Rikscha Girl

Rickshaw Girl

Bangladesch/USA 2021 · 102 min. · FSK: ab 12
Regie: Amitabh Reza Chowdhury
Drehbuch: ,
Kamera: Tuhin Tamijul, Niclas Ribbarp
Darsteller: Novera Rahman, Siam Ahmed, Momena Chowdhury, Champa, Naresh Bhuiyan u.a.
Eindrückliche Schilderung des ambivalenten Alltags in Dhaka...
(Foto: barnsteiner-film)

Farbenfrohe weibliche Selbstermächtigung

Ein künstlerisch begabtes Mädchen verdingt sich in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka als Junge verkleidet als Rikscha-Fahrerin, um ihre arme Familie zu unterstützen

Rikschas sind in Bangla­desch selbst­ver­s­tänd­liche Fort­be­we­gungs­bilder. In den Städten trans­por­tieren zahl­reiche dieser Fahrräder mit Sitz­ge­le­gen­heit, oft farben­prächtig bemalt, Passa­giere von A nach B. Für viele Stadt­be­wohner ist das Rikscha-Fahren oft die einzige Möglich­keit, Geld zu verdienen. So auch für den Vater der Prot­ago­nistin in dem schwung­vollen Coming-of-Age-Film Rikscha Girl von Regisseur Amitabh Reza Chowdhury, der damit seine Familie ernährt. Kein Wunder, dass auch seine ältere Tochter Naima in seine Fußstapfen treten will. Aller­dings stößt die Teen­agerin damit auf entschie­denen Wider­stand, denn das Rikscha-Fahren ist in Bangla­desch eine tradi­tio­nelle Männer­domäne.

Naima (Novera Rahman) lebt mit ihrer jüngeren Schwester Rachida und ihren Eltern in einer Klein­stadt. Das Mädchen zeichnet und malt für ihr Leben gern und bedeckt alle möglichen Ober­flächen in ihrer Umgebung mit fanta­sie­vollen Motiven, darunter auch die Rikscha des Vaters (Naresh Bhuiyan). Nachdem sie die Schule nach der 5. Klasse abge­bro­chen hat, verdient sie ein wenig Geld mit Alpana-Motiven, die sie für Hoch­zeits­ge­sell­schaften malt. Doch dann wird ihr Vater, ein Fahrrad-Rikscha-Fahrer, schwer krank. Weil er nicht mehr arbeiten kann, nimmt ihm der habgie­rige Rikscha-Besitzer das gemietete Fahrzeug weg. Als die Mutter (Mohmena Rahman, die Mutter der Haupt­dar­stel­lerin) ihre Stelle als Haus­halts­hilfe aufgibt, um den Vater zu pflegen, gerät die ohnehin arme Familie in finan­zi­elle Bedrängnis: Sie kann die Medi­ka­mente, die der Vater braucht, nicht mehr bezahlen.

So entschließt sich Naima, alleine mit dem Bus in die Großstadt Dhaka zu fahren, um Arbeit zu suchen. Barek, ein Bekannter aus der Heimat­stadt, verhilft ihr zu einem Job als Dienst­mäd­chen. Als die reiche Familie sie jedoch in ihrer Luxus­woh­nung einsperrt, flieht Naima schnell wieder. Weil sie als Mädchen keine Chance bekommt, verkleidet sie sich als Naim, kann endlich eine Rikscha über­nehmen und ist sogar recht erfolg­reich. Doch ein neidi­scher Kollege entdeckt ihr Geheimnis und plaudert es im Betrieb aus. Naima wird entlassen, findet aber bei der hilfs­be­reiten Mariam (Gulshan Champa), der Betrei­berin einer Rikscha-Garage, Aufnahme.

