Deutschland 2017 · 86 min. · FSK: ab 6 Regie: Margarete Kreuzer Drehbuch: Margarete Kreuzer Kamera: Jaron Henrie-McCrea, Henning Brümmer, Klaus Sturm Schnitt: Volker Gehrke, Lukas Schmid |
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Weniger kritische Betrachtung als ein bunter Bilderbogen |
Michael Manns erster Kinofilm Der Einzelgänger von 1981 beginnt mit einer fast zehnminütigen weitestgehend wortlosen Einbruchsequenz. In ihr zeigt James Caan als Safeknacker Frank, weshalb er zu den Besten seines Fachs gehört. Es ist eine der mitreißendsten Charaktereinführungen der Filmgeschichte. Sie wird dies jedoch erst durch die Verbindung der kühlen Präzision des Handwerks von Frank auf der Bildebene und dem begleitenden treibenden Progressive-Rock-Soundtrack von Tangerine Dream.
In Margarete Kreuzers Dokumentation Revolution of Sound. Tangerine Dream berichtet Michael Mann, dass er die Musik der deutschen Elektronik-Pioniere in seinem Kinodebüt haben wollte, um die Geschichte vom lokalen Chicagoer Setting auf eine mehr universelle Ebene anzuheben. Er selbst war damals eher ein Blues-Experte, aber für diesen Film wäre diese Musik laut Mann unpassend gewesen. So sei er auf Tangerine Dream gekommen, die 1977 mit ihrem Soundtrack für William Friedkins Thrilller ATEMLOS VOR ANGST ihren Einstand in Hollywood gefeiert hatten.
Revolution of Sound. Tangerine Dream beginnt mit dem Bild weiter Wüstendünen, in dem am Horizont ein kleines schwarzes Männchen erscheint. Aufgrund des gleichfalls schwarzen Helms wirkt diese Figur zunächst wie ein gestrandeter Raumfahrer, wenn nicht gar wie ein Außerirdischer. Als der Mann näher herankommt, wird jedoch dessen sehr irdische schwarze Lederkleidung sichtbar und die Kopfbedeckung entpuppt sich als ein schlichter Motorradhelm. Doch im selben Augenblick beginnt bereits die nächste Irritation, denn an diesem Helm ist eine seltsam anmutende technische Apparatur befestigt, die über an zwei Metallarmen befestigten Kabeln mit an der unbedeckten Brust des Mannes befindlichen Elektroden verbunden ist.
Der vermeintliche Außerirdische ist Edgar Froese, der 2015 verstorbene Gründer von Tangerine Dream. Dieser erzählt dazu in druckreifen Sätzen im O-Ton, wie er mit seinen eigenen Herzfrequenzen einen Sequenzer gesteuert und auf diese Weise ein „simultan synchronisiertes Herz-Musik-Erlebnis“ erzielt habe. Als Nächstes weist eine kurze Schrifteinblendung darauf hin, dass Froese im Januar 2015 verstorben ist. Dazu zitiert ein Sprecher (Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten) seinen Musikerkollegen mit den Worten: »Es gibt keinen Tod, es ändert sich nur die kosmische Adresse«. Dazu schreitet Froese in voller Ledermontur langsam ins Meer hinein, während treibende Beats eines Stücks von Tangerine Dream einsetzen.
Es ist ein fulminanter Auftakt für die Dokumentation zu diesen Westberliner Pionieren der elektronischen Musik, die zumindest hier zu Lande noch immer im Schatten ihrer weit berühmteren Düsseldorfer Kollegen von Kraftwerk stehen. Das Folgende ist zunächst ein einziger mitreißender Rausch aus von der Musik von Tangerine Dream unterlegtem Archivmaterial von den Anfängen der Gruppe 1967 im Berliner Underground, über den Besuch der Band bei Salvador Dalí im katalanischen Fischerort Portlligat bis hin zu dem nach anfänglichen Rückschlägen recht rasch einsetzenden internationalen Durchbruch. Hierbei wechseln sich in ganz klassischer Dokumentarfilmmanier oftmals grobkörnige Bilder aus der jeweiligen Zeit mit in der Gegenwart aufgenommenen Interviews von Froeses musikalischen Wegbegleitern ab.
