The Report

USA 2019 · 120 min. · FSK: ab 12
Regie: Scott Z. Burns
Drehbuch:
Kamera: Eigil Bryld
Darsteller: Adam Driver, Corey Stoll, Evander Duck Jr., Jon Hamm, Linda Powell u.a.
Unbeugsamer Staatsbeamter

Kafka lässt grüßen

Norma­ler­weise durch­strömen den Zuschauer bei einem gelun­genen Polit­thriller erhabene Gefühle. Nicht nur Nerven­kitzel wie bei einem trivialen Action­film oder einem raffi­nierten Psycho­thriller. Bei einem Polit­thriller, der auf wahren Bege­ben­heiten beruht, gibt’s ein paar Boni obendrauf. Prak­ti­sche Staats­bür­ger­kunde und fesselnde, poli­ti­sche Aufklä­rung. Außerdem die Erleich­te­rung, dass der Rechts­staat knapp an einer Kata­strophe vorbei geschrammt ist. Während der Abspann läuft, seufzt man erleich­tert. Fleiß, Mut und Anstand wurden belohnt. Die Bösen bestraft. Frieden und Gerech­tig­keit sind wieder­her­ge­stellt. Ab sofort, nimmt man sich vor, Augen und Ohren aufzu­halten und Zivil­cou­rage zu zeigen. Viel­leicht sogar, nicht mehr mit dem Fahrrad Slalom zwischen Fußgän­gern auf dem Bürger­steig zu fahren. Ja, auch auf Klei­nig­keiten kommt es an. Damit wir weiter in einer freien Gesell­schaft leben können.

Nach The Report wird man von solchen erhabenen Gefühlen nicht geflutet. Es bleibt ein diffuses, schales Gefühl zurück. Die Macher oder Schauspieler tragen keine Schuld. Der Drehbuchautor und Regisseur Scott Z. Burns hat an erfolgreichen Thrillern mitgewirkt, in denen reale oder fantastische Verschwörungen aufgedeckt wurden. (Side Effects, The Bourne Ultimatum). Der Produzent, Steven Soderbergh, ist Garant dafür, dass ein Film nicht nur handwerklich sondern auch künstlerisch auf höchstem Niveau mitspielt.

Dieses Dream-Team hat den großar­tigen Adam Driver als Daniel J. Jones besetzt. Den unbeug­samen Staats­be­amten, der sich nur der Verfas­sung verpflichtet fühlt. Selbst wenn er dabei sein Privat­leben opfert, zu wenig Schlaf bekommt und seine Karriere aufs Spiel setzt. Annette Bening mimt Dianne Feinstein so über­zeu­gend, dass man ein paar Augen­blicke glaubt, die demo­kra­ti­sche Senatorin träte als sie selbst auf. Die übrigen Schau­spieler sind ebenso exquisit.

Der Grund, warum sich nach dem Happy End weder Wohl- noch Triumphgefühle einstellen, liegt nicht in dem Film. Sondern in der aktuellen, politischen Situation in den USA. Und in einigen anderen Ländern, in denen demokratische und diktatorische Kräfte miteinander ringen.

Die Realität hat das Genre des Polit­thril­lers altmo­di­scher Bauart überholt und hinter sich gelassen. Im Jahr 2014 schlug der Bericht des »Senate Select Committee on Intel­li­gence« über das »Detention and Inter­ro­ga­tion Programm«, kurz »Folter­be­richt«, noch einige Wellen. Zur Rechen­schaft gezogen wurden die Verant­wort­li­chen schon damals nicht.

Doch im postfaktischen Zeitalter, das mit Donald Trumps Präsidentschaft ausgerufen wurde, gehört ein hunderte Seiten langer Bericht über Gesetzesbrüche und Vertuschungsversuche zum Hintergrundrauschen. Fakten spielen keine Rolle mehr. Die USA taugt nicht als Beispiel für eine Demokratie, die von heimlichen Mächten ausgehöhlt wird. Der Präsident selbst demontiert die Verfassung. Gegen sein »präsidiales Abrissunternehmen« wirkt eine Verschwörung der CIA wie in The Report fast possierlich. Es gibt keinen Schein mehr, den es zu wahren gilt. Unter dem sich das Böse heimlich tummelt. Die Gesetzesbrüche passieren offiziell mit dem Rückhalt der Republikaner und unter den Anfeuerungsrufen der Trumpisten.

