Österreich 2003 · 79 min. Regie: Peter Payer Drehbuch: Alfred Dorfer, Markus Pauser, Gregor Stampfl Kamera: Thomas Prodinger Darsteller: Alfred Dorfer, Gertraud Jesserer, Branko Samarovski, Günther Paal u.a. |
||
Sehnsucht nach dem Wasser: Alfred Dorfer als Hoschek |
Der Mensch ist dann doch nur ein Sisyphos, aber ein ganz ein dummer. Und entgegen aller Kolportage darf man ihn sich eben nicht als glücklichen Menschen vorstellen. Nach dem fünften, sechsten, siebten Anlauf, den Felsen den Berg hochzurollen und jedes Mal beinahe platt gewalzt zu werden, geht eben nichts mehr. Dann ist Schluss.
Der 40-jährige Heinz Hoschek aus Peter Payers Film Ravioli ist in seinem Leben gescheitert. Er hat es versucht, hat es fast geschafft – aber eben nur fast. Dann ist alles, was er sich aufgebaut hat, eingestürzt. Jetzt läuft er mit Kaffeeflecken auf dem Unterhemd durch seine kleine Welt und rasiert sich nicht mehr. Die Gesellschaft hat ihn verstossen. Jetzt zieht sich Hoschek freiwillig zurück.
Heinz Hoschek wird gespielt vom Wiener Kabarettisten
Alfred Dorfer. Zusammen mit dem Regisseur Peter Payer hat Dorfer sein Kabarett-Programm heim.AT geplündert und aus Teilen daraus ein Drehbuch für einen Film geschrieben. Dass daraus gleich ein Langfilm wird, wussten die beiden am Anfang ihrer Arbeit noch nicht. Jetzt ist eine wunderbare »Krisenkomödie«, wie die Macher ihr Werk nennen, daraus geworden.
Schon der Road-Movie Indien, in dem Dorfer den Restaurant-Kritiker Fellner spielte, dessen Träume von einer Hodenkrebs-Erkrankung zunichte gemacht werden, basiert auf einen Kabarett-Programm, dass Dorfer damals zusammen mit seinem Kollegen Josef Hader ausgearbeitet hat. Ravioli schlägt einen ähnlichen Ton an wie Indien: Weil das Leben so traurig und so voller bitterer Rückschläge ist, lacht man am Besten noch einmal darüber, bevor man in Tränen ausbricht. Doch Ravioli verlegt einen Großteil des Geschehens ins Imaginäre, wird visionär und vor allem skurill. Die Autofahrten durch Österreich aus Indien auf der Suche nach zukünftigem Glück sind hier eine Reise durch Gedanken an vergangenes Glück. Hoschek verbringt die meiste Zeit an einem Platz, in einer Wohnung, und lebt von seinen Wunschvorstellungen, von Erinnerungen und – vom Suff.
Früher, da war Hoschek mal der stellvertretende Filialleiter einer Bank, zuständig für die Vergabe von Krediten. Er fuhr ein dickes Auto, hatte eine hübsche Frau und einen Sohn. Dann hat er ein Haus gebaut, vielleicht etwas zu groß. Den Kredit dafür hat er sich selbst gegeben. Vielleicht war auch der Kredit etwas zu groß. Frau und Sohnemann haben ihn verlassen. Sein Arbeitgeber hat ihn gefeuert, das Haus gehört jetzt seiner Ex-Frau. Nachdem Hoscheks Mutter stirbt, zieht er in ihre Wohnung und verschwendet seine Tage damit, Bierbüchsen leer zu trinken und sich mit Valium zu betäuben.
