USA 2005 · 85 min. · FSK: ab 12 Regie: Wes Craven Drehbuch: Carl Ellsworth Kamera: Robert D. Yeoman Darsteller: Rachel McAdams, Cillian Murphy, Brian Cox, Tina Anderson u.a. |
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Sachte Eskalation: Wes Cravens subtiler, angenehm klassischer Thriller Red Eye |
Ein Fremder, nicht im Zug wie bei Hitchcock, aber dafür im Flieger, in der economy-class, die hier einen ganz neuen Sinn bekommt. Lisa, die als Managerin in einem Luxushotel arbeitet, wird von ihm erpresst. Man werde ihren Vater ermorden, lautet die glaubwürdige Drohung, wenn sie nicht einen prominenten Hotelgast, den Chef der »US-Homeland-Security« spontan mit dessen Familie in eine andere Suite verlege. Ist das geschehen, daran besteht kein Zweifel, wird dieser ermordet werden. Nun steht die junge Frau, so scheint es, vor der Entscheidung, das Leben eines nahen Verwandten oder das mehrerer anderer Menschen zu opfern.
Dieses scheinbar ausweglose moralische Dilemma bildet den Kern von Wes Cravens neuem Film. Mit Red Eye erobert sich der Scream-Regisseur das neue Terrain des Psychothrillers mit realistischen und sogar komödiantischen Elementen, den Hitchcock zur Perfektion brachte. Zugleich ist dies ein typischer Craven-Film, der souverän auf eine Achterbahn der Emotionen führt, mit allen Kinotricks spielt, zugleich eine gradlinige Genrestory mit Anspielungen und Subtexten anreichert und dadurch zu einem formbewussten Kunstwerk macht, das etwasüber die Dinge des Lebens zu sagen hat.
Der Film ist drei klare Akte unterteilt. Im ersten begegnet man der Hauptfigur, lernt sie in Situationen des modernen Lebens kennen. Mit dem Taxi fährt sie zum Flughafen, erst Stau, dann verspätet sich der Abflug – Thrill des Alltags. Am Ticketschalter trifft sie einen jungen Mann. Gerade in diesen Passagen des zufälligen Kennenlernens zweier gleichaltriger Singles wird Red Eye zu einer Ironisierung der Romantic Comedy. Dass irgendetwas nicht stimmt, spürt man fast unterbewusst. Etwas zuviel Hast liegt in den Reden und Blicken. Zudem sieht man, als Lisa sich umkleidet, eine große Narbe, und ahnt erstmals, dass hinter ihrer scheinbaren Unbeschwertheit etwas anderes steht: ein Trauma, das sich erst später enthüllt.
Den zweiten Akt bildet der Flug selbst: Lisa kommt wieder neben besagten jungen Mann zu sitzen. Man spürt ihre instinktive Irritation durch soviel Zufall, merkt auch, dass sie sich hin- und hergerissen fühlt zwischen der Lust am Flirt und ihrer Vernunft, die sie warnt. Bald entpuppt sich der junge Mann mit dem sprechenden Namen Jackson Rippner als hochgefährlicher Erpresser. Opfer und Verbrecher sind zum Nebeneinander verdammt – Klaustrophobie pur! Hier wird Red Eye zum Geniestück des Timings und der subtilen Verschiebungen, die den Thrill immer weiter steigern. Es ist ein kunstvoller Kampf zwischen Lisas Versuchen, Rippner zu entkommen, und Rippners Bestreben, ihre Handlungen zu kontrollieren. Mit bewundernswerter Ökonomie und ständig hohem Tempo gewinnt Craven diesem scheinbar begrenzten Szenario immer neue, unterhaltsame Facetten ab.
Unmittelbar nach der Landung eskaliert alles bis zum Showdown in Lisas Elternhaus. Red Eye wandelt sich zum Intruder-Film, bei dem Lisas Kenntnis des Hauses entscheidend für die kleinen Trickswird, mit denen sie den Killer schließlich aufs Kreuz legt. Wie zuvor andere Alltagsgegenstände kommt dabei ein Hockey-Schläger – brave bürgerliche Mädchen spielen Hockey – und allerlei Spielzeug zum Einsatz, metaphorisch entleert sie das Kinderzimmer und nimmt so Abschied von der Kindheit.
Red Eye ist ein straighter, sehr kurzweiliger, angenehm klassischer Thriller. Ein Film, der extrem auf Timing setzt, und seine Geschichte bis zum Ende ohne Unterbrechung sachte eskalieren lässt. Dabei ist die Handlung auch lesbar als auf die Spitze getriebener Geschlechterkampf, als Rachethriller in dessen Zentrum eine Frau steht, die einst vergewaltigt wurde, und ihre Kraft aus der Gewissheit schöpft, diese Ohnmacht kein zweites Mal empfinden zu wollen. Politische Analogien liegen dabei auf der Hand: Politischer Terror und die tiefe Erschütterung des Sicherheitsempfindens einer Gesellschaft ist in der Perspektive des Films der Erfahrung von Vergewaltigung und Ohnmacht vergleichbar. Cravens Antwort lautet hier nicht nur, dass man manchmal (ab-)töten sollte, was einen quält. Er zeigt vor allem, dass man moralische Dilemmata nicht akzeptieren muss, sich nicht in die Falle der von anderen gestellten Alternativen flüchten darf.