GB/F/CDN 2000 · 121 min. · FSK: ab 12 Regie: Michael Winterbottom Drehbuch: Frank Cottrell Boyce Kamera: Alwin H. Kuchler Darsteller: Peter Mullan, Milla Jovovich, Wes Bentley, Nastassja Kinski u.a. |
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Milla Jovovich und Wes Bentley |
Ein verschneites Tal zwischen hohen Bergen. Eine Ansammlung von Häusern darin. Eine Reisekutsche und mehrere Wagen erreichen gleichzeitig diese Stadt. In den Wagen ein Trupp mit Landvermessern, in der Kutsche zwei Frauen aus der fernen Zivilisation in Boston. Diese Ankunft und das Getriebe darum wird mit einer sonderbaren Eindringlichkeit geschildert. Eine enorme Bewegung herrscht dabei im Stillstand dieses Augenblicks, der aufgesprengt erscheint in seine sämtlichen Perspektiven, in tausend kleine Details, die in raschem Wechsel und extrem vergrößert vor unsere Augen gebracht werden. Ganz nahe holt die Kamera die Menschen und ihre Dinge heran. Mit großen Brennweiten lässt sie alles andere darum herum zu Schemen verschwimmen. So wie einem Auge, wenn es etwas fixiert, der Rest der Szene zur unbedeutenden Hintergrundfolie wird.
Es scheint als müsse man diese Menschen ganz genau unter die Lupe nehmen, um ihr Tun und Lassen verstehen zu können, zusammengedrängt in diesem Mikrokosmos der kleinen Goldgräberstadt Kingdom Come, in der unbarmherzigen Kälte des Winters in der kalifornischen Sierra Nevada, mitten in der endlosen, unwirtlichen Weite des Gebirges. Denn aus der Entfernung, vor den Panoramen dieser Landschaft schrumpfen die Menschen und ihre Häuser zu schwarzen Flecken im stumpfen Weiß des Schnees, die schon aus einiger Entfernung von den Felsen nicht mehr zu unterscheiden sind. Das fahle Licht lässt alle Kontraste zurücktreten und eine Sonne scheint niemals.
Sorgfältig wird dieser Gegensatz in Szene gesetzt: der Mensch und die Landschaft, die er sich mühsam erobert; die Wärme, die er notdürftig in seinen Hütten und Zelten erzeugt, und die dann hinausdampft in die Kälte, die sie in jedem Moment zu ersticken droht. Gelb ist das Licht der Lampen, und es ist die Farbe der Wärme, das dieses Licht in den Räumen verbreitet. Immer wieder nimmt die Kamera die Lampen und Kerzen ins Bild, gelb gegen das matte Blau und Weiß. Die beleuchteten Zelte der Digger sind Nachts über die blau-weißen Hügel verteilt wie Laternen.
Doch gelb ist auch die Farbe des Goldes. Und daran und mit ihm sind fein säuberlich sämtliche Beziehungen der Menschen dieser Stadt geknüpft. Es ist ihnen in die Adern gekrochen, wie die Kälte der Berge. Dies ist ein Außenposten der Menschheit, ein in seiner Ferne zu jeder weltlichen Umgebung in der Eiswüste der Sierra erstarrter Ort, der allein von der Fiktion des Goldes regiert wird. Und Mr. Dillon (Peter Mullan) ist der erste Stellvertreter dieser Macht. Vor vielen Jahren ist er hierher gekommen und hat für einen Claim seine Frau und seine Tochter verkauft. Inzwischen schürft hier keiner mehr ohne seine Erlaubnis. Er vergibt die Claims, die Arbeit, er verurteilt und straft, ihm gehört die Bank. Seine Geliebte, die schöne Portugiesin Lucia (Milla Jovovic), führt das Bordell als einziges soziales Zentrum dieser Stadt.