Die Vorlage zu dem Sozi­al­drama lieferte der gleich­na­mige Jugen­d­roman der indisch-ameri­ka­ni­schen Autorin Mitali Perkins aus dem Jahr 2007, den die New York Public Library zu den 100 besten Kinder­büchern der vergan­genen 100 Jahre zählt. Das Drehbuch nahm aller­dings einige Verän­de­rungen an dem Stoff vor. Während die Prot­ago­nistin im Roman erst zehn Jahre alt ist, ist Naima im Film eine deutlich ältere Teen­agerin. Und während das Mädchen im Buch erst einmal die väter­liche Rikscha zu Bruch fährt und versucht, den Schaden vor Ort wieder­gut­zu­ma­chen, bricht sie im Film rasch in die Metropole Dhaka auf, die sehr ambi­va­lent geschil­dert wird: Einer­seits irritiert sie mit dem Lärm, dem Gedränge und der Anony­mität einer kapi­ta­lis­ti­schen Großstadt, ande­rer­seits faszi­niert die 10-Millionen-Einwohner-Stadt mit glit­zernden nächt­li­chen Straßen und dem Glamour eines Film­stu­dios, in dem Naima sogar einem Bollywood-Star (in einem Cameo: Siam Ahmed) begegnet.

Der Regisseur Amitabh Reza Chowdhury, der 1976 in Brah­m­an­baria in Bangla­desch geboren wurde und im indischen Pune Wirt­schafts­wis­sen­schaft studierte, fängt in der auf Englisch gedrehten Kopro­duk­tion aus Bangla­desch und den USA die Wider­sprüche der Metropole mit ebenso lebhaften wie stim­mungs­vollen Bild­folgen ein. So lernt Naima schicke Appar­te­ments der Ober­schicht ebenso kennen wie das Elend von Straßen­kin­dern, die auf Bürger­steigen schlafen und für ein bisschen Geld und eine Essens­por­tion bei fingierten Demons­tra­tionen mitmachen.

Die Kamera folgt Naima mal bei einer Flucht durch die hekti­schen Straßen­züge, mal schwenkt sie von einem Wolken­krat­zer­neubau aus über das schier endlose Häuser­meer im roman­ti­schen Sonnen­un­ter­gangs­licht. Die Kame­ra­leute Tuhin Tamijul und Niclas Ribbarp zeigen aber oft auch das Gesicht der Haupt­dar­stel­lerin Novera Rahman in Groß­auf­nahmen, die Naimas Gefühle und Stim­mungs­lagen anschau­lich machen. Die Musik von Debajyoti Mishra versucht das emotio­nale Auf und Ab zu unter­strei­chen, über­spannt dabei aber oft den Bogen bis hin zum rühr­se­ligen Kitsch.

Novera, die in fast allen Szenen zu sehen ist, trägt mit ihrem natür­li­chen, aber ausdrucks­starken Spiel denn auch den Film. Ihre kindliche Naivität, ihre Verletz­lich­keit als Naima, die in Dhaka praktisch auf sich allein gestellt ist, wirken ebenso glaubhaft wir ihr Mut und ihr impul­sives Verhalten, wenn sie benach­tei­ligt oder ungerecht behandelt wird. Das Gleiche gilt für ihren künst­le­ri­schen Impetus: In den unge­wöhn­lichsten Situa­tionen, etwa mitten in der Nacht in einer fremden Wohnung, findet Naima irgendwo Farben, Pinsel oder Stifte und beginnt zu malen. Der schöp­fe­ri­sche Akt bedeutet für sie Freiheit, auch Befreiung von der mate­ri­ellen Not und der Restrik­tionen einer patri­ar­cha­li­schen Gesell­schaft. Zumal Naima schließ­lich für ihre Krea­ti­vität auch Aner­ken­nung findet. Das wiederum legt die Grundlage für ein märchen­haft ausge­maltes Happy Ending in Form einer femininen Selbst­er­mäch­ti­gung, wobei Naimas Malereien aus der Live-Action-Ebene auf elegante Weise in eine farben­präch­tige Animation einer compu­ter­ge­nerierten Fanta­sie­welt übergehen.

Der Film gewann mehrere inter­na­tio­nale Preise, darunter den Haupt­preis der Säch­si­schen Landes­me­di­en­an­stalt beim Inter­na­tio­nalen Film­fes­tival für Kinder und junges Publikum »Schlingel« 2021 in Chemnitz und den Publi­kums­preis beim Mill Valley Film Festival 2021 in Kali­for­nien.