Schlechte Zeiten für inves­ti­ga­tive Polit­thriller mit Happy End. Gute Zeiten für Dystopien mit Neigung zum Welt­un­ter­gang (siehe die Serien »8 Tage«, »Westworld«, »Black Mirror« oder »The Walking Dead«).

Kleiner Trost, das Bewusstsein, in einer untergehenden Epoche zu leben, ist nicht neu. Das gab’s schon oft. Bei einem Seitenblick in die Literatur sorgt der »Folterbericht« für ein Déjà-vu-Erlebnis: Eine Organisation, die unter dem Deckmantel der Staatsraison Foltertechniken anwendet. Obwohl die Geständnisse der Opfer wertlos sind. Das war keine Premiere, die nach den Terroranschlägen von 9/11 stattfand. Ähnliche Exzesse an Absurdität, Grausamkeit und Ohnmacht wurden schon beschrieben. Von einem Schriftsteller, der vor über 100 Jahren lebte. Nicht in den USA, sondern in der österreichisch-ungarischen Monarchie. Er hieß Franz Kafka.

Wie die »erweiterten Befragungstechniken« ans Licht kamen

»Language is build to choose sides«
Aus: The Report

In der Titel­se­quenz steht »The Torture Report«. Dann wird das Wort »torture« mit einem dicken Stift geschwärzt. Auch die Wahrheit dieses Films ist »redacted«, redigiert.
Und es kann nicht verwun­dern, dass die Wahrheit, die im Leben viele Farben hat, in der Politik zumeist pech­schwarz ist, im doppelten Sinn geschwärzt: moralisch und kommu­ni­kativ. Wahrheit ist das, worüber man schweigen muss, oft genug aus guten Gründen. Und worüber man schweigen will: Weil sie einen von der unan­ge­nehmsten Seite zeigt, so wie man sich selber nicht sehen will.

Daniel Jones ist ein sympa­thi­scher junger Mann. Ein Muster­ame­ri­kaner, also ein Idealist und im besten Sinne naiv, weil er an sein Land und dessen Verspre­chen glaubt, und der für die Regierung arbeitet, weil er auch um das Jahr 2000 noch ernsthaft denkt, dass ihr Handeln die Welt besser macht und auch genau das tun will. In früheren Zeiten wäre so einer von James Stewart gespielt worden, aber zu diesen Zeiten hatten Hollywood-Filme auch garan­tiert ein Happy End.

Dessen kann man sich inzwi­schen nicht mehr so sicher sein, zumal in einem Film wie diesem, der weit­ge­hend auf Tatsachen beruht, und bei dem das Böse nicht mehr aus Verbre­chen und Verfeh­lungen einzelner liegt, sondern ein Teil des Systems ist.

Aber Adam Driver, der Darsteller des Daniel Jones, hat eine Menge Quali­täten, die auch Stewart hatte und die dazu führten, dass man als Zuschauer mit ihm durch Dick und Dünn ging: Er ist sympa­thisch, er ist ein durch und durch ziviler, schlak­siger, weicher Männertyp und man sieht seinem Blick die ehrliche Erschüt­te­rung an über das, was er im Laufe des Films erfährt.

Es führt bei ihm nicht in Zynismus, sondern in eine erbit­terte Hart­nä­ckig­keit, die von Empörung getrieben wird, einer Empörung darüber, wie hier Menschen die Werte zerstören, die sie doch bis aufs Blut vertei­digen müssten. Denn es gehört zu den traurigen Einsichten der letzten 20 Jahre, dass die Demo­kra­tien des Westens ihre Werte nicht nur, wie mitunter vorher schon, manchmal still­schwei­gend verletzen, sondern sie ganz offen und willent­lich über Bord werfen. Gerade die Ameri­kaner können ein Lied davon singen. Und davon handelt dieser Film.

