Requiem for a Dream

USA 2000 · 102 min. · FSK: ab 16
Regie: Darren Aronofsky
Drehbuch: ,
Kamera: Matthew Libatique
Darsteller: Jared Leto, Ellen Burstyn, Jennifer Connelly, Marlon Wayans u.a.
Coney Island Baby

»Ass to ass« schreien sie, aufge­wühlt, die blanke Begierde, fast schon Schaum vor dem Mund. »Ass to ass«, zu Hunderten verfallen sie in den Chor einer ewigen Wieder­ho­lung. Alte, verbrauchte, aber reiche Männer, mit dicken Ringen an und Dollar­noten in der Hand. Auf einer kleinen Bühne in der Mitte des Raumes, in ihrer greif­baren Nähe, zwei nackte Frauen, die jetzt fort­fahren sich gegen­seitig zu befrie­digen. Ass to ass. Eine der Beiden heißt Marion, Marion Silver, vor ein paar Szenen wollte sie noch Mode­de­si­gnerin sein, zusammen mit ihrem Freund schmie­dete sie in der hübschen gemein­samen Wohnung Pläne für die Zukunft. Sie ist eine Schönheit, viel­leicht das Mädchen von dem wir geträumt haben, viel­leicht das Mädchen, dass wir hätten sein wollen. Und jetzt endet sie in einem Plateau des Ekels, der Magen dreht sich um beim Zuschauen. Auf allen vieren stellt sie sich zur Schau und ist dabei so stoned, dass sie noch Spaß an ihrem Auftritt zu haben scheint. Später, in ihrem Apartment, wird sie die Drogen, die sie für den Fick bekommen hat, an ihr Herz legen, wie ihr kleines Baby, friedlich einschlafen im Wissen um den nächsten Fix.

Man braucht Nerven für diesen Film. Requiem for a Dream. Ein Film reiner Inten­sität, den man nicht mehr vergessen kann. Pure Energie, Zers­tö­rungswut, Raserei. Marions Freund Harry, unsere Haupt­figur, die alles, inklusive Marion, ins Nichts reißt, beginnt als kleiner Dealer, findet Gefallen am Heroin und spritzt es sich so lange in die Vene bis der Arm blau anläuft. Wir sehen in Groß­auf­nahme das Netzwerk abge­stor­bener Adern, das verfaulte Fleisch. Sein letztes Telefonat gilt Marion, die er doch immer noch geliebt hat (und doch nie so sehr wie den Tod). Das Bild beginnt sehr groß, Junge und Mädchen, die sich Treue schwören, ja, ich werde heute Nacht nach Hause kommen. Bis die Einstel­lungen totaler werden und wir verstehen, dass er im Knast sitzt und heute nirgends mehr hingehen wird. Sie hat sowieso alle Hoffnung längst aufge­geben, hält sich an sich selbst. Ass to ass. Und dennoch, die Träume bleiben viel­leicht noch ein bisschen wahr, solange sie nicht durch Worte zerstört werden. Harrys Freund Tyrone, der coole Schwarze, ein bisschen DJ, ein bisschen Klein­kri­mi­neller, liegt in seiner letzten Szene in der Zelle und wünscht sich zurück nach seiner Kindheit, in die Arme seiner Mutter. A friend in need is a friend indeed. Harrys Mutter hat zu diesem Zeitpunkt ihr psycho­ti­sches Endsta­dium erreicht, der Kühl­schrank ist in den letzten Tagen reichlich aggressiv auf sie losge­gangen und jetzt zappen sich die Stars ihrer liebsten TV-Show direkt neben ihrer Fern­seh­sessel. Sara, was warst du doch für eine nette alte Lady. Der Knack­punkt war die Einladung, die sie vor einigen Wochen bekommen hat. Einmal dürfe sie im Fernsehen live auftreten. Das rote Kleid, das ihr schon zu lange nicht mehr passt, soll es sein, wenn sie TV-Geschichten schreibt. Gegen das Über­ge­wicht kann an dieser Stelle nur noch der chemische Hunger helfen. Blau, grün, lila liegen die Zügler Tag für Tag vor ihr, morgens, mittags, abends, nachts. Aus einer fixen Idee wird Obsession und irgend­wann ist alles zu spät. Schmutzig, irre, abge­ma­gert, verkrustet taucht sie im Fern­seh­studio auf, ihren wirren Wunsch immer auf den Lippen, einmal im Fernsehen zu sagen, wie stolz sie doch auf ihren Sohn ist. Dann verbrennt sie einfach in der Kühle der Büros, der Klinik.

