geschichte eines Siegers, und
eine erste Rückgewinnung der nationalen Symbole. (Wobei man gern vergisst, dass Rocky den Boxkampf am Ende nach Punkten verliert – sein Triumph ist es nur, die volle Rundenzahl durchgestanden zu haben.)
Das traf ziemlich genau den Nerv der amerikanischen Psyche, und es wurde, parallell mit Star Wars, ein erster Wegweiser in die Achtziger.
Dann kam First Blood mit dem ersten Auftritt von John Rambo, und auch der war Abschluss und Anfang zugleich: Einerseits ein Albtraum davon, wie die Gewalt des Vietnamkrieges plötzlich heimatliches Territorium heimsucht, andererseits eine Rehabilitierung zumindest der Veteranen dieses Kriegs.
Ob die Achtziger Sylvester Stallone Glück gebracht haben, ist eine zweischneidige Frage. Denn im selben Maße, wie seine Leinwandfiguren zu DEN Ikonen der
Reagan-Ära aufstiegen und Stallone zum Superstar wurde, verflachten auch sowohl seine Charaktere wie Stallones Schauspielerei. Bald war die Ambivalenz des Ur-Rocky, des Ur-Rambo verschwunden, waren sie zu Abziehbildern, Propagandapostern geworden. (Dass Rambo in Folge III in Afghanistan an der Seite der Taliban kämpfte, ist nur im Nachhinein von großer Ironie.)
Und nach und nach geriet in Vergessenheit, dass Stallone mal gute Aussichten hatte, einer der großen
Charakterdarsteller des amerikanischen Kinos zu werden.
Rocky Balboa ist eine Rückkehr zu den Wurzeln, und schon das Wegwischen der römischen Ziffer aus dem Titel ist ein Zeichen, dass er auch so etwas ist wie ein Versuch einer alternativen Geschichtsschreibung. Weniger innerhalb der Chronologie der Serie selbst, auch wenn man sich fragen mag, wie Rockys Rückkehr von der Millionärsvilla zu bescheidenem Mittelstand zustande kam.
Nein, mehr in Hinsicht auf Stallones Karriere. Denn es gibt Momente in Rocky Balboa, da kann man kaum anders als sich zu fragen, was gewesen wäre, wenn Stallone nicht ja gesagt hätte, damals, zu Rocky und Rambo II, III, etc., wenn er nicht zum Actionhelden mutiert wäre sondern im Charakterfach geblieben.
Der Titelheld in Rocky Balboa ist wieder ganz der
italoamerikanische, leicht belämmerte, nuschelnde, schüchterne, aber bauernschlaue und willenszähe Kackspecht aus dem ersten Rocky-Film. Und Stallone spielt das mitunter so perfekt, dass man ehrfürchtig werden könnte.
Es sind das meist die kleinen, beiläufigen Momente: Etwa wie Rocky der Kellnerin, in die er sich verguckt hat, seine Visitenkarte auf die Haustreppe legt, falls sie ihn doch mal anrufen möchte. Da sind für ein paar Sekunden die Mimik und Gestik so dermaßen auf den Punkt getroffen, da ist die ganze Figur in einem schiefen Lächeln, einem Schulterzucken so dermaßen komplett präsent, mit ihrer Mischung aus Scheu und Frechheit, mit ihrem Wissen um die eigene Beschränktheit und ihrem Stolz auf ihre kleinen Anflüge von Cleverness.
Oder wenn Rocky in seinem Restaurant steht und den Gästen zum Essen die Anekdoten auftischt von seinen legendären Fights: Da ist er zum fossilen Ausstellungsstück degradiert, zu einer menschlichen Bandmaschine mit Authentizitäts-Aura, und man sieht ihm an, dass er das genau weiß – aber da ist auch dieser kleine Rest von echter Erinnerung an seine Triumphe, die sich nicht vollends unterkriegen, verscherbeln, besudeln lässt.
Dies, und nicht die großen Ausbrüche, die
Ich-will-einen-Oscar-haben-Monologe sind die Szenen, die einen schlagartig wieder daran erinnern, dass unter Stallones Action-Persona ein Schauspieler verschüttet wurde, der durchaus zu Subtilität, Eleganz, Intelligenz fähig war und ist.
Es tut Rocky Balboa gut, dass er wieder ähnlich autobiografisch funktioniert wie einst Rocky: Dass Stallone – zwar finanziell wohl unbeschwert – selbst ein alternder Ex-Star ist, dem keiner mehr viel zutraute und der wirklich noch einmal etwas zu beweisen hat.
Rocky Balboa kommt aus einer Position der Schwäche, die nicht bloß
behauptet ist, und man spürt, dass es viel Kämpferherz gebraucht hat, ihn Realität werden zu lassen. Die besten Boxerfilme sind immer Verliererfilme.
