Rebel – In den Fängen des Terrors

Rebel

Belgien/L/F 2022 · 139 min. · FSK: ab 16
Regie: Adil El Arbi, Bilall Fallah
Drehbuch: , , ,
Kamera: Robrecht Heyvaert
Darsteller: Aboubakr Bensaihi, Lubna Azabal, Amir El Arbi, Tara Abboud, Younes Bouab u.a.
Kino-Spektakel mit starken Bildern
(Foto: Busch Media Group/Camino)

»Sorry Mama, das Kinderlied in meinem Kopf wird durch die Worte Allahs ersetzt.«

Terror als Musical: »Rebel« vom belgischen Regieduo Adil und Bilall traut sich was und zeigt Islamismus als mörderisches Geschäft, das mit Ideologie und Unterdrückungserfahrungen nichts zu tun hat

Mit scho­ckie­renden Bildern geht es los: Das Video einer Hinrich­tung durch die ISIS, die berüch­tigte isla­mis­ti­sche Terr­or­gang in Syrien und dem Irak.
Zwei Brüder schauen das Ganze in sozialen Netz­werken an. Eine alltäg­liche Erfahrung, die sie trotzdem nicht nur abstößt, sondern auch merk­würdig faszi­niert. Denn sie sind musli­mi­sche Einwan­de­rer­kinder, und leben in Europa unter prekären Verhält­nissen. Sie kommen überdies aus einem Viertel, das seit einiger Zeit traurige Berühmt­heit erlangt hat: Nämlich dem Viertel Molenbeck in Brüssel. Es wurde berühmt dadurch, dass die Atten­täter vom Bataclan 2015 aus diesem Viertel stammten.

+ + +

Rebel – In den Fängen des Terrors vom belgi­schen Regieduo Adil El Arbi und Bilall Fallah, die beide musli­mi­sche Einwan­derer der »zweiten Gene­ra­tion« sind, ist eine merk­wür­dige Genre­mi­schung: Ein ernst­ge­meinter Film über Terror und Heiligen Krieg aus belgisch-musli­mi­scher Perspek­tive, in fran­zö­si­scher Straßen­sprache gedreht, in die sich Flämisch, Arabisch und Englisch mischen. Die beiden Regis­seure nutzen ihre Hollywood-Erfahrung, um einen Pop-Film zu schaffen, in dem sie die Schrecken des Jiha­dismus und des Isla­mi­schen Staates zeigen. Die Haltung des Films ist voller Abscheu gegenüber den Terror­akten des Isla­mismus und seiner Verharm­loser inner- wie außerhalb Europas, zugleich ist er voller Empathie für die Einwan­derer, deren alltäg­liche Nöte und deren Erfahrung, in den Gesell­schaften des Westens oft nur Menschen zweiter Klasse zu sein. Insbe­son­dere zeigt der Film Empathie für das Brüder­paar im Zentrum und dessen allein­er­zie­hende Mutter.

Zugleich ist alles durch­setzt und stre­cken­weise dominiert von der authen­ti­schen Musik dieses Milieus, also von Rap und Hip Hop und anderen orien­ta­lisch einge­färbten Songs, die gekonnt gemischt werden. Diese Art Musik ist von ihren Texten nicht zu trennen. Es sind rohe, plakative, aber eben auch ausdrucks­starke Strophen, denen man hier begegnet:

»Verdammt ich fühle mich schlecht/ ich will losfahren und alles nieder­brennen/ überall Rauch/ Feuer verbrennt meine Haut/ ich bin mitten im Krieg/ doch bin ich 3000 Kilometer weit weg/ die Regierung tut nichts/ drang­sa­liert die Leute ohne Job/ nimmt die kleinen Leute aus/ aber Hilfe geht nicht raus/ alle wissen von den Schre­ckens­taten/ noch unsere Polizei hilft Ihnen ganz brav/ Sorry Mama, ich bin schon längst dort drüben/ das Kinder­lied in meinem Kopf/ wird durch die Worte Allahs ersetzt.«

Musik und Texte dieser Lieder sind zusammen mit kurzen Filmen und Botschaften aus Sozialen Netz­werken inte­graler Bestand­teil der Erzähl­weise der Regis­seure.

Man kann Rebel darum eigent­lich gar nicht anders beschreiben, als ein Jihad-Musical. Dies ist eine sehr schräge und gewöh­nungs­be­dürf­tige Mischung, aber auch sehr inter­es­sant und auf seine ganz eigene Art sehr authen­tisch.

+ + +

Zuerst lernen wir Zuschauer die zwei Brüder kennen: Obwohl der Rapper Kamal Wasaki seinen 12-jährigen Bruder Nassim noch mit einem Klaps auf den Kopf vor allerlei irdischen Verlo­ckungen warnt, lebt Kamal selbst am Rande des Gesetzes. Eines Tages erwischt ihn die Polizei beim Drogen­handel, und weil er sich selbst nicht verzeihen kann, haut er einfach ab und lässt den Bruder und die allein­er­zie­hende Mutter Leila zurück. Seine Entschei­dung ist radikal: Kamal will den vermeint­li­chen »musli­mi­schen Brüdern« im Nahen Osten helfen, und so geht er nach Syrien, und hofft dort auch innere Vergebung zu finden. Doch der unauf­hör­liche Terror zwischen den kämp­fenden Parteien lässt ihn schnell desil­lu­sio­nieren. Zugleich wird seine Lage immer schwie­riger, weil seine Miliz sich sich dem Isla­mi­schen Staat (ISIS) anschließt.