Requiem for a Dream bohrt sich wie eine Spirale ins Gehirn, ins Fleisch. Die Figuren fangen an wie die coolen Killer, Ganoven bei Guy Ritchie, Quentin Tarantino. Sie haben immer einen Spruch auf den Lippen, sind den anderen immer ein Stück voraus. Aber Aronofsky geht den Weg in den Abgrund bis ganz ans Ende und dann immer weiter und weiter. Ein Feld­ver­such nach der Frage ob Figuren, die man nur lange genug fallen lässt, den Boden durch­schlagen können. Viel­leicht ist er ein Perverser, viel­leicht einfach einer, der seine Sache ernst nimmt. Der Film als Monster, bild­sprach­lich, drama­tur­gisch eloquent, wie man es selten bestaunen durfte. Alles geht in den Exzess, das Delirium, die Angst, den Sex.

Dabei gibt es unglaub­lich zärtliche Szenen, Tempi­wechsel. Tyrone mit seiner Freundin im Bett, beide nackt, die Kamera steigt zur Decke auf, ruhig und unauf­dring­lich. Liebe. Harry, der sich wieder mehr um seine Mutter kümmern will, sie besucht und ihr ein neues TV-Set schenkt. Er und Marion in einer idyl­li­schen Weiten, Fels­bro­cken züngeln sich friedlich ins Meer hinein, gegen den blauen Himmel sitzen die Figuren in vertrautem Gespräch. Diese Szenen bilden Ruhe­pla­teaus, Stellen an denen sich der Zuschauer einfinden kann in die Welt auf der Leinwand. Doch irgend­wann treibt sich der Film in die Raserei, die schwär­zeste Dunkel­heit. Stück für Stück. Marion und Harry im Bett, eigent­lich liegen die Beiden nur wenige Zenti­meter vonein­ander entfernt, aber Aronofsky zieht eine Split-Screen ein, das Bild in der Mitte geteilt, in naher Ferne so weit. Man sollte sich auf die traute Zwei­sam­keit nicht verlassen. Harry braucht Geld und Marion geht zu ihrem ersten Job, bei dem sie ihren Körper verkauft. Als sie nach Hause kommt scheint alles wie gewohnt, sie setzt sich einfach neben ihn auf die Coach. Und doch ist alles anders, keine Blicke, keine Gesten der Zärt­lich­keit, die ersten Bilder des sich mate­ria­li­sie­renden Absturzes. Wo im Off immer noch die süsslich-roman­ti­sche, alles veredelnde Musik von Clint Mansell zu hören ist, die dem Elend noch einmal einen Körper mehr gibt, den Schmerz fassbar macht, als wäre er ein alter Freund. Ein alles durch­drin­gender Geschmack des Verfalls, den man noch Tage später auf den Lippen fühlen kann. Seit Delerues Thema für Godards Le Mépris dürfte es keinen exakteren, inten­si­veren, melan­cho­li­scheren Score mehr gegeben haben. Zwei Takte der Summer Overture und man ist zurück in der Welt des Films.