All dies erfolgt jedoch nicht in Gestalt einer ausgewogenen kritischen Betrachtung, sondern eher in Form eines bunten Bilderbogens, wie man es von Musikerporträts auf einschlägigen Musiksendern her kennt. Dabei geht es insbesondere in der ersten Filmhälfte dermaßen Schlag auf Schlag, dass vieles nur angerissen wird und somit zahlreiche Fragen offenbleiben – sofern der Zuschauer überhaupt dazu kommt, sich selbst Fragen zu stellen. Trotzdem wird irgendwann beispielsweise unübersehbar, dass Froese das einzige über die Jahrzehnte konstante Bandmitglied darstellt, da seine Mitmusiker die Gruppe alle oftmals bereits nach wenigen Jahren wieder verlassen.
So bestand die Gruppe zurzeit ihres internationalen Durchbruchs zu Beginn der 1970er-Jahre aus dem Trio Froese-Franke-Baumann. Doch Peter Baumann verließ die Band nach nur sechs Jahren, um 1977 eine Solokarriere zu starten. Zu den Gründen sagt er in einem Interview bloß, dass er sich damals in einer allgemeinen depressiven Phase befunden habe. Christopher Franke hielt immerhin 10 Jahre länger durch, doch 1987 steigt auch er aus der Gruppe aus, um wie Baumann eine Solokarriere zu beginnen. Dazu wird in der Dokumentation von Margarete Kreuzer nur in einem Nebensatz erwähnt, dass dies aufgrund „künstlerischer Differenzen“ geschah.
Zu den Gründen, weshalb auch später immer wieder neue Musiker zur Gruppe kamen und wieder gingen, wird dahingegen selbst in den Interviews mit den Betreffenden kein Wort gesagt. Ebenfalls komplett unerwähnt bleibt die Tatsache, dass Tangerine Dream, nachdem 1990 auch der nur vier Jahre zuvor neu zur Band hinzugestoßene Paul Hasslinger die Gruppe wieder verlassen hatte, nur noch aus Edgar Froese und seinem Sohn Jeroeme Froese sowie wechselnden Gastmusikern bestand.
So schleicht sich beim Anschauen dieser Dokumentation immer stärker das Gefühl ein, dass hier ausschließlich erzählt wird, was Edgar Froese in einem möglichst positiven Licht erscheinen lässt. Statt eines um Neutralität bemühten Kommentators spricht Froese selbst durch Alexander Hacke hindurch. Dabei stammen viele der Originalzitate aus der erst Ende dieses Jahres erscheinenden Autobiografie des Musikers. Zudem fungierte Bianca Froese-Acquaye, Froeses Witwe und einstige Managerin, als Koproduzentin des Films. Und die Regisseurin von Revolution of Sound. Tangerine Dream bekundet im Presseheft zum Film unumwunden, dass sie von ihre mit Froese gemachten Interviews letztendlich nicht im Film verwendet habe, da sie »die Legende Edgar Froese nicht zerstören wollte, denn er war damals bereits sehr von der Krankheit gezeichnet.«
In der Dokumentation werden jedoch nicht nur kritische Bemerkungen zu Edgar Froese sorgfältig ausgespart. Froese selbst verheimlicht auch so einige seiner Leistungen, die nicht unbedingt dem typischen Image eines Rockmusikers entsprechen. So erwähnt Froese zwar kurz im Film, dass er es, bevor er das ätherische Medium der Musik für sich entdeckte, kurzzeitig mit der harten und festen Bildhauerei versucht hatte. Dabei verschweigt Froese jedoch, dass er ab einem Alter von 18 Jahren an der Berliner Akademie der Künste mit einem Hochbegabtenstipendium Kunst studiert hatte. Ebenfalls unerwähnt bleibt, dass er später in einem Abendstudium Philosophie und Psychologie studiert und mit einer Arbeit über Immanuel Kant promoviert hatte. Hierzu passt eine weitere Bemerkung von Margarete Kreuzer im Presseheft zum Film: »Edgar Froese [war] freundlich, charismatisch, witzig und sprach mit Berliner Dialekt. Er war mehr als hochintelligent, und sein Akzent schien das ein bisschen vertuschen zu wollen.«