Als in der Kutsche Dillons Frau Elena (Nastassja Kinski) mit ihrer Tochter Hope (Sarah Polley) ankommt, glaubt Dillon seine Chance zu sehen, die Schuld zu tilgen, auf der er seinen Erfolg gegründet hat und seinem Lebenswerk mit Hilfe der wiedergewonnenen Tochter doch noch Dauer zu verleihen. Zugleich verspricht die Bahntrasse durch Kingdom Come, die der junge Landvermesser Dalglish (Wes Bentley) mit seiner Truppe plant, die dringend benötigte Lebensader in dieses langsam erfrierende Herz aus Gold: eine Zukunft für diese Stadt und eine Rückkehr in die Zivilisation. Noch einmal soll das Geld alle Probleme aus der Welt schaffen, noch einmal glaubt Dillon diese Welt nach seinem Willen gestalten zu können. Eine prächtige Hochzeit mit Elena soll den Zustand der Beziehung im Ursprung wieder herstellen und sie vor der Stadtgemeinschaft legitimieren. Lucia findet er rücksichtslos mit Gold ab und überschreibt ihr das Bordell.
Doch weder für Hope, noch für Dalglish haben die Gesetze des Claims irgendeine Bedeutung, nach denen hier alles entstanden ist und funktioniert. Der Beginn ihrer Liebe ist der Beginn einer Entwicklung, die diesen Mikrokosmos mitsamt seinem System aus Abhängigkeit, Gier und Gewalt aus den Angeln heben wird. Am Ende bleibt Dillon nur, in einem letzten selbstherrlichen Akt, selbst die Fackel an sein Lebenswerk zu legen.
Der Film hält sich fern von allen Wildwest-Stereotypen. Stück für Stück wird die Oberfläche des Klischees der Frontier transparent für die zugrundeliegende Realität eines Überlebenskampfes, der das Leben dort restlos bestimmt und die Menschen formt. In ihren Gesten, ihrer Mimik, in ihren Augen wird er für uns lesbar, aber auch in den Kleidern, und in den wenigen Gegenständen, die in dieser Ausnahmesituation wichtig sind. Die sorgfältige Gestaltung der Ausstattung schärft den Blick für das Wesentliche und verkommt dabei niemals zum Welbstzweck. Hartnäckig erforscht die Kamera die Figuren dieser Geschichte, umkreist sie, zerlegt sie, breitet sie vor unseren Augen aus. Gerade dann, wenn der Einzelne in der Masse zu verschmelzen droht, wie in den Massenszenen im Bordell, wird die Menge durch immer wieder andere Perspektiven, eine Flut virtuos montierter close-ups auseinandergenommen und durchsichtig für den Blick auf die Individuen. Auch wenn sie noch so flüchtig ins Bild kommen, stets ist ihnen eine eigentümliche Präsenz eigen.
Dennoch herrscht, bei aller Dichte der Bilder, ein streng rationaler Erzählstil. Da die Geschichte selbst schon voll Pathos steckt, vermeidet Winterbottom unnötige Emotionen. Die beklemmenden Details der Geschichte von Dillon und seiner Familie erfährt man eher nebenbei. Auch die Liebesgeschichte zwischen Dalglish und Ellen erschließt sich fast ausschließlich nur aus angedeuteten Gesten, Blicken, Figurenbewegungen, kaum aus den Dialogen. Nur manchmal blitzen Bilder auf, grandios und zugleich doch hart an der Grenze zum Kitsch: Wenn etwa das neue Haus für Ellen erst mit Manneskraft und viel Hurra hunderte Meter weit durch den Schnee gezogen werden muß. Oder wenn nach einer Explosion ein brennendes Pferd durch den Schnee läuft.
Michael Winterbottom liefert hier nach Jude eine weitere und wiederum äußerst präzise Verfilmung eines Romans von Thomas Hardy. In einer sehr freien Adaption des Mayor of Casterbridge verlegt er die Handlung aus dem Bauernmilieu im England um 1880 nach Kalifornien, in die Zeit nach dem Höhepunkt des Goldrauschs. Auch am Plot nimmt er einige wesentliche Änderungen vor, doch vor dem Hintergrund dieses besonderen historischen Augenblicks in Amerika wird diese Geschichte über Schuld und Sühne, und die vergebliche Hoffnung, die Zukunft vor den Fehlern der Vergangenheit bewahren zu können, nochmals ganz neu und überraschend erzählt. Die dunkle Weltsicht des Thomas Hardy, sein illusionsloses Menschenbild, das vor allem von der Unausweichlichkeit gesellschaftlicher Bindungen und Gesetzmäßigkeiten geprägt ist, seine Faszination für die oft grausame Ironie des Lebens, finden im veränderten Medium der Filmbilder in dieser Adaption von Winterbottom ihren kongenialen und angemessenen Ausdruck.