USA 2016 · 127 min. · FSK: ab 6 Regie: Warren Beatty Drehbuch: Warren Beatty Kamera: Caleb Deschanel Darsteller: Warren Beatty, Lily Collins, Alden Ehrenreich, Annette Bening, Matthew Broderick u.a. |
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Persönliches Kino, das Spaß macht |
»Billionaire, goddammit, not millionaire« – Howard Hughes wusste, was er wert war. Der Multimilliardär Howard Hughes also ist eine der großen mythischen Figuren in der jüngeren Geschichte Amerikas. Ein »Großer Gatsby« der Wirklichkeit, ein Mann für den alles möglich und alles käuflich schien, in den 30er und 40er Jahren ein schillernder Glamourkönig, Filmstudioboss, wagemutiger Fliegerstar, später dann ein von den eigenen Dämonen getriebener, psychisch kranker Paranoiker. Als Person ein menschenscheuer Frauenheld, charismatisch und verschroben, neugierig und paranoid, romantisch und modern – und in alldem vielleicht eine adäquate Verkörperung des »amerikanischen Jahrhunderts«. Die Figur Hughes hat das Kino seit jeher fasziniert – insbesondere in den letzten Jahren war Hughes eine Hauptfigur in Martin Scorseses The Aviator, in The Hoax von Lasse Hallström sowie in Jonathan Demmes Melvin und Howard.
Hughes' seltsame Biographie war seit Jahrzehnten auch das Herzensprojekt von Warren Beatty, der selbst zu den seltsamsten Künstlern Hollywoods gehört. Es ist wohl nicht über-interpretiert, wenn man behauptet, dass Beatty sich mit Hughes gleichermaßen identifiziert, wie er sich von ihm abgestoßen fühlt, dass er Hughes rechtsextreme Ansichten verabscheut, und zugleich mit der Nonchalance sympathisiert, mit der Hughes die ganze Welt und sein eigenes Leben zu seinem Kunstwerk gemacht hat.
Jetzt, zwanzig Jahre nach seiner letzten Regiearbeit Bulworth, hat es Beatty geschafft: Und vielleicht war es eine List der Geschichte, dass diese Story über einen reichen Mann, der keine Grenzen kannte, und damit ganz Amerika faszinierte, genau zu dem Zeitpunkt ins Kino kommt, zu dem ein anderer reicher Mann in ähnlicher Weise sein Land gefangen hält.
In Beattys neuem Film steht diese schillernd-exzentrische Hauptfigur am Rande des Nervenzusammenbruchs stellvertretend für Amerikas tagtäglichen Irrsinn. Beatty zeigt, dass dieser schon lange vor Donald Trump begann. Der einstige Sunnyboy der Traumfabrik tritt in der Doppelrolle als Regisseur und als Schauspieler, als Darsteller des Multimilliardärs Howard Hughes. Beatty selbst verkörpert den alternden Hughes als durchaus würdevollen Egozentriker.
Bereits der Titel Rules Don’t Apply (zu deutsch: »Regeln spielen keine Rolle«) formuliert das Programm in einer von staatlichen Vorschriften, verselbständigter Bürokratie, gesellschaftlicher »Politischer Korrektheit« und selbstgewählten Tabus verwalteten Welt. In ihr wird der Milliardär plötzlich zum Anarchisten.
Beatty gelingt ein kreativer, überraschender Umgang mit der Figur Howard Hughes. In der ersten halben Stunde des Films
begegnet man Hughes wie jedem echten Star nur aus der Perspektive und den Erzählungen der andern: Distanz, Achtung, Gerüchte, die Aura des Geheimnisvollen und schwer Zugänglichem umgeben ihn. Identifikationsfigur für den Zuschauer ist derweil Marla Mabrey (gespielt von der bezaubernden Lily Collins), eine unbedarfte (und sehr christliche) Schönheitskönigin aus Virginia, die 1958 in Los Angeles bei Hughes für eine Rolle vorsprechen will. Weil das dauert, flirtet sie bis dahin
mit Frank (Alden Ehrenreich), dem Fahrer des Reichen, später wird sie dann in jeder Hinsicht ihre Unschuld verlieren.
Rules Don’t Apply ist zuallererst ein sehr lustiger Film, eine Melange aus einer Screwball-Comedy, wie sie Hughes in seiner Zeit als Studioboss drehte, zugleich aber eine sarkastische Satire mit bissigen Seitenhieben auf die amerikanische Wirklichkeit, ihren Puritanismus, ihre Sex- und Showbesessenheit – eher wie ein Werk von Robert Altman. Aber diese komödiantische Seite ist nur die eine des Films. Die andere: Der Ernst mit dem Beatty sich der Figur und dem Milieu nähert. Rules Don’t Apply ist alptraumhaft und surreal, und gerade darin realistisch, weil es um ein Leben geht, das einem surrealen Alptraum ähnelt. So fühlt man sich stellenweise an Orson Welles' »Citizen Kane« erinnert. Auch dies ist eine absurde Version Amerikas, das hier als morbide von sich selbst besessene Pop-Fantasie aus Fernseh-Illusionen, Werbe-Surrogaten und Polit-Propaganda erscheint.
Der 80-jährige Beatty kehrt also in glänzender Form als Filmemacher wie Darsteller auf die Leinwand zurück. Mit Hilfe von angeblich 15 hilfreichen Produzenten und zahllosen Stars – Candice Bergen als Hughes duldsame Sekretärin, Matthew Broderick, Annette Bening, Alec Baldwin, Martin Sheen, Ed Harris, Paul Sorvino –, die für einen Bruchteil ihrer üblichen Gage mitwirkten, hat Beatty einen sehr unabhängigen, intelligenten und nostalgischen Film gemacht, der daran
erinnert, was Hollywood und was Amerika einmal waren. Es ist die Zeit der »Mad Men«, in der diese Hughes-Farce spielt, und wie die stilbildende Serie entpuppt sie auch dieser Film als absolut zeitgemäße, also mit unserer Gegenwart verschmelzende Epoche.
Dies ist ein eigenwilliger Außenseiterfilm, persönliches Kino, das Spaß macht, und in all seiner Lächerlichkeit eine präzise Darstellung der bis in die Gegenwart zunehmenden Vermischung aus Showbetrieb und Politik
bietet.