Österreich/Deutschland 2009 · 98 min. · FSK: ab 12 Regie: Benjamin Heisenberg Drehbuch: Benjamin Heisenberg, Martin Prinz Kamera: Reinhold Vorschneider Darsteller: Andreas Lust, Markus Schleinzer, Roman Kettner, Hannelore Klauber-Laursen u.a. |
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Der Gangster der Berliner Republik |
Er läuft. Und läuft und läuft. Am Anfang sieht man ihn nur von hinten. Da läuft er auf einem Laufband, und für den Zuschauer ist schnell verständlich: Er läuft vor etwas weg. Bald darauf ist auch klar: Dieser Johann Rettenberger (herausragend in einer Mischung aus Sturheit und Verzweiflung gespielt von Andreas Lust) ist noch im Gefängnis. Doch auch am Tag vor seiner Haftentlassung trainiert er bis zum Umfallen. Bald weiß man auch warum: Er macht mit beim Wiener Stadtmarathon, und auf Anhieb gewinnt er das Rennen und eine hohe Geldsumme. Geld scheint ihn überhaupt besonders zu interessieren: Ins Gefängnis kam er, weil er einst eine Bank überfiel, und bald macht er wieder da weiter, wo er aufgehört hat...
Bei den Überfällen hat er ein versteinertes Maskengesicht, es erinnert an eine japanische Kabuki-Maske, es sieht gleichgültig und ausdruckslos aus, so wie sein eigenes. Und er hat dunkle Geheimnisse. Dazu gehört Erika, jene Frau bei der er wohnt: Eine Spätgeborene, Letzte, offenkundig aus gutbürgerlicher Familie. Ihre viel zu große, alteuropäisch möblierte Wohnung ist wie eine Höhle für diesen Wolf, aber auch ein Mutterleib, in dem er sich verkriecht – Zufluchtsort im doppelten Sinn, wie sie eine Zufluchtsfrau ist: Geliebte und Schwester, Freundin und Mutter in einem. Vielleicht war sie früher seine Freundin, aber das ist gar nicht so wichtig.
Der Räuber heißt Benjamin Heisenbergs zweiter Spielfilm nach Schläfer von 2005. Er fußt auf einer »wahren Geschichte«, die in den 80er Jahren in Österreich Schlagzeilen machte – aber das spielt für den Film, der eine grundsätzlich dokumentierende, realistische Erzählweise hat, aber ganz und gar Spielfilm ist, keine Rolle. Gerade hatte er im Berlinale-Wettbewerb Premiere, und ging ungerechterweise völlig ohne Preis aus. Es ist hervorragendes, ebenso spannendes wie kluges, so emotional mitreißendes wie perfekt gemachtes Kino.
Der Film repräsentiert einerseits den neuen Trend zur Renaissance des Genrekinos. Denn vordergründig ist dies zunächst einmal ein Kriminalfilm, ein Bankräuberfilm, der gerade in seinen Actionszenen und Verfolgungsjagten glänzend inszeniert ist – ein Paradebeispiel für dynamisches, schnelles, oft elegantes Bewegungskino, wie es in Deutschland zu selten ist. Zugleich knüpft er an an jene Portraits einsamer Männer in mehr oder weniger existentiellen Krisen, wie wir sie aus den Filmen Jean-Pierre Melvilles kennen. Dieser Rettenberger mag kein cooler Großstadtsamurai sein, aber er ist auch nicht hot, der Zorn der ihn innerlich antreibt hat kein Ziel, kein Klassenbewusstsein. Rettenberger ist ein Profi, aber er bildet sich darauf nichts ein. Mehr als ein Könner ist er ein Mann ohne Eigenschaften.