Die meiste Zeit des Films spricht er mit sich selbst oder mit seiner verstorbenen Mutter. Er macht sich Gedanken, um die Zeit zu überlisten. Gedanken, die sich im Kreis drehen; Wort- und Satzspielereien, hilflos und albern; Existenzphilosopie – krude, aber dennoch – oder einfach nur lachhaft. Selten kann man das noch entscheiden. »Wenn etwas ganz offensichtlich nichts ist, und es entwickelt sich – entwickelt sich dann etwas oder entwickelt sich nichts?«, fragt er sich einmal. Zumindest sein Leben gleitet immer mehr ins Nichts. Er fantasiert und säuft sich seine Welt zusammen. Er sieht sich als Braveheart durch die schottischen Highlands reiten, heim zu seiner Geliebten, die auf ihn wartet, während er verklebte Sex-Heftchen mit Frauen von damals durchblättert. Der Tod sitzt am Küchentisch und ist ein netter Bursche. Der »Geist der 70er« im John-Lennon-Outfit begegnet ihm, als er über seine Jugend nachdenkt und teilt ihm mit, dass von damals immerhin LSD und Einrauchen geblieben sind. Immerhin. Wird schon stimmen, denn »wenn die Wahrheit subjektiv wäre – wieso weiß dann jeder, der vor einer Pissoirmuschel steht, dass er nicht am Damenklo ist?«
Payer findet skurille, überraschende Bilder. Er scheut sich nicht, schwülstig, albern oder überdeutlich zu werden. Eine faszinierende Kino-(Un)wirklichkeit: Allegorische Gestalten singen Opern, das schlechte Gewissen sitzt im Sanatorium. Es ist nur ein drittklassiger Gangster, der »Alles wird gut« auf die Brust tätowiert hat. Die Einsamkeit spricht aus Großaufnahmen, aus vollen Aschenbechern und leeren Bierdosen. Dort, wo das Glück sein sollte, ist irgendetwas faul. Der Swimmingpool im winzigen Garten von Hoscheks Exfrau lässt kaum noch Platz für ein Badetuch. Man muss eben Kompromisse machen, wenn man ein Stück Glück schon kaufen kann, erzählen Payers Einstellungen – und spotten darüber.
Erinnerungen an die wirklich schönen Momenten in Hoscheks Leben sind in Super 8 gedreht. Es sind Momente voller Glück, damals in der Kindheit am See, als der Wind die Schilfhalme bog. Oder im Urlaub am Strand zusammen mit Frau und Kind zwischen den gelben Sonnenschirmen. Ein Glück wie aus einer anderen Welt. Die Bilder sind verwaschen wie die Erinnerung, sind verwackelt, gegen die Sonne gefilmt und scheinbar zufällig. Es wird schon das Richtige darauf sein, schließlich war damals ja alles gut. Im Vergleich mit den süffisant perfekt gesetzten Bildern des trostlosen Hier und Jetzt zeigen sie melancholische Sehnsuchtsorte: am Wasser, am Meer. Und so ist die Verklärung der Vergangenheit hier auch ein Privileg einer vergangenen Filmtechnik. Die nächsten Generationen werden ihr Leben digital aufnehmen. Keine ausgebleichten Farben mehr für den Rückblick. Die gefilmte Vergangenheit wird dann genauso trostlos aussehen wie die momentane Realität. Payers Film ist auch eine Liebeserklärung an den Super 8-Film. Sorglos und schwerelos erscheint das Leben in diesen Rückblenden. Die Welt ist dann immer die Beste aller Welten.
Hoschek hat Sehnsucht nach dem Wasser. Zuhause muss er vor einer Fototapete mit Alpenpanorama sitzen. Er beschließt Bademeister zu werden und blickt bald vom Sprungturm in das Wolkengebirge am Himmel. Vielleicht geht es doch aufwärts in seinem Leben. Doch es ist nur ein Saisonjob, nach ein paar Wochen Sommer muss er sich etwas Neues überlegen. Wieder den schweren Fels den Berg hinaufrollen. Hoschek träumt davon, er wäre tot. Die Hölle ist ein Irrenhaus. Sacher-Masoch sitzt in seiner Zelle und übt sein Lied für die Weihnachtsfeier: »Heidi, kumm peitsch mi, bumm, bumm.« Eine Kneipe gibt es auch, dort kann man zur Not saufen, bis man nichts mehr spürt. Es geht immer so weiter. Und es geht um nichts. »Doch wenn es in dem Spiel schon um nix geht, warum muss ich dann immer verlieren?« Darauf wüsste auch Sisyphos keine Antwort. Und versucht es nochmal. Wahrscheinlich lacht er dann irgendwann darüber.