Der Untergang unserer zentralen Figuren läuft zusammen in einer Paral­lel­mon­tage, die eigent­lich das zentri­fu­galste Stil­mittel des ameri­ka­ni­schen Kinos ist, der Schluss­ak­kord, in den am Ende die Bruch­s­tücke wieder auf einen gemein­samen Nenner zurück­ge­führt werden sollen, die Elemente im einheit­li­chen Orga­nismus zusam­men­fließen, die verlo­renen Verbin­dungen wieder­her­ge­stellt werden. P.T. Anderson ist heute viel­leicht der klarste Vertreter der »alten« ameri­ka­ni­schen Schule. Sowohl Magnolia als auch Boogie Nights waren bestimmt von den nicht enden wollenden Plan­se­quenzen, immer einer Figur hinterher (Little Bill in Boogie Nights, als er zuerst seine Frau, ihren Lover und schließ­lich sich selbst erschießt), die im Ensemble nach Gründen sucht, Motiven, kausalen Bezügen, Psycho­logie. Die große Analyse der Gruppe, der Gesell­schaft. Aronofsky treibt alles ausein­ander, Einstel­lung um Einstel­lung, zentri­petal schießen die Hand­lungs­stränge ausein­ander und der einzige Nenner, der noch zu fühlen ist, ist der Ekel, der Schmerz, der Tod. Jared Leto spielt den Prot­ago­nisten Harry und hier wie in Finchers Fight Club ist er der Engel und das Omen des exis­ten­zi­ellen Verlustes. Edward Norton zerbrach bei Fincher sein Angel-Face und Requiem for a Dream scheint dessen Worte »Ich musste einfach etwas Schönes kaputt­ma­chen« noch einmal in die Tat umsetzen zu wollen. Ohne die roman­ti­schen, roman­ti­sie­renden Motive, die bei Fincher noch ab und an zu spüren sind. Der maso­chis­ti­sche Exzess wird hier auf die Spitze getrieben, Kino viel­leicht im Sinne de Sades, Sacher-Masochs, Batailles. Zers­tü­cke­lungen. Wie in Pi, Aron­ofskys letztem Film, wird der tatsäch­liche Drogen­konsum in Singu­la­ritäten, die kleinst­mög­li­chen Bewe­gungs­zei­chen, (Löffel, Spritze, Vene, Pupille) zerlegt. Von »Dekon­struk­tion« zu sprechen würde die ganze Sache nur unnötig intel­lek­tua­li­sieren. Alles ist Fieber, Sterben, Fühlen. Der berstende Blick auf Figuren, die sich erst langsam und dann immer schneller auflösen, verschwinden im eigenen Ekel. Aber wozu braucht man schon Figuren, wenn man den Affekt hat? Die Bilder verfremdet in jeder Sekunde und dennoch trifft der Film die Realität besser als es der Realismus im Kino könnte. »Perfect Film« war in den Kritiken immer wieder zu lesen und das zu Recht. Mehr davon.

Infinite Nightmare

Der ameri­ka­ni­sche Traum hat viele Facetten. Ob man sich nun, wie Sara Goldfarb, eine Witwe, die ihr Leben in einem herun­ter­ge­kom­menen Wohnblock von Brooklyn verbringt, an Pralinen und die tägliche Game-Show in der Flim­mer­kiste hält, oder es sich, wie ihr Sohn Harry, gleich mit Heroin besorgt, ist im Grunde einerlei: Irgendwie muss man sich nur das Hirn raus­blasen, um das Leben dort überhaupt zu ertragen. In Konflikt kommen diese beiden Exis­tenzen nur, wenn Harry das Fern­seh­gerät mal wieder im Leihhaus versetzt, und die Mutter es auslösen muss, um auch zu ihrer über­le­bens­not­wen­digen Tages­dosis zu kommen.

Eine Winter­reise, geglie­dert in drei Teile, zurück­ge­hend auf eine Geschichte von Hubert Selby jr. (Last Exit Brooklyn). Darren Aronofsky kehrt mit seinem zweiten Spielfilm Requiem for a Dream – sein Debüt, der genia­lisch-paranoide Pi kam 1998 auch in die deutschen Kinos – zurück nach Brooklyn, wo er selber aufwuchs. Einst siedelte Beat-Poet Lawrence Ferlin­ghetti hier seinen Gedicht­band A Coney Island of the Mind an, und manchmal scheint es, als versuche Aronofsky den Impuls Ferlin­ghettis aufzu­nehmen. Schon zu dessen Zeiten war der Verg­nü­gungs­park am Strand von New York ziemlich herun­ter­ge­kommen, genau das richtige Motiv für Remi­nis­zenzen an den Glanz einer vergan­genen Epoche. Auch Aronfsky benutzt die einsame Leere der Prome­naden, die Ruinen der Jahr­markts­buden und die Schatten der Karussels als Folie, um dem ameri­ka­ni­schen Traum eine Toten­messe zu lesen.
Wie die große Achter­bahn von Coney Island, die immer wieder in den Blick rückt, und die wie das römische Colosseum einfach ihre Zeit über­dauert hat und stehen­ge­blieben ist, verläuft auch die Struktur dieses Films, ein Auf und Ab der Gefühle und Wahr­neh­mungen, verwir­rend und mitreißend und am Schluß ganz unten endend.