An der Brüsseler Heimat­front läuft derweil auch für den kleinen Bruder einiges schief. Aufgrund eines Online-Videos, in dem Bruder Kamal als ISIS-Soldat zu sehen ist, wird der junge Nassim gemobbt und zugleich von falschen Freunden gelobt. Das bringt den unruhigen Jungen so sehr aus der Fassung, dass er gegen seine Umgebung rebel­liert. Nassim will vor allem seinen großen Bruder wieder­sehen.

+ + +

Sehr deutlich werden bei dieser Art der Rekru­tie­rung durch die Isla­misten, mit wie perfiden Mani­pu­la­ti­ons­tech­niken gear­beitet wird, wie Einschüch­te­rung und Verfüh­rung einander in die Hände spielen,

Sehr deutlich ist der Film auch darin – und dies ist viel­leicht seine wich­tigste Errun­gen­schaft für die west­eu­ropäi­schen »Mehr­heits­ge­sell­schaften« –, dass dies alles für die Führungs­fi­guren der Terror­netze in aller­erster Linie ein sehr gutes Geschäft ist, denn jeder über­stellte Jugend­liche ist bares Geld wert. Es wird überhaupt darge­stellt, dass fast alles von dem, was man im Westen gern als Ideologie und anti­ko­lo­nialen Wider­stand versteht, und das das Siegel des »Authen­ti­schen« bekommt, und den europäi­schen Fürspre­chern des »Globalen Südens« als Aufstand vermeint­lich kolonial unter­drückter Muslime vertei­digt wird, tatsäch­lich eine Chimäre ist und in der Realität ausschließ­lich den ökono­mi­schen Inter­essen mafiaähn­li­cher Banden gehorcht: Es hat aber auch nichts mit Ideologie zu tun und gar nichts mit Unter­drü­ckung. Sondern Ideo­lo­gien und Unter­drü­ckungs­er­fah­rungen werden benutzt, um unge­bil­dete, leicht beein­fluss­bare Jugend­liche und junge Erwach­sene zu mani­pu­lieren, oder akute Notlagen auszu­nutzen.

Zugleich ist dieser Film immer erkennbar Unter­hal­tungs­kino, da den entspre­chenden Gesetzen folgt. Ein Kino-Spektakel, das auf sehr starke Bilder setzt: In bewegter Kamera, flott geschnit­tenen, flüssigen Über­blen­dungen und Sequenzen, die Phan­ta­sien und Tagträume der Figuren ausmalen. Ohne den Film zu sehr zu ästhe­ti­sieren, ist jede Einstel­lung ein wahres Fest für die Augen.
Aboubakr Bensaihi spielt den älteren Kamal, besonders aber beein­druckt Amir El Arbi der das mani­pu­lierte Kind Naseem in allen Facetten zwischen Leiden und Unsi­cher­heit einer­seits, kind­li­cher Entschlos­sen­heit und Wagemut verkör­pert. Als Mutter ist die erfahrene Lubna Azabal zu sehen.

+ + +

Rebel berührt auf diffe­ren­zierte, aber eben unter­halt­same Weise wichtige Themen, die unsere Gesell­schaft weiterhin betreffen: Wie die Inte­gra­tion von Einwan­de­rern musli­mi­scher Herkunft, die sich ange­sichts ihrer Mani­pu­lier­bar­keit, ihrer Not und der Ablehnung, die sie in der west­li­chen Gesell­schaft häufig erfahren, extre­mis­ti­schen Ideen zuwenden.

Im Wesent­li­chen erzählt Rebel von Jungen, die schlechte und falsche Entschei­dungen treffen und von ihren jugend­li­chen Verstri­ckungen in den Abgrund gezogen werden. Sie geraten in einen hoch­kom­plexen geopo­li­ti­schen Sturm und ziehen ihre ganze Familie in das Auge dieses Hurrikans. Kamals kleiner Bruder wird ihn erlösen, aber nicht so, wie es das Publikum gerne sehen würde.

+ + +

Die Geschichte wird sehr straight und sehr kurz­weilig erzählt – ganz klar als Unter­hal­tungs­kino. Moral­wächter aus manchen Kreisen werden gewiss schon dadurch auf den Plan gerufen werden, eben weil dies ohne Frage Spek­ta­kel­kino ist, mit Exploita­tion-Elementen, wenn auch mit mora­li­scher Botschaft, wie sie ja sowieso das Spek­ta­kel­kino öfters hat, als man es wahrhaben möchte.

Aber die beiden Regis­seure bleiben in erster Linie Filme­ma­cher und nicht Geschich­ten­er­zähler. Effekte und Bilder haben immer Vorrang vor Tiefe und emotio­naler Spannung.

Das Beste an diesem Film ist die Leich­tig­keit, mit der er dem Zuschauer das Leben und die Selbst­po­si­tio­nie­rung schwer macht.