Rocky Balboa leidet dabei an einer seltsamen Zweiteilung: In mehrfacher Hinsicht wird er plötzlich ein anderer Film, sobald er den Ring betritt. In seiner ersten Hälfte ist er quasi die schauspielerische Ehrenrettung Stallones, ist ein kleines, sympathisches Unterschichts-Charakterdrama, mit viel Philadelphia-Lokalkolorit und Muße für den Moment.
Der große Boxkampf aber, in den erwartungsgemäß alles mündet, ist nicht nur offensichtlich auf
HD-Video gedreht – ein krasser Bruch in der Ästhetik des Films. Er wirkt auch sonst fast wie aus einer anderen Welt, unwirklich und hektisch. Vielleicht, weil der Film nicht so recht dran glaubt, dem Boxfilm-Genre hier noch viel Neues abgewinnen zu können, weil er das Reservoir der Boxkampf-Bilder für ausgeschöpft hält, das er freilich dennoch pflichtschuldig so ziemlich in Gesamtheit Revue passieren lässt. Vielleicht aber auch, weil er seine eigene Triumph-Fantasie nur bedingt
glauben kann.
Die Rocky-Filme waren stets auch Filme über den Körper. Selbst Rocky V war mindestens eben so sehr wie ein Kampf der USA gegen die UdSSR eine Auseinandersetzung zwischen dem »natürlichen« Körper Rockys und dem »Maschinenkörper« Ivan Dragos. Stallones Stern war deutlich früher im Sinken begriffen als der seines großen Antipoden Schwarzenegger, weil Rockys an
Schweinehälften trainierten Muskeln nicht mehr zeitgemäß waren, als im Actionkino die Cyborgs, Klons und Androiden die Herrschaft übernahmen.
Nominell ist Rockys Gegner in Rocky Balboa ein junger, afroamerikanischer Champion namens Mason Dixon (Rocky-Filme haben noch selten eine Gelegenheit ausgelassen, bei den großen US-Gründermythen einzuklinken..). Einer,
der in seiner Generation niemanden hat, der ihm auf gleichem Niveau Paroli bieten, geschweige denn gefährlich werden könnte. Weshalb er Sportjournalisten zu Vergleichen mit den größten Fightern aller Zeiten inspiriert, was zu einem Gedankenspiel führt »Was wäre, wenn Dixon zu Rocky Balboa auf dem Zenit seines Könnens angetreten wäre«. Eine Frage, die zunächst durch eine Computersimulation geklärt werden soll. Aber wie gesagt: Das Virtuelle war noch nie die eigentliche Domäne
von Stallones Leinwandfiguren. Sie müssen ihre Kämpfe im Realen austragen.
Der eigentliche Feind der Titelfigur in Rocky Balboa ist deshalb auch die Zeit, ist die Vergänglichkeit des eigenen Körpers. Es gehört zur Faszination von Rocky Balboa, dass er nicht nur als Fiktion funktioniert, sondern dass er auch eine dokumentarische Ebene hat: Stallones Körper ist ja tatsächlich der Körper eines alternden, wenn nicht gar alten Mannes. Seine Vergänglichkeit ist ja nicht nur eine Drehbuchfantasie.
Jeder
Klimmzug, Liegestütz, jedes gestemmte Gewicht wird da zum tatsächlichen Aufbäumen eines Menschen gegen das Unvermeidliche. Wie damals in Rocky stellt sich gar nicht wirklich die Frage, ob Rocky den Fight gewinnen kann – es geht wieder hauptsächlich nur darum, ob er ihn lebend übersteht.
Und ähnlich wie in Rocky geht es darum, sich zu beweisen, bevor der Zug endgültig abgefahren ist. Dass damals aus dem Film eine Serie wurde, all die anderen Teile und mit ihnen eine große Karriere für Rocky folgten, hat diesen Aspekt etwas verraten und überschattet: Dass es damals um einen Mann ging, der eigentlich schon zu alt und zu lang erfolglos war, um noch echte Aussichten auf Erfolg zu haben. Dass er nur noch einmal ein Zeichen setzen wollte, bevor er
seinen Traum an den Nagel hängte.
Bei Rocky Balboa ist nicht damit zu rechnen, dass er seinem Helden nochmal einen dauerhaften zweiten Frühling bescheren wird. Die Zeit wird dafür sorgen. Für die Länge dieses Films nimmt man ihm die Fantasie grade so ab, dass ein rund 60-Jähriger durch schiere Willenskraft seinen Körper, seine Vergänglichkeit bezwingen kann. Aber man spürt dabei immer, wie prekär und fragil die Angelegenheit ist, zu welch großem Teil sie bereits eher ein Triumph von Film und
Schnitt über die Natur ist.
Man spürt, dass es keinen zweiten Moment geben wird, an dem das noch plausibel möglich sein wird. Der Kampf Rockys, Stallones in diesem Film ist der Kampf des Menschen gegen den Tod. Ein Kampf, dem höchstens ein paar zusätzliche Runden abzutrotzen sind, aber nie ein Sieg.
Verliererfilme, wie gesagt, sind die besten Boxerfilme.