Regisseur Scott Z. Burns ist durch Dreh­bücher für Steven Soder­berghs »The Informant!«, »Contagion«, »Side Effects« und zuletzt »The Laund­romat« bekannt geworden und zu dem Film »Bourne Ultimatum«. Der Report, von dem sein Film schon im Titel erzählt, ist ein über 6500 Seiten langer Bericht der US-Behörden, mit denen der Senat darüber infor­miert wurde, was sich hinter so netten Worten wie »erwei­terte Befra­gungs­tech­niken« und »Haft- und Verneh­mungs­pro­gramm der CIA« verbarg: Folter durch tage­langen Schlaf­entzug, tagelange Heavy-Metal-Musik-Beschal­lung, Water­boar­ding und anderes vorge­täuschtes Töten. Syste­ma­ti­sche Miss­hand­lung von Menschen. Und die, die sich das alles ausdachten – und das ist viel­leicht der größte Skandal innerhalb des Skandals – waren nicht etwa Spezia­listen. Es war ein einzelner, Psycho­loge, der gute Bezie­hungen hatte, und 80 Millionen Dollar dafür bekam, dass er sich das »Programm erwei­terte Verhör­tech­niken« ausdachte.

Wie Burns aus all dem einen span­nenden Film gemacht hat, gehört zu den großen Leis­tungen dieses Film­jahres. Denn »The Report« ist ein Polit­thriller und derzeit ein Kino-Renner in Amerika. Basierend auf wahren Bege­ben­heiten erzählt er davon, dass der demo­kra­ti­sche Staat foltert und es danach vertuscht, und für PR-Berater die ihm dabei helfen, viele Millionen Dollar bezahlt.

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»They asked you to build a boat, but they had no intention of sailing it.«
aus: »The Report«

Eine Stärke des Films ist seine Atmo­s­phäre: Paranoia pur ist bereits die Archi­tektur des Behörden. Fens­ter­lose Beton­bunker, die mit gleißendem Neonlicht erhellt werden, graue Wände ohne Bilder,

Die zweite Stärke ist seine zweite Heldin, die kali­for­ni­sche Senatorin Dianne Feinstein, die von Annette Bening gespielt wird. Sie besticht deswegen, weil sie zwar die Regierung atta­ckiert, sich aber all den kleinen, primi­tiven Spielchen der Oppo­si­tion verwei­gert. Feinstein, inzwi­schen 86 Jahre alt und immer noch Senatorin, ist in altes Schlach­troß des Poli­ti­schen. Sie versteht, wie Politik funk­tio­niert, sie kennt die Hinter­grund­spiele, die Einfluss­nahme und weiß, wie sie ihre Ziele erreichen kann.
Aber sie will die Wahrheit wissen: »Haben sie gelesen, was heute in der New York Times steht?« mit dieser Frage an ihre Mitar­beiter Daniel geht alles los: »Die CIA-Aufnahmen von Verhören von Al-Quaida-Häft­lingen wurden vernichtet. Ich möchte, dass Sie genau heraus­finden, was die haben, und alles Wort für Wort lesen.«

Die Wahrheit, die Daniel nach sechs Jahren hart­nä­ckiger Arbeit gegen alle Wider­stände findet, ist unter dem Titel »The Torture Report« bekannt.

Diese Wahrheit ist die, dass die »erwei­terten Befra­gungs­tech­niken« zu keinerlei brauch­baren Infor­ma­tionen geführt haben.
Darin liegt die aktuelle poli­ti­sche Brisanz dieses Films. Denn wir erinnern uns: Als vor ein paar Jahren Kathryn Bigelows Film »Zero Dark Thirty« ins Kino kam, der von der Vorge­schichte der Tötung Osama Bin Ladens durch ein ameri­ka­ni­sches Spezi­al­kom­mando erzählt, war es dessen große Provo­ka­tion, dass er das Foltern recht­fer­tigt: Erst dadurch, so die unbe­wie­sene Behaup­tung des Films, der in Zusam­men­ar­beit mit dem US-Vertei­di­gungs­mi­nis­te­rium entstand, konnte das Versteck des Terror­fürsten aufge­spürt werden.
Diese Recht­fer­ti­gung der Barbarei erwies sich inzwi­schen als syste­ma­ti­sche Lüge.

»The Report« ist ein Poli­ti­thriller, der Realismus mit dem Glauben an das Gute verbindet. Unver­kennbar steht der Film in der Tradition der 70er-Jahre-Polit­thriller wie »Die Unbe­stech­li­chen« oder »Drei Tage des Condor«.

Mit viel Energie und Zähigkeit spielt Adam Driver diesen Kämpfer für die Wahrheit, der vor allem durch sein Steh­ver­mögen für sich einnimmt. Ein Mensch, dem sein uner­schüt­ter­li­cher Idea­lismus sogar über die schwär­zesten Seiten seiner selbst und vor allem seines Landes hinweg­hilft.

James Stewart hätte sich über diese Rolle gefreut.