Australien 2021 · 75 min. · FSK: ab 0 Regie: Jennifer Peedom Drehbuch: Robert Macfarlane, Joseph Nizeti, Jennifer Peedom Musik: Richard Tognetti, William Barton, Piers Burbrook de Vere Kamera: Yann Arthus-Bertrand, Sherpas Cinema, Ben Knight, Peter McBride, Renan Ozturk Schnitt: Simon Njoo |
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Eine zu oberflächliche Auseinandersetzung mit einzelnen Punkten... | ||
(Foto: Film Kino Text/Filmagentinnen) |
Nach diesem Film weiß man alles über Flüsse. Zumindest glaubt man das erst einmal, schließlich wird man von Bildern, Assoziationen und Daten förmlich überschwemmt. Die imposanten Aufnahmen der Flüsse dieser Welt bilden auf der Leinwand einen reißenden Strom erhabener Natureindrücke. Dazu kommt noch der Einsatz des Australian Chamber Orchestra, das Klänge von Bach bis Jonny Greenwood über das Geschehen legt und die warm-kratzige Stimme Willem Defoes. In River geht man unter und bekommt 75 Minuten lang keine Gelegenheit, wieder aufzutauchen. Aber nun genug der Wortspiele.
Jennifer Peedom und Joseph Nizeti legen hier den zweiten Teil ihrer geplanten Trilogie von Orchesterkonzertfilmen vor, für die Mountain 2017 den Einstieg bildete. Wie der Titel River bereits verrät, sind die Wasseradern der Erde das zentrale Thema. Dabei geht es allerdings weniger um eine wissenschaftliche Dokumentation der Natur, sondern um das sinnliche Erleben derselben. Um die Bilder dafür einzufangen, reiste das Team um den kompletten Globus: Australien, Indien, Island, Südkorea und Bolivien waren da nur ein paar der zahlreichen Adressen. Man merkt dem Film die Arbeit, die hinter ihm steckt, durchaus an. Und auch das Vorhaben, ein vor allem emotional und ästhetisch ansprechendes Werk zu schaffen, geht auf den ersten Blick auf. Was hier vom Kamera-Team eingefangen wurde, lässt einen sprachlos zurück, egal, ob es sich um kleine oder große Wunder der Natur handelt. In Schneekristallen verliert man sich genauso wie in den Luftaufnahmen, die die Landschaften wie abstrakte Gemälde aussehen lassen. Was es hier zu sehen gibt, ist weit entfernt von der Idylle eines Apothekenkalenders. Die Musik unterstreicht diese Eindrücke wunderbar, die Gänsehaut überzieht einen in regelmäßigen Abständen.
Dieses Konzept geht ungefähr eine Viertelstunde lang auf. Danach ist River, auch wenn es sich merkwürdig anhört, gleichzeitig zu viel und zu wenig. Wie es eben immer so ist, kommt früher oder später der Mensch hinzu. Defoe erzählt aus dem Off von dessen Beziehung zum Fluss, der erst Gott war und dann reines Mittel zum Zweck wurde. Reisen, Handel, Krieg – für alles mussten sie herhalten. Dabei zeigt der Film gleichermaßen Aufnahmen aus dem Archiv und aktuelle Bilder der vielfältigen Nutzung der Gewässer. Mitunter ist auch das eindrucksvoll in Szene gesetzt, doch schnell bemerkt man, dass hier eine Stichwortliste abgearbeitet wird. Religion, Philosophie, Poesie, Ökonomie, Politik und natürlich darf die Ökologie nicht fehlen. River macht mit zunehmender Spielzeit den Eindruck eines Brainstormings, das nicht mehr weiter ausgearbeitet wurde. Zu oberflächlich ist die Auseinandersetzung mit den einzelnen Punkten, als dass man sich in einen von ihnen wirklich vertiefen könnte.
Im Prinzip ist diese Assoziationsvielfalt nichts Schlechtes. Wo man gerade bei Flüssen ist, kann man als lobendes Beispiel den Essay-Film The Ister von David Barison und Daniel Ross nennen, der die Verbindungen zwischen der Donau, Heidegger und Hölderlin filmisch verarbeitet und dabei auch unzählige Nebenschauplätze besucht. Der Unterschied: Für diesen Fall ließen sich die Macher drei Stunden Zeit, bei River wird alles in einer Stunde und 15 Minuten abgehandelt. Es liegt eigentlich schon auf der Hand, dass hier nur Platz für streng portionierte Kost bleibt. In diesem Sinne kann man sagen, dass dieser Film zu wenig ist, zu viel ist er in der Hinsicht, die einen erst so in den Bann geschlagen hat. Es folgt Erhabenheit auf Erhabenheit, eine Verschnaufpause zur Beruhigung der Sinne oder zur Reflektion bekommt das Publikum nicht. Viel mehr kann man an sich selbst beobachten, wie man das eigene Gehirn immer mehr auf Durchzug stellt. Was hängen bleibt, ist eine bekannt wirkende Öko-Message, und – es ist zu bezweifeln, dass es die Absicht der Macher war – dass der Natur geholfen werden kann, indem man Dämme sprengt.
Nach River weiß man irgendwie alles und gar nichts über Flüsse. Es ist, als hätte man sich statt des kompletten Buches das Inhaltsverzeichnis durchgelesen und sich am schönen Cover erfreut. Bei all der Herrlichkeit, die dieser Film für Augen und Ohren zu bieten hat, bleibt er leider ein allzu schnell dahinfließendes Bächlein, dessen Qualitäten mehr und mehr versiegen.