Blickt man hinter diese Oberfläche, erkennt man in dieser Figur einen Getriebenen, der zwar als Gangster auch ein Außenseiter ist, zugleich aber in vielem ein sehr präzises Abbild und Repräsentant eines Charaktertypus unserer kapitalistischen Leistungsgesellschaft: »Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?« fragte schon Brecht. Der Bankräuber ist hier wirklich der schwarze Spiegel der Bank; eine Parallelexistenz zum Typus jener Banker, die er beraubt: Beiden geht es um Geld. Um immer mehr Geld, ein bisschen sinnlos, denn es steckt doch nur unterm Bett oder eben auf der Bank im Safe. Doch er kann nicht und nie genug kriegen, will »mehr mehr mehr«, verlangt auf allen Ebenen von sich selbst Höchstleistungen und immer neuen Rekorden. Er »übernimmt« auch Banken, er handelt riskant, wie die Investmentbanker an der Börse: Wenn sich eine Gelegenheit eröffnet, muss man zugreifen, sonst hat man versagt. Zumindest vor sich selbst. Wie die Banker ist er ein asketischer Charakter, der der immer nur rafft, das Leben aber nicht genießt, sondern das erraubte Geld nicht ausgibt, dabei freudlos wirkt, selten glücklich ist, und seinen Mitmenschen gegenüber ebenso verschlossen, wie arrogant. Eine elitäre Mönchsexistenz, gar nicht so unähnlich jenen Zöglingen eines Schweizer Internats, die auf Eliteschulen gehen und mit 35 im Vorstand eines DAX-Unternehmens sitzen.
Man kann diesen Rettenberger also als eine ziemlich exemplarische Figur für eine Gesellschaft am Rande des Nervenzusammenbruchs begreifen, die »on the edge« lebt, die von ihren Mitgliedern immer mehr fordert, die in Hast, Hektik und Selbstkasteiung, unfähig zum Genuss, zum relaxten Leben dahin schreitet, und dabei von unfassbarer Einsamkeit erfüllt ist. Wir identifizieren uns nicht mit ihm, aber wir kennen jede Situation.
Geld spielt keine Rolle – aber im anderen Sinn: Der Räuber erfüllt sich keinen Wunsch, weil er vermutlich gar keine Wünsche mehr hat. Auch das macht ihn zu einem hypermodernen Menschen par excellence: Jogging, bzw. das zum Marathon übersteigerte »Laufen« ist wie das Geldverdienen und die Magersucht, eine moderne Sucht, ein Genuss des sich-Versagens, des Verschwindens. Hier kommunizieren Körper und Mensch nur noch mit sich selbst, weil Rettenberger keine Wünsche hat, hat er
auch keine Ziele am Ende seines Fluchtwegs. Es geht um den Weg selbst. Er will laufen, um sich zu spüren. Darin unterscheidet sich dieser Charakter von Peckinpahs The Getaway, mit dem er ansonsten manches gemeinsam hat: Die Hauptfigur in diesem Film hat ein Ziel. Dieser hat nur den Weg.
Am Ende führt dieser ins Offene. Plötzlich verlangsamt sich die Bewegung, Rettenberger sitzt im Auto, die
Autobahn ist plötzlich leer, und er scheint irgendwie zur Ruhe gekommen. Was das ist, ob man es Befreiung nennen soll, oder Erlösung
Die Hauptfigur käme ihm, hat Heisenberg gesagt, manchmal vor wie ein Wolf. Deswegen sei Der Räuber teilweise »wie ein Tierfilm« gedreht. Man kommt nicht darum herum einzuwenden, dass Wölfe im Rudel leben, und höchst soziale Wesen sind. Dass ist Rettenberger beim besten Willen nicht. Man kommt auch nicht darum herum, an jenes berühmte Zitat des britischen Philosophen Thomas Hobbes zu denken: »Der Mensch ist den anderen Menschen ein Wolf.«
So ist Heisenbergs
Film sowohl das Portrait eines Einzelgängers, aber auch das einer neoliberalen Wolfsgesellschaft und ihrer Ideale, wie, noch mehr, ihrer verborgendsten Wünsche.