Aronofsky ist ein mutiger Regisseur, der gern Neues auspro­biert, mit den Mitteln spielt und sich weniger für das Erzählen inter­es­siert, als für eine Atmo­s­phäre. Mal setzt er einen Split­screen ein, mal lässt er die Bilder schneller laufen. Über die Geräusch­spur wird diese nervöse Grund­stim­mung noch gestei­gert, nur kurz zwischen­durch lässt einen der beru­hi­gend mini­ma­lis­ti­sche Sound­track des Kronos Quartett aufatmen. So liegt es nahe, diesen zwin­genden, unge­schönten Film über vier Menschen, die längst ihre Spur verloren haben, die sich von Tagtraum zu Lebens­lüge im Tunnel­blick durch ihr Leben hangeln, hin zu einem vorher­seh­baren Nichts, mit einem Drogen­trip zu verglei­chen.

Das Kochen des Heroins, das Inha­lieren des Crack, das Ziehen des Kokains zeigt der Regisseur wie im Musikclip mit schnell geschnit­tenen Nahauf­nahmen, am Schluß stehen immer die ruckartig gewei­teten Pupillen. Das kontras­tiert zu seiner sonstigen Vorliebe für extreme Weit­winkel, die den Zuschauer auf Distanz halten und zugleich das Hyste­ri­sche des Gesamt­ein­drucks vers­tärken.

Eines Tages wird Sara in ihre Lieb­lings­show einge­laden. Gele­gen­heit, endlich wieder das rote Kleid anzu­ziehen, dass sie zuletzt zu Harrys High­school-Abschluß trug. Doch die alte Frau bekommt den Reiß­ver­schluß nicht mehr zu. Sie färbt sich die Haare orange, beschließt eine Diät zu beginnen, und verschwindet mehr und mehr im Reich der Pillen – orange für den Abend, grün zum Schla­fen­gehen, rosa beim Aufstehen. Ellen Burstyn spielt sie großartig und rück­sichtslos, gibt ihr dabei all die verzwei­felte Würde einer Einsamen, der ihr Sohn nichts erwidern kann, als sie fest­stellt »Warum sollte ich das Bett machen, das Geschirr spülen? Ich hab keinen, um den ich mich kümmern kann.« Der beacht­liche Jared Leto als Harry, Jennifer Connelly als dessen Freundin und Gele­gen­heits­pro­sti­tu­ierte Marion und Marlon Wayans als sein bester Freund Tyrone stehen dem kaum nach. Vor allem Connelly, einst als Kind in Sergio Leones Once Upon a Time in America das junge Traum­ge­schöpf in Robert de Niros Erin­ne­rung, zeigt wunder­voll die ganze Verletz­lich­keit ihres Charak­ters unter tougher Ober­fläche.

Aron­ofskys Film, der stets der Versu­chung auf Thesen­haftes auszu­wei­chen entgeht, weckt Sinn für das Lebens­ge­fühl der Depres­sion. Er zeigt vers­tö­rende Innen­an­sichten aus der Seele fast alltäg­li­cher Personen in der Zwick­mühle zwischen öffent­li­chem Zwang und privater Malaise, zwischen dem Bedürfnis, das Gesicht zu wahren und nackter Verzweif­lung. Immer wieder fallen sie auf ihre eigenen Illu­sionen herein. Zuschanden gerät hier vor allem die schnöde Phrase dass »Jeder kann, wenn er nur will«, auch in ihrer subjek­tiven Spie­ge­lung, dass es immer noch eine letzte Chance geben wird, dass am Ende jeder als winner dasteht. Denn nur der Fernseher hat einen Ausschalt­knopf. Im Leben ist es schwerer.
So drehen sich am Schluß doch noch die Schrauben der Diszi­plinar­ge­sell­schaft: Kran­ken­haus, Gefängnis, Elek­tro­schocks und Zwangs­ernäh­rung. Erst die letzten Bilder zeigen die vier auf dem Bett, träumend in entspannter Embryo­hal­tung. Eine kurze Rückkehr in den Mutter­leib – Glück?